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4) Gregor Mendel, Archaeopteryx und die Giraffe

Trifft nun die soeben zitierte Aussage "dass der Species feste Grenzen gesteckt sind, über welche hinaus sie sich nicht zu ändern vermag" auch auf solche darwinistischen Lehrbuchbeispiele wie Archaeopteryx und die Entstehung des Giraffenhalses zu?

Diskussion der Einwände von Dr. B.:

(Wiedergabe meines Briefes vom 15.11.1998 an den Autor Herrn Q. eines evolutionskritischen Filmbeitrages:)

"Herzlichen Dank für Ihre ‘Post’ vom 10. November 1998. Gern nehme ich Ihre Einladung an, zum fachlichen Teil des Briefes von Herrn B. Stellung zu nehmen. Ich zitiere und diskutiere im folgenden Satz für Satz der gesamten Passage von Herrn B.s Aussagen und Behauptungen mit der Bitte, sich diese Diskussion sehr genau anzusehen, auch wenn es etwas Zeit kostet. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass die wissenschaftliche und weltanschauliche Bedeutung des Themas die Mühe wert ist, was übrigens durch die zahlreichen Zuschriften begeisterter Zuschauer Ihres Films unterstrichen wird (und nicht zuletzt auch durch die Tatsache, dass man Ihnen von anderer Seite üble Motive und fragwürdige Arbeitsmethoden unterstellt und überdies sogar gerichtliche Schritte angedroht hat).

Einleitend sei noch erwähnt, dass ich die Begriffe ‘Neodarwinismus’, ‘Synthetische Evolutionstheorie’ und ‘Theorie der additiven Typogenese’ durchweg synonym gebrauche. Ich erwähne das hier vorab, weil dazu von neodarwinistischer Seite häufig Einwände erhoben werden, die ich in meiner Artbegriffsarbeit 1993, pp. 580 und 581 diskutiert habe. Zur Methode und Bedeutung von Zitaten vgl. man dieselbe Arbeit pp. 10-12.

Nun zum Text von Herrn Dr. B.:

Dr. B.: Die Ergebnisse über kulturelle und geistige Fähigkeiten verschiedener "Frühmenschen" werden aus Sicht der synthetischen Theorie der Evolution nicht angezweifelt.

Der entscheidende Punkt ist, dass die Synthetische Evolutionstheorie die im Film dokumentierten hohen kulturellen und geistigen Fähigkeiten bei auf 400 000 bzw. 800 000 Jahre datierten "Frühmenschen" nicht erwartet hatte.

Dieser eklatante Widerspruch zwischen neodarwinistischer Erwartung und den paläoanthropologischen Befunden kam in Ihrem Film sehr gut zum Ausdruck.

Dr. B.: Gleiches gilt für die von Herrn Dr. BÖHME dargestellte Einordnung von "Archaeopteryx" in ein phylogenetisches Cladogramm (Stammbaum).

Aus Sicht der synthetischen Theorie der Evolution wird selbstverständlich nicht angezweifelt, dass Archaeopteryx in ein phylogenetisches Cladogramm einzuordnen ist. Wenn das jedoch kein evolutionistisches Dogma sein soll, dann darf auch einmal öffentlich die Frage gestellt werden, ob das zutreffend ist. Dazu erheben sich im Detail folgende Fragen:

1. Welche naturwissenschaftlichen (hier vor allem experimentalgenetische und molekulare) Beweise gibt
es für die Auffassung, dass aus Schuppen Federn entstanden sind?

2. Welche Beweise (die exakten naturwissenschaftlichen Kriterien entsprechen) gibt es für eine
Entwicklung der Vögel aus Reptilien für alle weiteren Merkmale (speziell der Lunge)?

3. Worin bestehen die experimentellen und paläontologischen Beweise "wonach die Summe vieler kleiner
Schritte mit Anpassungscharakter einen neuen Typus ergibt" (B.)?

Wo, so darf man fragen, sind die Tausende von ‘echten Bindegliedern’ zwischen Sauriern und Vögeln? (Es geht bei dieser Frage nicht um das ‘gute Dutzend’ von Mosaiktypen, die auch nach evolutionistischem Verständnis allesamt nicht auf der Vorfahrenlinie der heutigen Vögel liegen! Zu Detailfragen vgl. Sie bitte die Ausführungen im Lehrbuch von Junker und Scherer 1998, pp. 218 - 223.)

Der Paläontologe O. Kuhn hat die seit Darwin weit verbreitete Methode, von der Ähnlichkeit auf Abstammung zu schließen schon vor längerer Zeit einmal wie folgt kommentiert:

"Die Ähnlichkeit der organischen Naturformen erklärte man durch Entwicklung, diese wieder bewies man durch die abgestufte Ähnlichkeit. Dass man hier einem Zirkelschluss zum Opfer fiel, wurde kaum bemerkt; das, was man beweisen wollte, dass nämlich Ähnlichkeit auf Entwicklung beruhe, setzte man einfach voraus und machte dann die verschiedenen Grade, die Abstufung der (typischen) Ähnlichkeit, zum Beweis für die Richtigkeit der Entwicklungsidee. Albert Fleischmann hat wiederholt auf die Unlogik des obigen Gedankengangs hingewiesen. Der gleiche Gedanke diente nach ihm wechselweise als Behauptung und als Beweisgrund.

Ähnlichkeit kann aber auch auf einen Plan zurückgehen, und....Morphologen wie Louis Agassiz, einer der größten Morphologen aller Zeiten, haben die Formenähnlichkeit der Organismen auf den Schöpfungsplan, nicht auf Abstammung zurückgeführt."

Angefangen von Oskar Hertwig (1906) bis zu zahlreichen Biologen der Gegenwart ist dieser Zirkelschluss in vielen Abhandlungen zum Homologieproblem und der abgestuften Ähnlichkeit diskutiert, aber nie widerlegt worden (Literaturhinweise auf Wunsch).

Tatsache ist: Der genetische Beweis fehlt bisher vollständig und es gibt keinen einzigen Fund von dem Evolutionstheoretiker zurecht sagen könnten, dass er der Vorfahr der heutigen Vögel sei oder dass er auf eine der angenommenen evolutionären Ahnenlinien der heutigen Vogelordnungen liege. Und die Grundaussage von den unbekannten Ahnen trifft auf praktisch alle Tier- und Pflanzengruppen zu, weshalb die als transformed cladists bekannte Gruppe von Systematikern ihre Cladogramme nicht mehr evolutionistisch deutet.

Da bei der Behandlung des Themas Archaeopteryx bis in die Gegenwart hinein häufig der Eindruck entstanden ist, als handle es sich um die Vorfahren der heutigen Vögel, war es einmal an der Zeit, dass ein Wissenschaftler wie Herr Dr. Böhme diesen Eindruck deutlich korrigiert. - Dass Herr Böhme Archaeopteryx dennoch in ein phylogenetisches Cladogramm einordnet, kam jedenfalls im Film klar zum Ausdruck als er sagte:

"Als Darwin zu dieser Zeit seine Vorstellungen äußerte über die Entstehung der Arten, war es sofort klar, das muss ein "missing link", eine Übergangsform sein, zwischen Reptilien und Vögeln. Denn einesteils waren hier Reptilmerkmale zu erkennen, wie dieser lange, knöcherne Schwanz, die bezahnten Kiefer im Schädel, aber auf der anderen Seite hatte dieses Tier Federn, musste also ein Vogel sein und eine Übergangsform zwischen den Reptilien und Vögeln."

"Heute ist man der Meinung, dass dieses Tier nicht unmittelbar eine Übergangsform darstellt, das heißt also am Ursprung des Stammbaums der Vögel sitzt, sondern dass es einesteils ein Reptil, anderenteils aber auch ein Vogel ist, also eine Kombination von Merkmalen zeigt aus beiden Tierklassen. Und wie insbesondere einige Details am Skelett zeigen, wird dieses Tier, also Archaeopteryx, nicht unmittelbar weiterführen zu den heutigen Vögeln, sondern stellt eine gesonderte Entwicklungsstufe dar, die aber deutlich macht, dass wir den eigentlichen Ursprung der Vögel noch nicht kennen."

Dr. B.: Der Begriff "connecting link" oder "Brückenorganismus" ist im Sinne von Gedankenbrücke zu verstehen.

Die Beweise für die Evolution müssten aus ‘echten links’ bestehen, nicht nur aus Gedankenbrücken, die man sich mit Hilfe von Mosaikformen schafft. Gedankenbrücken, die die unbewiesene Theorie als "unbezweifelbar" richtig voraussetzen, sind keine Beweise! Im übrigen waren diese Termini ursprünglich keinesfalls nur als "Gedankenbrücken" definiert.

Dr. B.: Hier kann es sich um Fossilien als auch um rezente Arten handeln, die mit Sicherheit nicht auf der Ahnenlinie anderer rezenter Arten liegen.

Auch diese Aussage ist eine Deduktion aus der Evolutionstheorie, aber noch kein Argument für deren Richtigkeit. Das, was eigentlich zu beweisen ist, nämlich die Annahme der evolutionären Ahnenlinie sowie der Modus der Evolution im Sinne der Synthetischen Theorie, wird dabei stillschweigend als "erwiesen" vorausgesetzt.

Dr. B.: Im übrigen kann man auch das Okapi als einen "Brückenorganismus" für die Giraffe ansehen, wenn einem die Evolution des Giraffenhalses unvorstellbar erscheint.

In Ihrem Film haben Sie die Problematik der Synthetischen Evolutionstheorie am Beispiel der Giraffe sehr gut herausgearbeitet. Von Herrn B. hätte man nun sehr gern die Antwort auf das Problem der Selektionstheorie gehört, warum der Hals der Giraffenkuh im Durchschnitt 1 m kürzer ist als der des Giraffenbullen! ( - Von den ‘halbwüchsigen’ Giraffen ganz zu schweigen!). Darüber hinaus würde man zum Giraffenbeispiel eine neodarwinistische Antwort zum Koadaptationsproblem (Synorganisationsproblem) erwarten, - denn hier handelt es sich um ein grundlegendes Problem der Synthetischen Evolutionstheorie, welches Sie in Ihrem Film exzellent herausgearbeitet haben!

"Beim Wiederkäuen muss der Nahrungsbrei aus dem Netzmagen bis über 3 m hoch ins Maul befördert werden!" (Bertelsmann Lexikon der Tiere 1992, p. 259.) Dafür ist die Giraffe mit einer besonders muskulösen Speiseröhre ausgestattet. "Die gleichmäßige Zirkulation des Blutes zu den verschiedenen Körperteilen machte verschiedene Anpassungen des Herzens, des arteriellen und venösen Systems notwendig" (Grosse Enzyklopädie der Tierwelt 1988, p. 303). Damit bei der Kopfbewegung von der Wasseraufnahme am Boden zu - Sekunden später - 5 m Höhe keine Blutleere im Gehirn entsteht, verfügt das Tier über entsprechend muskulöse Schlagadern. Weiter hat es ein kompliziertes System von Ventilklappen in den Venen sowie ein "Wundernetz" von blutspeichernden Arterien an der Hirnbasis aufzuweisen. Auch müssen die Längen, Stärken und Funktionen des Skelett-, Muskel- und Nervensystems etc. genauestens aufeinander abgestimmt sein, wenn das Tier überlebensfähig sein soll. Davis and Kenyon fassen die Hauptpunkte wie folgt zusammen (1993, p. 13):

"When standing upright, its blood pressure must be extremely high to force blood up its long neck; this in turn requires a very strong heart. But when the giraffe lowers its head to eat or drink, the blood rushes down and could produce such high pressure in the head that the blood vessels would burst. To counter this effect, the giraffe is equipped with a coordinated system of blood pressure controls. Pressure sensors along the neck’s arteries monitor the blood pressure and activate contraction of the artery walls (along with other mechanisms) to counter the increase in pressure."

McGowan führt weitere aufschlussreiche Details auf (1991, pp.101/103):

"The blood leaving the giraffe’s heart has to do more than just reach the level of the head, it has to be at a high enough pressure to pass through all the fine vessels, the capillaries, that supply the brain and other organs. To achieve this the blood leaves the heart at a pressure of 200-300 mm Hg, which is probably the highest blood pressure of any living animal (Warren, 1974; Hargens et al., 1987). A giraffe’s blood pressure is so high that it would probably rupture the blood vessels of any other animal, but two mechanisms appear to prevent this. First, the arterial walls are much thicker than in other animals. Second, the fluid that bathes the cells of the body is maintained at a high pressure; this is largely achieved by the thick skin, which is tightly stretched over the body and which functions like the anti-gravity suit worn by pilots of fast aircraft.

...Another problem posed by the possession of a long neck is the large volume of air in the trachea, the tube that connects the back of the throat with the lungs. This air is unavailable for respiration and the space it occupies is consequently referred to as the dead space. The dead space has a volume of about five pints (2,5 l) in the giraffe. Since this air has to be moved each time the animal breathes, the rate of ventilation has to be increased to compensate for the reduced air flow. A resting giraffe takes about twenty breaths per minute, compared with our twelve and an elephant’s ten; this is a very high respiration rate for such a large animal."

Entsprechend leistungsfähige und "große Lungen" haben die Aufgabe, die Atmung "durch eine über drei Meter lange Röhre auszugleichen; viele Muskeln, Sehnen und Knochen mussten dazu passend modifiziert werden" (Wesson 1991, p. 277).

Davis und Kenyon bringen die Problematik der Giraffe für die Synthetische Evolutionstheorie wie folgt auf den Punkt (1993, p. 13):

"In short, the giraffe represents not a mere collection of individual traits but a package of interrelated adaptations. It is put together according to an overall design that integrates all parts into a single pattern. Where did such an adaptational package come from?

According to Darwinian theory, the giraffe evolved to its present form by the accumulation of individual, random changes preserved by natural selection. But it is difficult to explain how a random process could offer to natural selection an integrated package of adaptations, even over time. Random mutations might adequately explain change in a relatively isolated trait, such as color. But major changes, like the macroevolution of the giraffe from some other animal, would require an extensive suite of coordinated adaptations" (Hervorhebungen im Schriftbild von mir).

Werfen wir kurz einen Blick auf ein weiteres ungelöstes Problem des Neodarwinismus, das Sie vielleicht in Ihrem nächsten Filmbeitrag zum Thema einmal aufgreifen könnten, nämlich die Frage, warum die Giraffe nur sieben Halswirbel hat. Von Buddenbrock machte auf die Tatsache aufmerksam, "dass die allermeisten Säugetiere sieben Halswirbel besitzen, gleichviel ob der Hals so kurz ist, dass man ihn kaum wahrnehmen kann (etwa wie beim Schwein), oder so lang wie bei der Giraffe. ‘Es ist nun kaum einzusehen, weshalb hier auftretende Mutationen, durch welche die Zahl der Halswirbel vermehrt worden wäre, schädlich hätten sein sollen. Die Konstanz der Halswirbel, die beinahe für sämtliche Säugetiere gilt (Ausnahmen sind nur Wale und Faultiere) kann also kaum anders erklärt werden als durch das tatsächliche Fehlen von Mutationen während der ganzen Zeit, in der sich der Säugetierstamm entwickelt hat’ " (Troll 1984, p. 9). Aus der Genetik wissen wir heute, dass das "tatsächliche Fehlen von Mutationen..." auszuschließen ist. Buddenbrock und Troll müssten also genauer vom "tatsächlichen Fehlen positiver Mutationen" sprechen. Warum sind aber bei zahlreichen anderen Wirbeltieren andere (auch viele höhere) Halswirbelzahlen durch ‘Zufallsmutationen’ möglich, nur nicht (oder kaum) bei den Säugetieren? Sind Mutationen (und Selektion) für die Frage nach der Konstitution und Konstanz der Baupläne vielleicht gar nicht verantwortlich? Zur Problematik der Synthetischen Evolutionstheorie bei der Konstanzfrage vergleichen Sie bitte meine Diskussion von 1998 zum Unterkapitel der lebenden Fossilien (im übrigen zählen mehrere Autoren auch das Okapi und die Giraffe zu den lebenden Fossilien).

Jedenfalls hatte Herr B. nach Ihrem Filmbeitrag allein zum Giraffenbeispiel mehrere Möglichkeiten, fachliche Anregungen zu Problemen aufzugreifen, die der Neodarwinismus bis heute nicht beantwortet hat. Ich vermute, dass auch Herr B. keine exakte naturwissenschaftliche Erklärung zu diesen Fragen hat, weshalb er sie ausklammert. Um so wichtiger war und ist es, genau diese Punkte einmal deutlich als Schwachstellen des Neodarwinismus in der Öffentlichkeit zu diskutieren. Die Wissenschaft lebt von sachlicher Kritik und nicht von Dogmatik, die Tatsachen unterdrückt.

Statt der in Ihrem Film deutlich angesprochenen Schwachpunkte der Synthetischen Evolutionstheorie, zitiert Herr B. nun das Beispiel des Okapis. Die Frage ist dabei nicht, ob "einem die Evolution des Giraffenhalses unvorstellbar erscheint" oder nicht, sondern ob es naturwissenschaftliche Beweise für oder gegen die Richtigkeit der neodarwinistischen Auffassung gibt. ‘Vorstellbarkeit’ allein genügt nicht; denn:

"Hypothesen sind Gerüste, die man vor dem Gebäude aufführt und die man abträgt, wenn das Gebäude fertig ist. Sie sind dem Arbeiter unentbehrlich; nur muss er das Gerüst nicht für das Gebäude halten" (Goethe; Maximen und Reflexionen). Troll, W. schreibt über die Deszendenztheorie:"Es passen auf ihre Vertreter die Worte, die C.E. von Baer den Deszendenztheoretikern seiner Tage entgegengehalten hat: dass sie sich etwas ausdenken, was als möglich erscheint, um darauf ohne weiteres auf dessen Wirklichkeit zu schließen." (Unterstrichen von mir.)

Zu Darwins Kapitel über die Entstehung des Auges habe ich (1989, p. 46) folgendes festgestellt: "Denkbar" erscheint leider oft mehr als die Realität zulässt. Ein "it does not seem impossible" besagt für das reale Geschehen auf unserer Welt noch gar nichts. Wir müssen daher schon weiter fragen: Wieweit sind solche Umwandlungsideen faktisch erwiesen? Welche Ursachen könnten in Frage kommen? Wie groß (oder wie gering) ist die mathematische Wahrscheinlichkeit gemäß den inzwischen erforschten Mutationen? Wenn eine Zufalls-Entwicklung prinzipiell ausscheidet, welche anderen Möglichkeiten sind in diesem Falle zu erwägen? Wenn man auf der anderen Seite sich eine Sache immer so denkt, wie man sie sich gerade wünscht, nennt man so etwas "Wunschdenken". Wenn wir schließlich auch noch anfangen, das, was denkbar ist, mit dem zu verwechseln, was bewiesen ist, haben wir die exakte, d.h. die an der Erfahrung orientierte Forschung verlassen."

Vergleicht man das Okapi mit der Giraffe, so darf man u. a. auf folgende Punkte hinweisen (um das gründlich zu machen, müsste ich jetzt eigentlich einen systematischen Vergleich von sagen wir 100 Seiten Umfang durchführen, - an dieser Stelle beschränke ich mich auf ein paar wesentliche Punkte):

Abb. 4

 

 

Mensch, Giraffe und Okapi

Größenvergleich aus G. Bateman et al. 1988, p. 512 (Farb- und Strichzeichnungen von P. Barrett): Die Tiere unserer Welt; Verlagsgruppe Bertelsmann GmbH, Gütersloh.

Im Vergleich zur Langhals-Giraffe bemerkt Petzsch zum Okapi (Urania/Rowohlt: Säugetiere Bd. 3, 1974, p. 412): "Völlig anders, viel mehr pferde-, rinder-, und antilopenhaft ist das Erscheinungsbild der Kurzhals- oder Waldgiraffen." Das Okapi hat eine Standhöhe von 150-170 cm, die Giraffe 390-450 cm (Kühe) und 450-580 cm (Bullen). Nach der Theorie der additiven Typogenese durch viele kleine Schritte mit Anpassungscharakter und, wie Mayr sagt, durch Mutationen mit "slight or even invisible effects on the phenotype" sind allein für den Höhenunterschied zwischen Okapi (bzw. einem Okapi-ähnlichen postulierten Vorfahren) und Giraffa zahlreiche Zwischenformen zu postulieren. Rechnen wir für jeden Zentimeter mit nur einer Zwischenform und berücksichtigen wir dabei die Variation innerhalb der Arten, kommen wir auf sagen wir etwa 200 fehlende Zwischenformen (Restunterschied zwischen "kleineren Giraffen" und großen Okapis mit nur etwa 2 m gerechnet). Da der Neodarwinist G. G. Simpson mit einer Zuwachsrate der Zahnlängen bei Pferden von nur etwa einem Millimeter in einer Million Jahren rechnet und dieser eine Millimeter auch noch durch zahlreiche Zwischenformen kontinuierlich überbrückt werden soll (vgl. Artbegriff 1993, p. 448), könnte man fragen, inwieweit dieser Ansatz auch auf die Zuwachsraten der Länge von Halswirbel- und andere Knochen zu übertragen ist. Bei ähnlichen Rechnungen sind noch zahlreiche weitere Zwischenformen zu fordern: Nach der Theorie der kontinuierlichen Evolution fehlen, vorsichtig formuliert, zwischen dem Okapioiden und Giraffa dann mindestens 1000 Bindeglieder!

(Überträgt man Simpsons Überlegung direkt auf die evolutionären Zuwachsraten der 7 Halswirbel etc. - mit zahlreichen Bindegliedern pro Millimeter - so könnte man auch 10 000 und mehr Bindeglieder postulieren.)

Dabei sind jedoch alle (weiteren) anatomischen, die physiologischen und ethologischen Unterschiede zwischen Giraffa und Okapi noch nicht berücksichtigt, so dass nach der Theorie der additiven Typogenese zahlreiche weitere Bindeglieder zwischen einem Okapi-ähnlichen Vorfahren und der Giraffe zu postulieren wären.

Bei jedem einzelnen dieser Bindeglieder müssten auf der einen Seite buchstäblich Tausende von Komponenten (Gene, Hormone, Skelett, Muskeln, Nerven etc.) so aufeinander abgestimmt und erhalten bleiben, dass ein funktions- und überlebensfähiger Organismus gewährleistet ist. Auf der anderen Seite muss jeder einzelne fast unmerklich kleine Schritt, der die Adaptation verbessern soll, zu dem bestehenden Gefüge ‘passen’, d. h. in das bestehende Gefüge voll integriert werden können. Durch Addition von Tausenden und Abertausenden von kleinen Schritten sollen auf diese Weise neue Arten, Gattungen, Familien etc., ja sogar neue Baupläne entstanden sein. Und das alles, so glaubt man, geschah durch die definitionsgemäß richtungslosen Zufallsmutationen unabhängig voneinander an zahlreichen verschiedenen Loci! Die Unwahrscheinlichkeit eines solchen Prozesses habe ich in meiner Arbeit über das Auge im Detail diskutiert (2. Auflage 1989, siehe auch Wittlich 1991 sowie meinen Beitrag von 1995). Das Ergebnis lautet, dass die Theorie der additiven Typogenese weder mathematisch noch experimentell funktioniert.

Übrigens zeigt auch das Okapi schon sehr schön das Koadaptations-(Synorganisations-)Phänomen. Auch bei ihm ist nicht nur der Hals etwas verlängert, sondern auch die Beine, und die Anatomie ist in zahlreichen Punkten den Aufgaben entsprechend aufeinander abgestimmt.

Zur Paläontologie der Giraffen: "Fossil sind einige unterschiedliche Formen erhalten geblieben, wobei allerdings die meisten den beiden modernen Vertretern der Familie noch nicht sehr ähnlich sehen" Cox et al. (1989): Dinosaurier und andere Tiere der Vorzeit, p. 280. - Giraffa tritt zuerst im mittleren Miozän auf (Carroll 1993, p. 629). Es gibt zwar viele stark formulierte Ableitungsversuche (z. B.: "Aus primitiven, geweihlosen Hirschen entstand im Miozän die Familie der Giraffidae, die heute nur noch mit 2 Gattungen (je 1 Art) in Afrika südlich der Sahara vorkommen" - Siewing 1985, p 553/554; im Herder Biologielexikon wird (1994, Bd. 4, p. 67) hingegen etwas vorsichtiger von den Giraffen als von Paarhufern gesprochen, "die sich vermutlich im frühen Miozän aus hirschähnlichen Huftieren (Palaeomerycidae) entwickelten"), aber es führt keine kontinuierliche Serie fossiler Bindeglieder zu Giraffa oder Okapi hin. "The giraffe and the okapi of the Kongo rain forest are considered as sister groups, the origins of which are still not known" (Devillers und Chaline 1993, p. 247).

Wesson (1991, pp. 238/239) stimmt mit diesen Aussagen zu fossilen Giraffen wie folgt überein:

"Auf dem Entwicklungsweg der Giraffe finden sich keine Nebenlinien mittlerer Größe - kein lebendes Tier oder Fossil, das eine Zwischenstufe zwischen dem Okapi mit seiner bescheidenen Halslänge und dem kranartigen Halsausleger der Giraffe bilden würde. Die verschiedenen Giraffenvarietäten erreichen alle mehr oder weniger dieselbe Höhe. Man hat eine Reihe von giraffenähnlichen Fossilien gefunden, die in etwa die Form eines Okapi aufweisen; offenbar schlug eines dieser Exemplare ziemlich plötzlich einen Sonderweg ein und schwang sich Hals über Kopf in luftige Giraffenhöhen."

Aber welche naturwissenschaftlichen Beweise gibt es für die Behauptung, dass eines dieser Exemplare ziemlich plötzlich - oder nach der Synthetischen Evolutionstheorie ganz kontinuierlich - einen Sonderweg einschlug und sich in luftige Giraffenhöhen schwang? Keine bislang!

Im Gegensatz zu den Erwartungen des Neodarwinismus werden die ältesten Vertreter der Gattung Giraffa als die größten beschrieben: "The oldest fossils attributed to the genus Giraffa date from the end of the upper Miocene in east Africa, some 10 million years ago. They are assigned to the species Giraffa jumae, which was larger than the largest present giraffe (G. (c)amelopardalis)". "...the palaeontological record shows that in the oldest deposits, the giraffe was represented by specimens which exceeded in size even the largest current giraffes. This is in contradiction to what we might expect from theoretical considerations on evolutionary trends, such as an apparent general increase in size. The evolution of the giraffe therefore appears to represent a particular case" (Devillers und Chaline 1993, p. 247 und p. 207; alle Hervorhebungen im Schriftbild von mir).

(Die unterschiedlichen Zeitangaben, mittleres und oberes Miozän, habe ich noch nicht klären können; vielleicht handelt es sich bei Carrolls Angabe um eine verbesserte Datierung, was bei Fossilien öfters vorkommt).

Man könnte natürlich einwenden, dass das fossile Material hier noch viel zu lückenhaft sei. Das sprunghafte Auftreten neuer Formen ist jedoch auch bei bestens überlieferten Tiergruppen konstatiert worden. Der Paläontologe Oskar Kuhn bemerkte zu dieser Frage schon 1965, p. 5 (ähnlich 1981 pp. 53/54; weitere Dokumentation bei mir 1993, pp. 314 -324, und 1998):

"Das Vorurteil, dass die Stammesgeschichte nur eine Summierung kleinster Abänderungsschritte sein könne und bei entsprechend vollständiger Kenntnis der paläontologischen Urkunden die kontinuierliche Entwicklung zu beweisen sei, ist sehr tief eingewurzelt und weit verbreitet. Aber die paläontologischen Tatsachen sprechen schon lange gegen dieses Vorurteil! Gerade deutsche Paläontologen wie Beurlen, Dacqué und Schindewolf haben mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass aus vielen Tiergruppen ein so reiches, ja geradezu erdrückendes fossiles Material vorliegt (Foraminiferen, Korallen, Brachiopoden, Moostiere, Cephalopoden, Ostracoden, Trilobiten usw.), dass man die nach wie vor zwischen den Typen und Subtypen bestehenden Lücken als primär vorhanden auffassen muss."

Kuhn postulierte übrigens auch für den Ursprung der Vögel Makromutationsschritte, was zum nächsten Einwand von Herrn B. überleitet:

Dr. B.: Nach Makromutationen, die für die sogenannte Makroevolution oder transspezifische Evolution verantwortlich gemacht werden sollen, wird in der Forschung schon lange nicht mehr gesucht.

Herr B. kennt ganz offensichtlich die gesamte neuere Literatur zu dieser Frage nicht. Siehe gegen die Behauptung von Herrn B. z. B. die Nobelpreisträgerin B. McClintock 1951, 1978, 1984, Van Steenis 1981; Syvanen 1984, Bateman and Dimichele 1994, Shapiro 1991, 1993, 1995. White and Doebley 1998. Zusammenfassend ein Zitat aus Kunze et al. 1997, p. 432:

"Both, McClintock (1984) and Shapiro (1993, 1995) argue that the revolutionary change of gene concepts from the classical one of autonomous genes linked together like beads on a string to the molecular discoveries of mobile genetic elements, developmental DNA arrangements and the genome as an interactive network of gene functions with regulatory and target sequences also necessitates a change in our understanding the origin of new species. According to Shapiro, the devices of natural genetic engineering, i.e. the tools for cutting and splicing DNA etc. are also the tools of rapid genetic change. For the details the reader is referred the to author's paper of 1993. - After becoming the epitome of an extremely talented and successful geneticist yet gone astray in evolutionary questions in the eye of the neo-Darwinian school, Richard Goldschmidt would probably welcome propositions like those of Shapiro that 'there must exist mechanisms for large-scale, rapid reorganisations of diverse sequence elements into new configurations' for the integrated mosaic genome to make evolutionary sense (Shapiro 1995, p. 11). Exactly at this point, future research programmes will have to answer questions like the following: If these mechanisms exist, what do they precisely consist of? What can really be achieved by them concerning the origin of species and higher systematic categories, i.e. what are their possibilities and limits of genome restructurings?"

Der Nobelpreisträger Francois Jacob bemerkt (1998, p. 106) nach Aufführung der neueren Entdeckungen der Molekulargenetik, dass "in der neuen Perspektive die Struktur der lebenden Welt nicht mehr linear und kontinuierlich, sondern nicht-linear und diskontinuierlich" ist.

Dr. B.: Die Erklärung für die Entstehung neuer Baupläne liefert die Theorie der additiven Typogenese, wonach die Summe vieler kleiner Schritte mit Anpassungscharakter einen neuen Typus ergibt.

Diese Behauptung ist eine Extrapolation von der von allen Biologen anerkannten Mikroevolution innerhalb von Arten (Details vgl. Artbegriff, 1993) auf die postulierte Makroevolution, wobei letztere weder experimentalgenetisch noch paläontologisch bewiesen werden konnte.

Aber zur Klärung der Frage möchte ich einen Test vorschlagen: Wenn selbst die Entstehung der hochkomplexen neuen Baupläne durch die additive Typogenese gesichert ist, dann möchten wir Herrn B. an dieser Stelle bitten, eine neodarwinistische Erklärung für die Ableitung von bestimmten, aber weniger komplizierten Strukturen innerhalb eines Bauplans zu liefern. Als konkretes Beispiel schlage ich deshalb vor, dass Herr B. uns detailliert die Evolutionsschritte zur Entstehung des Fangmechanismus von Utricularia - und das in Ihrem Film gut herausgearbeitete Beispiel des Motors von E. coli - mit der von ihm vertretenen Theorie der additiven Typogenese erklärt. Kopie des Utricularia-Beispiels anbei.

Dr. B.: Der graduelle Gestaltwandel ist durch die gängigen Evolutionsfaktoren verständlich zu machen.

Man darf auf Herrn B.s Erklärung des graduellen Gestaltwandels durch die gängigen Evolutionsfaktoren zur Entstehung von Utricularia und/oder des E.coli-Motors gespannt sein!

Dr. B.: Die Annahme einer rein fiktiven Ursache als ein Evolutionsprinzip, nämlich nach "Höherentwicklung" zu streben, stammt von LAMARCK. DARWIN selbst bezeichnet diesen teleologischen Erklärungsversuch als "veritable rubbish".

Kein vernünftiger Mensch wird bestreiten, dass der Mensch (genetisch, physiologisch, anatomisch und psychisch) komplexer strukturiert ist als ein Bakterium wie E. coli. Wenn der Mensch letztlich von Mikroben (Muller) abstammen soll, dann muss es auch eine ‘Höherentwicklung’, d. h. die Entstehung neuer komplexer Strukturen geben. Dafür (Nachtrag: für den Neodarwinismus) allerdings fehlen bislang alle mutationsgenetischen und sonstigen Beweise.

Lamarck postulierte für die ‘Höherentwicklung’ im Zusammenhang mit der Vererbung erworbener Eigenschaften eine psychische Komponente ("Nervenfluidum"), welche Darwin ablehnte. Darwin lehnte jedoch nicht die Vererbung erworbener Eigenschaften selbst ab. Hier ein Beispiel aus Darwins Origin (1872/1967, p.24, 25; Hervorhebungen im Schriftbild von mir):

"Changed habits produce an inherited effect as in the period of the flowering of plants when transported from one climate to another. With animals the increased use or disuse of parts has had a more marked influence....The great and inherited development of the udders in cows and goats in countries where they are habitually milked, in comparison with these organs in other countries, is probably another instance of the effect of use. Not one of our domestic animals can be named which has not in some country drooping ears; and the view which has been suggested that the drooping is due to the disuse of the muscles of the ear, from animals being seldom alarmed, seems probable."

Der teleologische Grundgedanke der Vererbung erworbener Eigenschaften (durch Gebrauch oder Nichtgebrauch zur Weiterentwicklung bzw. Rückbildung von Organen und Funktionen) zieht sich durch das gesamte Werk Darwins. Auch bei unserem Musterbeispiel, der Giraffe, postuliert Darwin in Verbindung mit seiner Selektionstheorie die Vererbung erworbener Eigenschaften (p. 202; Hervorhebungen im Schriftbild wieder von mir):

"...natural selection will preserve and thus separate all the superior individuals, allowing them to intercross, and will destroy all the inferior individuals. By this process long continued, which exactly corresponds with what I have called unconscious selection by man, combined no doubt in a most important manner with the inherited effects of the increased use of parts, it seems to me almost certain that an ordinary hoofed quadruped might be converted into a giraffe."

Weiter hat Darwin mit seiner Pangenesis-Hypothese die Behauptung von der "Vererbung erworbener Eigenschaften" systematisch zu untermauern versucht (vgl. ausführlich Lönnig 1998: Warum Mendel 35 (72) Jahre ignoriert wurde; 80 pp.).

Dr. B.: An dieser Ansicht hat sich bis zur Gegenwart nichts geändert. Wenn heute von Anagenese (Weiterentwicklung) gesprochen wird, meint man den evolutiven Wandel in einer Linie, bei dem Neuheiten entstehen aber auch Merkmale verloren gehen können. Auch Typolyse ist Weiterentwicklung.

An dieser Ansicht hat sich einiges geändert, anderes ist beibehalten worden: Die Synthetische Evolutionstheorie lehnt im scharfen Gegensatz zu Darwin die Vererbung erworbener Eigenschaften ab (und zwar mit Recht!). Auf der anderen Seite zieht sich durch Darwins Arbeiten fast ununterbrochen eine weitere teleologische Komponente in Form seiner Vervollkommnungsidee bei der Evolution der Organismen, die auch beim Neodarwinismus des öfteren anzutreffen ist (Details ausführlich in meiner Augenschrift). Wilhelm Troll, der mit Recht als der größte Pflanzenmorphologe des 20. Jahrhunderts bezeichnet werden darf, bemerkt zur Teleologie Darwins und der Neodarwinisten u. a. (1984, p. 74):

"Nach ihm (Darwin) ist das Phänomen der "Einheit des Typus", über die Gemeinsamkeit der Abstammung hinaus, eine Anpassungserscheinung der Organismen an die Umwelt und somit durchaus als Wirkung der Umwelt zu verstehen, was D. H. Scott noch prägnanter ausspricht, wenn er geradewegs sagt: "All the characters which the morphologist has to compare are, or have been adaptive." Der Darwinismus erklärt sich damit selbst als teleologisches System, wobei es schon gleichgültig ist, ob die Probleme der organischen Gestalt nach Endursachen, d. h. die Zweckmäßigkeit der Organe gleichsam vorkonstruierenden Ursachen, oder nach einem Mechanismus beurteilt werden, der zweckmäßige Strukturen schafft. Jedenfalls nimmt es sich geradezu grotesk aus, wenn DARWIN im 14. Kapitel seines Hauptwerkes eine Betrachtung nach Endursachen, die für ihn identisch mit der Schöpfungslehre ist, mit den Worten ablehnt: "Nothing can be more hopeless than to attempt to explain this similarity of pattern in members of the same class, by utility or by the doctrine of final causes", wo doch sein ganzes System auf dem Nützlichkeitsgesichtspunkt aufgebaut und von NÄGELI geradezu als "Nützlichkeitslehre" bezeichnet wurde. Tatsächlich zog unter dem Einfluss der Werke DARWINS die Teleologie erst recht in die Biologie ein, freilich eine Art der teleologischen Naturauffassung, die vom klassischen Teleologiebegriff ebenso weit entfernt ist wie der Darwinismus von der "Natura", der "Physis", die im Schaffen lebt."

- "Weiterentwicklung" kann man mit Herrn B. wie oben zitiert, definieren, damit erfasst man jedoch noch nicht das oben genannte Problem der ‘Höherentwicklung’, nämlich die Entstehung und Synorganisation neuer komplexer Strukturen auf allen Ebenen (genetisch, physiologisch, ethologisch, anatomisch und morphologisch).

Dr. B.: Der im Film DARWINs Vorstellungen zugesprochene "LYSSENKOismus" unter STALINs Regime fußt auf der Vorstellung von der Vererbung erworbener Eigenschaften, also Ideen LAMARCKs. Dennoch sollte man sich davor hüten, diesen hervorragenden Wissenschaftler hierfür verantwortlich zu machen.

Die Vorstellung von der Vererbung erworbener Eigenschaften geht mindestens bis auf Hippokrates (‘um 440 - ca. 375 v.u.Z.’) zurück! Die Schule Lyssenkos berief sich in erster Linie auf Darwin, nicht auf Larmarck (der mit untergeordneter Rolle auch hin und wieder erwähnt wird, so von Stalin gegen Weismann, aber nicht als die Leitfigur). Die Lyssenkoisten behaupteten hingegen nachdrücklich, die wahren Nachfolger Darwins zu sein, - und sie beriefen sich auf die von Darwin immer wieder betonte Vererbung erworbener Eigenschaften, - allerdings vernachlässigten sie dabei die Selektionstheorie. Medwedjew stellt zum Beispiel (1971, pp. 61) fest:

"Lyssenko druckte die Rede Stalins ab (1937: "Über die mangelhafte Parteiarbeit und die Maßnahmen zur Liquidierung von Trotzkisten und anderen Betrügern") und ließ ihr einen Artikel des stellvertretenden Herausgebers Present folgen. Hierin setzte der vertrauteste Mitarbeiter Lyssenkos die sogenannte Trotzkij-Buchanin-Opposition mit derjenigen gleich, die gegen Lyssenkos Schule Einwände erhob. Present schrieb im einzelnen:

Diejenigen sowjetischen Wissenschaftler, die eine sowjetische Schule der Agrarbiologie aufbauen wollen, aber sich nicht ganz der Tatsache bewusst sind, welche Rolle der schöpferisch entwickelte Darwinismus in der kritischen Erneuerung der Agrarbiologie spielt, sollten daran denken, dass die Mächte der Finsternis diese außerordentlich schöpferische Richtung der sowjetischen Biologie bekämpfen" (Hervorhebungen im Schriftbild wieder von mir).

Von der "Erneuerung der biologischen Wissenschaft auf der Grundlage eines vom Marxismus erweiterten Darwinismus" (nicht Lamarckismus!) etc. ist die Rede (p. 62).

N. Krementsow weist in seinem Buch Stalinist Science (1997, p. 72) auf die ideologischen Ursachen hin, warum unter den einander bekämpfenden wissenschaftlichen Parteien der Sowjetunion der 30er Jahre der Streit nicht um Lamarck, sondern um Darwin ging (Hervorhebungen im Schriftbild von mir):

"The rhetoric of the discussion also reveals the importance to each competitor of the authority over "Darwinism". In the 1930s, Darwinism had become blended with Marxism. The Marxist classics considered Darwin’s theory the materialist explanation of biological evolution and praised it to the skies. "Marxist-biologists" widely propagized this attitude in the late 1920s and early 1930s. Major pronouncements on Darwinism had been given by such leading party figures as Bukharin and Iakovlev. Most importantly, evolutionary doctrine was taught as the official state ideology, dialectical materialism. Darwinism had thereby become the domain of philosophers and ideologists. Geneticists (and biologists in general) had tried constantly to recapture Darwinism from philosophers and to establish their own authority over the field. They actively participated in the broad debate between Darwinists and Lamarckists, publishing numerous papers against Lamarckism in the late 1920s and early 1930s. They included evolutionary problems in genetics courses and genetic problems in courses on evolutionary theory. In a certain sense, the struggle over Darwinism was the struggle for control over one of the most powerful cultural resources directly available to geneticists, because references to Darwin, as the "founding father of the materialist concept of evolution" could substitute for references to Marxist classics as expressions of an author’s devotion to the party line in biological questions. So Darwinism naturally emerged as a major theme at the conference organized "under the banner of Marxism": for each competitor, it was one of the best available justifications for their own research agendas, allowing them to tie their own interests to the authority of sacral Marxism. Both camps repeatedly accused each other of being "anti-Darwinist." Both referred to the authority of "the founding fathers" of soviet Darwinism, Ivan Michurin and Kliment Timiriazev. Characteristically, Lysenkoists dwelt upon the negative attitude toward Mendelism occasionally expressed in the founders’ writings, while geneticists emphasized their declaration on behalf of Mendelian genetics."

Dass Darwin selbst die Vererbung erworbener Eigenschaften zu einem integralen Bestandteil seiner Lehre gemacht hatte und damit einen entscheidenden Ansatzpunkt für Lyssenko und seine Schule geliefert hatte, erwähnt Krementsow allerdings hier nicht.

In Ihrem Film bringen Sie ja deutlich zum Ausdruck, dass Sie Darwin selbst nicht für die sowjetische und sonstige Geschichte verantwortlich machen: (Kommentar nach Aufführung von Ereignissen im 3. Reich: "Darwin selbst lag eine solche Politik fern."). In Verbindung mit Darwins und vor allem Haeckels Ideen zeigen Sie auf der anderen Seite aber auch zu Recht, dass die Akzeptierung der Darwinschen Philosophie zahlreiche politische Konsequenzen hatte, sowohl im 3. Reich als auch in der ehemaligen Sowjetunion. Um weitere solche und ähnliche Fehler in Zukunft zu vermeiden, ist es tatsächlich von größter Bedeutung, die Öffentlichkeit auf die Schwachstellen dieser Philosophie aufmerksam zu machen (Rechtfertigungsversuche für eine zweifelhafte Ethik aufgrund des Darwinismus gibt es bei Neonazis, *Wirtschaftskriminellen und vielen anderen bis auf den heutigen Tag).

Dr. B.: Der englische Statistiker und Genetiker FISHER zeigte, dass MENDELs genetische Kreuzungsanalysen und DARWINs Selektionstheorie gut zusammenpassen.

Das hatte Yule schon 1902 gezeigt; vgl. Sie bitte meinen Mendelbeitrag von 1998. Das Zusammenpassen von Mendelscher Rekombination und Selektion erklärt jedoch noch nicht den Ursprung neuer synorganisierter Strukturen, worauf übrigens auch die Schule Remanes wiederholt aufmerksam gemacht hat.

Dr. B.: So ist im übrigen die synthetische Theorie der Evolution die theoretische Weiterentwicklung des Verschmelzungsproduktes der Selektionstheorie DARWINs mit der MENDELschen Vererbungslehre.

Richtig (*auch wenn der Darwinismus die Anerkennung und damit den Fortschritt der Vererbungslehre zunächst 72 Jahre behindert hat).

Dr. B.: Grundlegend falsch sind Ihre Vorstellungen von der Wirkung einzelner Evolutionsfaktoren. Zwar spielt bei Mutationen, Rekombination, Gendrift und selbst dem Separationsereignis der Zufall eine Rolle, die richtende Größe ist jedoch die umweltbedingte Selektion. So entstanden weder Vogelfeder, Wirbeltierauge noch Bakteriengeißel zufällig!

Grundlegend falsch sind Herrn B.s Behauptungen zur Zufallsfrage. Da dieser Punkt von zentraler Bedeutung ist und von Neodarwinisten immer wieder betont wird, dass ihre Theorie keine Zufallstheorie sei, gebe ich im folgenden das Kapitel VI aus der Artbegriffsarbeit zum Thema SELEKTION UND DIE ENTSTEHUNG PRIMÄRER ARTBARRIEREN wieder (1993, pp. 464 - 467):

Wie wir auf der Seite 439 festgestellt haben, soll nach Auffassung der Synthetischen Evolutionstheorie die Selektion die postulierte kontinuierliche Entwicklung vollständig beherrschen. Der Neodarwinismus wehrt sich entschieden gegen die Behauptung, eine Zufallslehre zu sein.

Lorenzens Kommentar zu diesem Thema haben wir schon zitiert (pp. 439/440). Mayr schreibt 1984 :

Nichts beweist besser, dass jemand Darwins Selektionstheorie nicht verstanden hat, als wenn er sie eine Zufallslehre nennt. Der Selektionsvorgang erfolgt in zwei tandemweise aufeinanderfolgenden Schritten. Der erste, der während der Reifung der Gameten und vor der Eibefruchtung stattfindet, führt zur genetischen Variation (crossing over, Reduktionsteilung, Gameten-Ausschüttung, das Sichfinden männlicher und weiblicher Gameten). Alle diese Vorgänge bei diesem ersten Schritt werden in der Tat vom Zufall regiert. Jedoch, kaum ist das Ei befruchtet, oft freilebend wie bei niederen Tieren oder im Mutterleib oder dotterreichen Ei, so ist es jede Sekunde der Selektion ausgesetzt. Und die Wahrscheinlichkeit, dasjenige Individuum zu sein, was unter Tausenden oder Millionen von Gameten und Zygoten wieder erfolgreich zur Fortpflanzung schreitet, hängt zu einem hohen Grad davon ab, wie gut die Physiologie des betreffenden Individuums ist und wie gut es an die augenblickliche Umwelt angepasst ist.

...Der erste Schritt des Selektionsvorgangs, die Produktion der Variabilität, wird in der Tat vom Zufall regiert. Beim zweiten Schritt spielt jedoch der Zufall eine wesentlich geringere Rolle, denn hier kommt es, in Konkurrenz mit den Artgenossen, darauf an, "der Beste" zu sein.

Huxley bemerkte zu dieser Frage 1962, p. 44:

The frequent assertion that biological evolution is based on chance is entirely untrue. "Chance" events furnish its raw material but the process itself is directional, self-steering, but automatically steering itself in a definite direction. This is because...natural selection is not a random but an "ordering" mechanism.

Ridley meint bei der Besprechung der Einwände mehrer Autoren (s.o.) 1985, p.124 unter anderem:

How can I hope to succeed with three authors (Denton, Hayward and Pitman) who, like the Victorian astronomer Sir John Herschel, think that evolution by natural selection is the "law of higgledypiggledy" -a 'random search mechanism'(Denton), of "pure chance" (Hayward and Pitman)?

Diese Kommentare verdeutlichen noch einmal die neodarwinistische Auffassung von der Selektion als ein übergeordnetes, alle Entwicklungsprozesse steuerndes Prinzip, das die Kritiker bedauerlicherweise übersehen oder so gründlich missverstehen, dass alle Widerlegungsversuche zum Neodarwinismus 'Angriffe auf ein Zerrbild' sind.

Sehen wir uns solche kraftvollen neodarwinistischen Behauptungen etwas näher an und stellen wir die Frage, wie die bald unüberschaubare Mannigfaltigkeit an Strukturen und deren Anordnung und harmonisches Zusammenpassen zu Organen, Organsystemen und Organismen entstanden sind. "Chance" events furnish its raw material. Bei den Rohmaterialien handelt es sich um die pp. 329-419 zitierten (definitionsgemäß richtungslosen) Zufallsmutationen. Darüber hinaus bestimmen Zufallsereignisse auch weitgehend die Rekombination (Mayr).

Ergo: Was der Selektion angeboten werden kann, wird vom Zufall beherrscht. Die Selektion selbst aber, sagt man, stehe über diesen Zufallsprozessen, sie beherrsche und lenke die Evolution.

Dobzhansky hat schon 1937 versucht, die Selektion von der Entstehung der Variation streng zu trennen als er p.149 schrieb: "...the origin of variation is a problem entirely separate from that of the action of selection…" Zuvor bemerkt er:

With consummate mastery Darwin shows natural selection to be a direct consequence of the appallingly great reproductive powers of living beings. A single individual of the fungus Lycoperdon bovista produces 7 x 1011 spores; Sisymbrium sophia and Nicotiana tabacum, respectively, 730,000 and 360,000 seed; salmon, 28,000,000 eggs per season; and the American oyster up to 114,000,000 eggs in a single spawning. Even the slowest breeding forms produce more offspring than can survive if the population is to remain numerically stationary. Death and destruction of a majority of the individuals produced undoubtedly takes place. If, then, the population is composed of a mixture of hereditary types, some of which are more and others less well adapted to the environment, a greater proportion of the former than of the latter would be expected to survive. In modem language this means that, among the survivors, a greater frequency of carriers of certain genes or chromosome structures would be present than among the ancestors...

Dazu sei ein Einwand französischer Biologen von 1961, p. 63 zitiert ("Should we burn Darwin?"; Zygmunt Litynski: Science Digest 51, pp. 61-63):

Out of 120,000 fertilized eggs of the green frog only two individuals survive. Are we to conclude that these two frogs out of 120,000 were selected by nature because they were the fittest ones; or rather - as Cuenot said - that natural selection is nothing but blind mortality which selects nothing at all?

Die gleichen Fragen stellen sich für die 700 Milliarden Sporen von Lycoperdon, die 114 Millionen Eier mal der Zahl der Leichzeiten der amerikanischen Auster, für die 28 Millionen Eier des Lachses usw.. Salomo schrieb 1000 v. u. Z. / 1970 p. 688: "Wiederum sah ich unter der Sonne, dass nicht den Schnellen der Preis zufällt, und nicht den Helden der Sieg... sondern alle trifft Zeit und Zufall."

Es ist ja klar: Wenn von Millionen und Milliarden Individuen nur wenige (nämlich die zitierten zwei Nachkommen eines Elternpaars bei konstanter Population) überleben und zur Fortpflanzung kommen, dann ist es bei den unüberschaubaren Zufälligkeiten in der Natur gar nicht nachzuvollziehen, dass die beiden tüchtigsten überleben sollen. Stark unterschiedliche Fähigkeiten zeichnen schon die Ontogenese aus. Beutetiere und Fressfeinde, Standortunterschiede und Witterungsbedingungen etc. gehören zu den ununterbrochen variierenden Parametern, so dass der Zufall bei dieser Frage ganz offensichtlich einen enormen Raum einnimmt. Es ist auch bei solchen Nachkommenzahlen viel wahrscheinlicher, dass statt der seltenen besten die 'mittelmäßigen' Rekombinanten überleben und sich fortpflanzen. Und die mittelmäßigen Individuen behaupten sich unter den jeweils gegebenen Umständen noch mit einer Vielzahl von neutralen bis schwach nachteiligen Genmutationen.

Wir wollen damit nicht sagen, dass es gar keine Selektion gibt (vgl. auch pp. 78f, 118ff, 309f; siehe weiter pp. 208, 268 und 340f). Selbstverständlich fallen physiologisch, anatomisch und ethologisch stark geschädigte Mutanten ihren Fressfeinden in der Regel schneller zum Opfer als normal funktionierende Rekombinanten. Auch werden solche Mutanten häufig Schwierigkeiten mit der Nahrungsbeschaffung haben. Nur auf Inselgebieten mit Ausfall oder Einschränkung solcher stabilisierender Selektion können stärkere Degenerationsprozesse schnell ablaufen. Anders sieht es jedoch mit den seltenen Rekombinanten aus, die in einer kontinuierlichen Evolution durch Mutationen mit 'geringer oder sogar unsichtbarer Wirkung auf den Phänotyp' die Anpassung und Höherentwicklung besorgen sollen. Das müssten ja ausgesprochen seltene Mutanten und Rekombinanten sein, die den Rahmen der rekurrenten Variation überschreiten. Bei den oben zitierten Zahlen hätten jedoch solche Individuen kaum eine Chance, zur Fortpflanzung zu gelangen, - abgesehen davon, dass es Schwierigkeiten mit der Beschaffung eines entsprechend weiterentwickelten Partners geben dürfte. Dazu kommt noch, dass die aufgrund wechselnder Umweltverhältnisse von Individuum zu Individuum auftretenden nicht-genetischen Phänotypunterschiede die nahezu unsichtbaren Auswirkungen der Mikromutation bei weitem übertreffen können. Vielleicht könnte in ganz seltenen Fällen hier noch der von neodarwinistischer Seite für die Selektion so stark verneinte Zufall weiterhelfen. Aber dafür dürfte die Wahrscheinlichkeit so gering sein, dass schon ein starker Optimismus notwendig wäre, um damit generell den Ursprung der Lebensformen zu erklären.

Ein weiterer Punkt: Da die Unterschiede in der Zahl der Nachkommenschaft z.B. zwischen einem Hering und einer Elefantenkuh nicht zu übersehen sind, können auch die Gametenproduktion und Nachkommenzahl nicht einfach als gegeben angesehen werden. Worauf gehen die Unterschiede zurück? Nach neodarwinistischer Auffassung sind sie letztlich auch wieder auf die alle Strukturen und Fähigkeiten erzeugenden Zufallsmutationen zurückzuführen. Wenn es also die aufgrund der Nachkommenüberproduktion postulierte übergeordnete Selektion gäbe, dann wäre sie selbst auch wieder ein Produkt der Mikromutationen!

Setzen wir aber einmal die alles überwaltende Selektion im Sinne der Synthetischen Evolutionstheorie voraus: Worauf beruht das "survival of the fittest"? Das Überleben ist ganz klar abhängig von der Funktionsfähigkeit der in den Organismen zusammenwirkenden Strukturen, nach deren Ursprung wir oben fragten. Ein Hase läuft schneller, ein Löwe springt weiter, ein Zebra wittert besser, ein Adler sieht schärfer, ein Schimpanse reagiert genauer etc. als seine Artgenossen, weil nach neodarwinistischer Lehre die Zufallsprozesse der Mutation und Rekombination sie in einer kontinuierlichen Evolution mit allen bisherigen Strukturen und auch den neuerlichen Verbesserungen ausgerüstet haben. "Chance" events bestimmen damit alles: Form und Funktion der Strukturen in allen Bereichen, diese die natürliche Auslese im Kampf ums Dasein und damit die gesamte biologische Evolution. Ohne Form und Funktion bereits vorhandener Strukturen gibt es keine Selektion. Die Selektion ist damit auch nicht "self-steering" und ähnliches mehr, sondern die Folge der durch "chance" events entstandenen Formen und Fähigkeiten, samt Überproduktion der Nachkommenschaft. (Nicht ohne Interesse stelle ich fest, dass neuerdings ein gemäßigter Vertreter der Selektionstheorie in einer klärenden Arbeit in diesem und anderen Punkt (en) zu denselben Ergebnissen gekommen ist wie ich schon 1971. Vgl. Endler 1986.) Die gesamte Organismenwelt ist damit auf Zufallsereignisse zurückzuführen. Monod scheint einer der wenigen zu sein, die die Synthetische Evolutionstheorie von Seiten ihrer Befürworter konsequent zu Ende gedacht haben (vgl. p. 441 ). Diese Theorie ist ihrem tiefsten Wesen nach eine Zufallslehre und die Kritiker treffen den Kern der Sache, wenn sie unter anderen Fragen diesen Punkt ins Visier nehmen.

Da selbst die schärfste Selektion nichts mehr vermag, wenn das genetische Potential ausgeschöpft ist (vgl. pp. 353-358 ), können durch Selektion auch keine neuen primären Arten entstehen.

Wie die Selektionstheorie im Detail an konkreten Beispielen wie der Bildung des Fangapparats von Utricularia, der Synorganisation von Auge und Gehirn, den Radarsystemen von Fledermäusen etc. gescheitert ist vgl. z.B. Nachtwey 1959, Shute 1961, Lönnig 1976, Kahle 1984, Kuhn 1984, 1985, Schmidt 1985, Lovtrup 1987.

(Zu den in diesem Abschnitt gegebenen Literaturhinweisen vgl. man bitte die Originalarbeit.)

Der oben erwähnte Nobelpreisträger und Neodarwinist Monod schrieb:

"Wir sagen, diese Änderungen (Mutationen) seien akzidentell, sie fänden zufällig statt. Und da sie die einzige mögliche Ursache von Änderungen des genetischen Textes darstellen, der seinerseits der einzige Verwahrer der Erbstrukturen ist, so folgt daraus mit Notwendigkeit, dass einzig und allein der Zufall jeglicher Neuerung, jeglicher Schöpfung in der belebten Natur zugrunde liegt. Der reine Zufall, nichts als der Zufall, die absolute, blinde Freiheit als Grundlage des wunderbaren Gebäudes der Evolution - diese zentrale Grundlage der modernen Biologie ist heute nicht mehr nur eine unter anderen möglichen oder wenigstens denkbaren Hypothesen; es ist die einzig vorstellbare, da sie allein sich mit den Beobachtungs- und Erfahrungstatsachen deckt" (Schriftbild von mir.)

Dr. B.: Diese kurze exemplarische Abhandlung nur einiger fehlerhafter Darstellungen in Ihrem Beitrag zeigt, dass bei Ihrer Auswahl von Beiträgen der Zufall keine Rolle gespielt hat.

Herr B. hat tatsächlich bisher keinen einzigen Fehler in Ihrer Darstellung nachgewiesen. Er lässt stattdessen eine erstaunliche Unkenntnis der biologischen und historischen Tatsachen erkennen, um die es in Ihrem Film geht.

Dr. B.: : Ich lege Ihnen nahe, sich mit der umfangreichen Literatur, die sich mit dem Kreationismus kritisch auseinandersetzt, zu beschäftigen.

Aufgrund der obigen Daten dürfen wir nun unsererseits Herrn B. vorschlagen, sich einmal mit der umfangreichen Literatur, die sich mit dem Evolutionismus kritisch auseinandersetzt, näher zu beschäftigen. Im übrigen sollten wir unsere Gesprächspartner einmal davon in Kenntnis setzen, dass wir, d. h. Sie und ich, keine Kreationisten sind. Wir glauben weder an buchstäbliche 24-Stunden-Schöpfungstage, noch dass das Universum nur 10 000 Jahre alt ist, noch an die Dreieinigkeit, noch an die Hölle (in welche nach Auffassung der Kreationisten die Evolutionisten u. a. kommen) etc..

Dr. B.: Sie sehen, dass der Film in fachlicher Hinsicht keine Anregungen geben kann, die in der Vergangenheit nicht bereits mehrfach diskutiert wurden.

Wie die bisherige Diskussion deutlich zeigt, liefert Ihr Film in fachlicher Hinsicht tatsächlich zahlreiche Anregungen, die unbedingt weiter diskutiert werden müssen. Die Kommentare von Herrn B. selbst zeigen mit hinreichender Deutlichkeit, dass nicht nur die Öffentlichkeit von den Vertretern der Synthetischen Evolutionstheorie irregeführt worden ist, sondern auch die vom Neodarwinismus indoktrinierte junge Generation von Biologen; denn Herr B. macht… auf mich den Eindruck eines intelligenten jungen Wissenschaftlers, der jedoch (wie seine Kommentare zeigen) vom Neodarwinismus völlig fehlinformiert worden ist!

Völlig abwegig erscheint mir der Versuch, Ihren Film aufgrund von Herrn B.s nachweislich falschen Behauptungen zu unterdrücken. Die Neodarwinisten zeigen hier den Geist mittelalterlicher Intoleranz und liefern damit eine Bestätigung für den Verdacht, dass es sich bei der Synthetischen Evolutionstheorie im wesentlichen nicht um Wissenschaft, sondern um Ideologie handelt.

Ihr Film ist ein erster großer Schritt zu dem wissenschaftlich und weltanschaulich enorm wichtigen Beitrag der Kritik der neodarwinistischen Ideologie, und das sowohl für Biologen als auch für die Öffentlichkeit überhaupt!

Um der Sache willen möchte ich mir nicht nur die Wiederholung Ihres anregenden Filmbeitrages im SFB und die Ausstrahlung in den anderen 3. Programmen wünschen, sondern auch einen weiteren ausführlichen Beitrag von Ihnen, in welchem die grundlegenden Aussagen und Behauptungen der führenden Evolutionisten der Welt, wie Dawkins, Dennet, Gould u. a. mit denen ihrer Kritiker genau verglichen werden können! Natürlich kann dies bei Fehlinformierten (und anderen) noch weiteres ‘maßloses Entsetzen’ auslösen. Ich bin jedoch der Auffassung, dass unsachlicher Protest auf der einen Seite sowie begeisterte Zustimmung auf der anderen für eine an objektiver Programmgestaltung interessierten Redaktion die Bedeutung der Thematik unterstreichen und dass beide Reaktionen zusammengenommen ein Grund mehr sein könnten, die Arbeit an solchen Projekten verstärkt fortzusetzen.

 

Literatur

(Vorbemerkung: Die im Text schon aufgeführten Lexika und Enzyklopädien werden hier nicht noch einmal erwähnt.)

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*Added am 16.9.99.

 

Mein Brief vom 2.12.1998 an Herrn Q:

Besten Dank für die Übersendung der Antwort (Kopie) vom 20. 11. 98 von Herrn Dr. B.. Gern möchte ich auch zu seinem zweiten Schreiben Stellung nehmen.

Als ersten Punkt möchte ich hervorheben, dass Herrn B.s Diskussionsmethodik für mich wenig überzeugend ist, denn:

1. Herr B. hat die fachliche Diskussion zu Ihrem Film eröffnet.

2. Wir haben dieses Angebot angenommen und daraufhin Punkt für Punkt jeden seiner Einwände diskutiert.

3. In seinem Antwortschreiben lässt er nun die meisten dieser Punkte einfach weg, führt aber zahlreiche völlig neue Argumente ins Feld, um daraufhin die Diskussionabzubrechen.

Ich meine, so kann man keine kompetente und überzeugende wissenschaftlich-fachliche Auseinandersetzung zur Ursprungsfrage führen. In seinem ersten Brief leitete Herr B. die Fachdiskussion wie folgt ein: "Abschließend - auch wenn es Sie nicht interessieren wird - einige fachliche Hinweise zum Inhalt des Films." Wir dürfen bei Herrn B.s Diskussions-Methodik nun unsererseits fragen, ob er selbst überhaupt ernsthaft an den zahlreichen offenen Fragen zum Evolutionsthema interessiert ist.

Wie dem auch sei, so möchte ich doch für Sie und alle Interessenten an der Diskussion wieder die fachlichen Einwände von Herrn B. (ausnahmslos) Punkt für Punkt zitieren und kommentieren.

Ich könnte mich dabei so kurz fassen wie Herr B.. Allerdings würde in diesem Falle meist nur Aussage gegen Aussage stehen. Um die Argumentation logisch nachvollziehbar darzustellen, ziehe ich es daher vor, meine Aussagen möglichst gut zu begründen und zu dokumentieren. Ich bitte daher um Verständnis, dass auch dieser Brief wieder etwas ausführlicher geworden ist. Gegen den Strom einer herrschenden Auffassung zu schwimmen, verlangt mehr Arbeit als sich treiben zu lassen oder auch sich aktiv mit ihm zu bewegen.

Weiter möchte ich hervorheben, dass das Widerlegen einer falschen Position nicht immer Freude bereitet. Will man jedoch fehlerhafte Behauptungen zu grundlegenden Fragen nicht einfach im Raum stehen lassen, dann gibt es dazu kaum eine Alternative.

Nun zum Text von Herrn Dr. B.:

Dr. B.: Sehr geehrter Herr Q., die ausführliche Stellungnahme von Herrn Dr. Lönnig zu meinem Schreiben vom 5.11.98 zeigt, dass es Ihnen ein großes Anliegen ist, die synthetische Theorie der Evolution zu ‘widerlegen’.

Die Widerlegbarkeit (Falsifizierbarkeit) ist seit Poppers Beiträgen ein Hauptkriterium zur Beurteilung der Frage, ob eine Theorie überhaupt als naturwissenschaftlich zu qualifizieren ist. Wir möchten an dieser Stelle vorschlagen, dass uns Herr B. einmal die Falsifikationskriterien für die Synthetische Evolutionstheorie nennt. Denn eine prinzipiell nicht widerlegbare Theorie ist keine naturwissenschaftliche Theorie! In der Diskussion mit dem Mikrobiologen [Prof. K.] habe ich hingegen für unsere Position klare Falsifikationskriterien genannt, Herr K. konnte das für den Neodarwinismus nicht (vgl. Sie bitte meine Arbeiten von 1995, und 1991/1998; siehe auch Mahner und Bunge 1997, p. 363).

Wenn sich eine (für ihre Vertreter!) nicht falsifizierbare Theorie in der Biologie als zentrale Tatsache etabliert - was übrigens in der Geschichte der Naturwissenschaften schon wiederholt vorgekommen ist - dann muss es ein ‘großes Anliegen’, ja ein großes naturwissenschaftliches Anliegen sein, diese ‘Theorie’ als das zu kennzeichnen was sie ist: eine unwissenschaftliche Behauptung. Ist diese ‘Theorie’ darüber hinaus noch mit zahlreichen negativen Konsequenzen für die Kultur- und Weltgeschichte verbunden, dann sollten alle Kulturfreunde dazu aufgerufen sein, sich an der Klärung der zur Diskussion stehenden Frage zu beteiligen. Und ich möchte noch einmal betonen, dass ich mich auch besonders aus dieser Sicht über Ihren Filmbeitrag freue.

Zu der Bedeutung der Konsequenzen möchte ich an dieser Stelle noch zwei Punkte unterstreichen: Der jüdische Biologe Simon Edwards (Perdue-University, USA) bemerkt zu Darwin und dem Holocaust: "I don’t claim that Darwin and his theory of evolution brought on the holocaust; but I cannot deny that the theory of evolution, and the atheism it engendered, led to the moral climate that made a holocaust possible." Und Gertrude Himmelfarb, wohl die beste Biologiehistorikerin unserer Zeit, fasst die Konsequenzen wie folgt zusammen: "From the ‘Preservation of Favoured Races in the struggle for life’, it was a short step to the preservation of favoured individuals, classes or nations - and from their preservation to their glorification. Social Darwinism has often been understood in this sense: as a philosophy, exalting competition, power and violence over convention, ethics and religion. Thus it has become a portmanteau of nationalism, imperialism, militarism, and dictatorship, of the cults of the hero, the superman, and the master race."

Es lässt sich jedoch auf naturwissenschaftlicher Ebene zeigen, dass die Darwinsche Theorie in allen wesentlichen Punkten falsch ist, d. h. also, dass die vermeintliche Grundlage für alle diese Fehlentwicklungen schon im Ansatz, in der Biologie selbst, gar nicht existiert und von daher der "short step" gar nicht möglich ist. Mit Filmen wie dem Ihrigen wird folglich weiteren Fehlentwicklungen der Boden entzogen.

Es muss daher sowohl aus wissenschaftlichen als auch kulturhistorischen Gründen ein ‘großes Anliegen’ sein, diese Theorie genau zu prüfen.

Nun zum Text von Herrn Dr. B.:

Dr. B.: Jedoch kann ich keinen Einwand finden, der es rechtfertigt, meine Aussagen als "nachweislich falsche Behauptungen" zu bezeichnen.

Wenn das ein Fazit nach gründlicher Behandlung und Klärung unserer zahlreichen Einwände zur neodarwinistischen Position wäre, dann könnte man das akzeptieren. So aber steht nur eine Behauptung im Raum, die wir mit der Erinnerung an folgende historische und biologische Tatsachen wie folgt klären möchten (Details in meinem Brief vom 14./15. 11. 98):

1) Dr. B.: Der im Film DARWINs Vorstellungen zugesprochene "LYSSENKOismus" unter STALINs Regime fußt auf der Vorstellung von der Vererbung erworbener Eigenschaften, also Ideen LAMARCKs. Dennoch sollte man sich davor hüten, diesen hervorragenden Wissenschaftler hierfür verantwortlich zu machen.

Das ist in folgenden Punkten als nachweislich falsch zu bezeichnen: Darwin selbst behauptete die Vererbung erworbener Eigenschaften als integralen Bestandteil seiner Theorie. Auf Darwin, nicht auf Lamarck, berief sich der Lyssenkoismus. Darwin (und nicht etwa dem Andenken Lamarcks) wollte schon Karl Marx den ersten Band des Kapitals widmen.

2) Dr. B.: Nach Makromutationen, die für die sogenannte Makroevolution oder transspezifische Evolution verantwortlich gemacht werden sollen, wird in der Forschung schon lange nicht mehr gesucht.

Das ist nachweislich falsch. Auch davon kann sich jeder aufrichtige Forscher und Denker anhand der Arbeiten der zitierten Autoren leicht selbst überzeugen.

3) Dr. B.: Im übrigen kann man auch das Okapi als einen "Brückenorganismus" für die Giraffe ansehen, wenn einem die Evolution des Giraffenhalses unvorstellbar erscheint.

Das ist nachweislich falsch, denn zwischen einem Okapi-ähnlichen Vorfahren und der Giraffe fehlen die vom Gradualismus geforderten tausend Bindeglieder und das Synorganisationsproblem bleibt ungelöst. Gould hat als einer der führenden Evolutionisten der Welt die Problematik der Synthetischen Evolutionstheorie beim Beispiel der Giraffe 1996 auch öffentlich anerkannt. (Ich habe diese Arbeit allerdings erst jetzt, d. h. nach unserer bisherigen Diskussion, einsehen können und freue mich über die zahlreichen Bestätigungen unserer Arbeit von unerwarteter Seite! Vgl. Sie bitte die Anlagen!)

4) Dr. B.: Die Erklärung für die Entstehung neuer Baupläne liefert die Theorie der additiven Typogenese, wonach die Summe vieler kleiner Schritte mit Anpassungscharakter einen neuen Typus ergibt.

Das ist nachweislich falsch: Denn Herr B. kann nicht einmal die Entstehung bestimmter weniger komplexer Strukturen innerhalb von Bauplänen erklären (siehe Testvorschlag zu Utricularia und Elektromotor von E. coli), geschweige denn die Entstehung ganzer Baupläne!

5) Dr. B.: Der graduelle Gestaltwandel ist durch die gängigen Evolutionsfaktoren verständlich zu machen.

Das ist nachweislich falsch: Der ‘graduelle Gestaltwandel’ ist für die Entstehung der Baupläne etc. gar nicht belegbar (vgl. u.a. Ernst Mayr p. 11 dieses Briefes) und die ‘gängigen Evolutionsfaktoren’ sind unzureichend. Herr B. kann damit auch nicht die zahlreichen Synorganisationsmerkmale der Giraffe und der anderen genannten Beispiele wissenschaftlich verständlich machen und andere Neodarwinisten können das genauso wenig!

Wenn gewünscht, können weitere nachweislich falsche Aussagen von Herrn B. aufgeführt werden.

Dr. B.: Das häufige Zitieren anderer Autoren verleiht der Stellungnahme nicht automatisch mehr Gewicht.

Anstatt zum Inhalt der Zitate Stellung zu nehmen, der in vielen Punkten die Synthetische Evolutionstheorie widerlegt, umgeht Herr B. diese Tatsache, indem er das ‘häufige Zitieren’ bemängelt! Das nenne ich ein Musterbeispiel für eine ignoratio elenchi.

Bei der Frage zum Beispiel, "ob nach Makromutationen, die für die sogenannte Makroevolution oder transspezifische Evolution verantwortlich gemacht werden sollen, in der Forschung schon lange nicht mehr gesucht wird" (B.), haben natürlich die gegenteiligen Aussagen zweier Nobelpreisträger und dazu zahlreicher weiterer Biologen "automatisch mehr Gewicht" als wenn ich eine leere Verneinung in den Raum stellen würde. Zur Methode und Bedeutung von Zitaten habe ich übrigens in der Einleitung meines Briefes vom 14./15. 11. 1998 auf meine Diskussion in der Artbegriffs-Arbeit, pp. 10-12, hingewiesen. Das aber nimmt Herr B. gar nicht erst zur Kenntnis!

Dr. B.: Ich weise noch einmal in absoluter Kürze auf einige Kernpunkte hin, die Herrn Dr. Lönnig, Ihnen und manch anderem Anhänger der "Schöpfungslehre" (Kreationisten) unklar zu sein scheinen:

Wir wollen an dieser Stelle wieder nachdrücklich betonen, dass Herr B. bisher auf keinen einzigen rein inhaltlichen Punkt unserer Einwände zu sprechen gekommen ist. Auf die meisten seiner Kernpunkte weist er auch nicht "noch einmal" hin, sondern beginnt erst jetzt damit. Er führt jetzt also völlig neue Einwände auf, ohne die ‘alten’ im Sinne der Synthetischen Evolutionstheorie geklärt zu haben!

Dr. B.: 1. Die philosophisch-metaphysische Annahme, dass es auf unserer Welt ausschließlich mit natürlichen Dingen zugeht, und dass man bei der Erklärung von Phänomenen ohne übernatürliche Kräfte auskommt, ist keine ‘Erfindung’ der Biologen.

Herr B. spricht völlig zutreffend von (s)einer "philosophisch-metaphysischen Annahme, dass es auf unserer Welt ausschließlich mit natürlichen Dingen zugeht..." Jacob von Uexküll bemerkte zur dogmatisch-ausschließlichen Übertragung dieser Annahme auf die Ursprungsfrage in der Biologie:

Der Darwinismus, dessen logische Folgerichtigkeit ebenso zu wünschen lässt wie die Richtigkeit der Tatsachen, auf die er sich stützt, ist mehr eine Religion als eine Wissenschaft. Deshalb prallen alle Gegengründe an ihm wirkungslos ab; er ist weiter nichts als die Verkörperung des Willensimpulses, die Planmäßigkeit auf jede Weise aus der Natur loszuwerden. So ist der Entwicklungsgedanke die heilige Überzeugung Tausender geworden, die aber mit einer vorurteilslosen Naturforschung gar nichts mehr zu tun hat. (Vgl. Lönnig 1998.)

Die Annahme, dass es auf unserer Welt ausschließlich mit natürlichen Dingen zugeht, ist ein Dogma materialistischer Philosophie. Dieses Dogma kann zu erheblichen Erkenntnisschwierigkeiten führen, wie der folgende Auszug aus einer Diskussion mit einem anderen Evolutionstheoretiker (einem Botaniker) aus dem Jahre 1994 zeigt:

(Prof. D.:) "Die Frage nach dem Konstrukteur ist daher tatsächlich vom Naturwissenschaftler grundsätzlich abzulehnen."

Ich stelle mir zur Veranschaulichung nur einen solchen Naturwissenschaftler vor, der - sagen wir - auf dem Mars ein ihm bisher unbekanntes komplexes und vielfach vernetztes Computer- und Datenverarbeitungssystem entdecken würde, ohne dessen Erfinder zu kennen oder ohne weiteres identifizieren zu können. Was macht er nun mit seiner naturwissenschaftlichen Denk- und Arbeitsweise? Antwort: "Die Frage nach dem Konstrukteur ist daher tatsächlich vom Naturwissenschaftler grundsätzlich abzulehnen!" Er wird folglich alle qualitativen Phänomene auf quantitative reduzieren wollen und dann eine entsprechende naturwissenschaftliche Theorie formulieren (siehe weitere Beispiele und Diskussion, Artbegriff p. 285 ff.). Und ich behaupte nun mit allem Nachdruck, dass kein halbwegs normaler Naturwissenschaftler in dieser Situation so vorgehen würde. Fast jeder Naturwissenschaftler wird nach dem intelligenten Ursprung und nach dem (oder den) Konstrukteur(en) fragen. Und genau deswegen zeige ich auch immer wieder die Identität kybernetischer Systeme in Biologie und Technik auf. Die Frage ist auf beiden Gebieten nicht nur legitim, sondern zur Wahrheitsfindung absolut unerlässlich (vgl. weiter Artbegriff S. 286).

Wenn man nicht den Naturwissenschaftler, sondern nur die Naturwissenschaft in der oben zitierten Weise beschränkt (was ja auch für weite Bereiche völlig legitim ist) und in diesem Rahmen die Schlussfolgerung von der Konstruktion auf den Konstrukteur grundsätzlich verbietet, dann kann man - um nicht völlig an den Realitäten vorbei zu gehen - auf der anderen Seite aber auch argumentieren, dass die Biologie eben mehr ist als nur beschränkte Naturwissenschaft (von Buddenbrock, Portmann, Troll, Eckardt, S.Vogel, O.Kuhn, Spemann, von Frisch, Eccles und viele andere). Die Biologie ist dann zumindest in den Ursprungsfragen auch 'Geisteswissenschaft' und damit sind diese Fragen und Schlussfolgerungen auch innerhalb der Biologie wieder legitim. Weiter darf man darauf hinweisen, dass die Schlussfolgerung von der Konstruktion auf den Konstrukteur aufgrund aller Erfahrungen sowohl logisch als auch intersubjektiv nachvollziehbar ist (vgl. weiter Artbegriff S. 288, oben).

Auf meinen Hinweis auf das evolutionistische Denkverbot (Artbegriff, p. 8) reagierte Herr D. recht emotional:

(Prof. D.:) "Das ist kein feiges oder illegitimes oder vorurteilsbelastetes Denkverbot, sondern im Gegenteil eine Notwendigkeit für den methodisch sauber und ehrlich arbeitenden Wissenschaftler."

Welch Adjektive! (Sie stammen nicht von mir.) Da steht unser Naturwissenschaftler in der obigen Veranschaulichung vor dem komplexen und vielfach vernetzten Computer- und Datenverarbeitungssystem und will dessen Herkunft "naturwissenschaftlich", d. h. mit den zitierten Einschränkungen, erklären. Er lehnt daher die Frage nach dem Konstrukteur kategorisch ab und erklärt, das sei "kein feiges oder illegitimes oder vorurteilsbelastetes Denkverbot, sondern im Gegenteil eine Notwendigkeit für den methodisch sauber und ehrlich arbeitenden Wissenschaftler". Mehr noch, er versucht diejenigen, die die richtige Frage stellen, in ihrer Arbeit und ihrem Fortschritt zu behindern und behauptet, nur seine Fragestellung und Methodik sei sauber und ehrlich. Gleichzeitig baut er jedoch zur Ursprungsfrage ein nicht verifizierbares, nicht falsifizierbares und nicht quantifizierbares Erklärungssystem auf, in dem "der Zufall" eine entscheidende Rolle spielt. Ich meine, die Frage muss erlaubt sein, ob das wirklich noch sauber und ehrlich ist, von der Toleranzfrage ganz zu schweigen. - Was auf die Methodik zur Entschlüsselung der Funktion der Systeme zutrifft, kann bei der Frage nach dem Ursprung der Systeme völlig verfehlt sein.

Ich möchte anmerken, dass Herr D. darauf nichts mehr erwiderte.

Dr. B.: Dieses und noch zahlreiche weitere Axiome sind Grundannahmen, die sich im Gefüge aller Wissenschaftszweige bewährt haben, und die einen intersubjektiven Erkenntnisgewinn erst ermöglichen. Weiterführende Anregungen zum Thema finden Sie in "Foundations of Biophilosophy" (Mahner & Bunge 1997), Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, New York.

Die Behauptung, dass erst das materialistische Denkverbot ("Schließe auch von den genialsten Konstruktionen in der Natur niemals auf den intelligenten Konstrukteur!") einen intersubjektiven Erkenntnisgewinn ermöglicht, wird durch die Tatsache widerlegt, dass fast "alle Begründer der modernen Biologie, wie Linné, Cuvier, von Baer, Pasteur, Johannes Müller, Agassiz, (Mendel) und viele andere (in neuerer Zeit wären z.B. Kuhn, Portmann, Troll, Thompson, W.R., Spemann, Uexküll u.a.)" mit der Erkenntnis des Geistigen als Ursache für den Ursprung der Organismenwelt bzw. mit einem intelligenten Konstrukteur gerechnet haben (vgl. Artbegriff S. 289). Für die Pioniere der modernen Biologie war der Schluss von den biologischen Konstruktionen auf den intelligenten Konstrukteur selbstverständlicher Teil ihrer Arbeit. Und es handelte sich für alle Beteiligten dabei um intersubjektiven Erkenntnisgewinn. Wäre die Meinung richtig, dass man Wissenschaft erst nach Akzeptierung des oben zitierten materialistischen Denkverbots treiben könnte, dann hätten alle diese genialen Köpfe besser ihren Beruf aufgegeben: denn vernünftige Wissenschaft wäre ihnen gar nicht möglich gewesen und die Fundamente der modernen Biologie hätten sie erst recht nicht legen können.

Zu dem von Herrn B. empfohlenen Werk von M. Mahner und M. Bunge (1997) wäre ein eigenes ausführliches Referat am Platz. Im Zusammenhang mit unserer Diskussion zu B.s Einwänden möchte ich hervorheben, dass die Autoren die Synthetische Evolutionstheorie für unzulänglich halten und damit unsere Auffassung bestätigen (p. 344):

To begin with, we must ask whether there is such a thing as the theory of evolution at all. More precisely, we have to ask whether there is a general or perhaps hypergeneral unified theory of evolution. Some authors (e.g. M.B. Williams 1970, 1973a; Rosenberg 1985, 1994) believe that the theory of natural selection is at the center of evolutionary theory, hence the theory of evolution. Others (e.g., Ruse 1973) are more inclined to view population genetic theory as the kernel of evolutionary theory. As will be obvious from the preceeding, neither of the two theories is a complete evolutionary theory.

(Die Autoren haben im Original "evolutionary theory" zu ET abgekürzt.)

Die Populationsgenetik ist unzulänglich, weil sie weder den Ursprung der Eukaryonten erklären kann, noch die "emergence of qualitative novelty" etc. Und zur Selektionstheorie bemerken die Autoren u. a. (p. 345):

The theory of natural selection is also insufficient, as focussing on the differential survival and reproduction of either genes, organisms, or populations. It certainly explains the differential trans-generational distribution and the prevalence of these entities in a given habitat; but it takes the concept of (ad)aptedness for granted - in other words, it treats (ad)aptedness as a black box - and thus leaves the very essence of selection unaccounted for, namely the organism-environment interaction. The latter can only be explained with the help of functional morphology and ecology, both organismal and populational.

To conclude, only all the previously mentioned theories are necessary and (hopefully) sufficient for a fully-fledged explanation of biological evolution. Therefore the so-called Synthetic Theory is far from being a synthesis of all we need to account for biotic evolution. Moreover, neither the Synthetic Theory nor a combination of all the above-mentioned disciplines and theories seems to constitute a single unified general theory. (Hervorhebungen im Schriftbild von mir.)

Mit anderen Worten sind die Autoren der Auffassung, dass wir bis heute noch keine befriedigende und umfassende Evolutionstheorie vorweisen können. Zur Frage nach der Falsifizierbarkeit der Synthetischen Theorie räumen die Autoren ein (p. 363): "In its general form, it is indeed only confirmable but not refutable" etc. (‘fett’ von mir). - Worauf die Autoren Verbesserungsvorschläge versuchen. Wie unsere Beispiele Utricularia und der E.coli-Motor etc. zeigen, ist die Synthetische Theorie für ihre Befürworter in der Praxis weder confirmable noch refutable (‘pure Metaphysik’). Karl Popper wird von Mahner und Bunge zum Teil richtig, aber in wesentlichen Punkten auch missverstanden (p. 124: "Astrology" als Wissenschaft: vgl. dagegen Artbegriff p. 207). Die Einwände der Autoren zur Schöpfungslehre (z. B. pp. 363/364) sind seit Jahren widerlegt (zu ‘design flaws’ vgl. z. B. Lönnig 1989, Davis and Kenyon 1989, 1993, Gish 1993, ReMine 1993, Junker und Scherer 1998 und viele weitere Arbeiten). Bei Mahner und Bunge fehlt die Diskussion des transformed cladism, obwohl sie Nelson, Platnick u. a. zitieren. Mahner und Bunge bekennen sich (p. 378) zu einer "emergentist-materialist philosophy", die prinzipiell (dogmatisch!) den Schluss von biologischen Konstruktionen auf den intelligenten Konstrukteur verbietet.

Im Zusammenhang mit Herrn B.s Empfehlung dieser Arbeit sei noch hervorgehoben, dass Mahner und Bunge die neodarwinistischen Vorstellungen zur Genetik als "neopreformationism" und sogar als "outright platonism" einstufen (p. 280):

Furthermore, in neopreformationism "the organism effectively disappears from biology as a fundamental entity and is replaced by a collection of sufficient causes in the genome: i.e., the phenotype is reducible to the genotype" (Goodwin 1984, p. 224). This reductionist view fits nicely into the population genetic form of the Synthetic Theory, which identifies evolution with the change of gene frequencies in populations, and selection with the differential replication of genotypes. In its extreme version, neopreformationism is a form of outright Platonism: "A gene is not a DNA molecule; it is the transcribable information coded by the molecule" (G.C. Williams 1992a, p. 11). (Hervorhebungen im Schriftbild von mir.)

Dr. B.: Für Anhänger der "Schöpfungslehre" bleiben zahlreiche mit Gesinnungsgenossen zu diskutierende Fragen, bei deren Klärung man nicht der Gefahr unterliegt, sich auf wissenschaftliches Terrain zu begeben.

Herr B. kennt weder die neuere Geschichte der Schöpfungslehre noch das wissenschaftliche Terrain, auf dem sich die Diskussion heute abspielt.

Dr. B.: Hier einige Beispiele: Gibt oder gab es vielleicht mehrere Schöpfer?,...

Diese Frage hat mit systematisch-wissenschaftlicher Methodik u. a. Walter James ReMine in seinem Buch THE BIOTIC MESSAGE (1993, 539 pp.) aufgegriffen. ReMine hat sie im Detail diskutiert und (unter Einbeziehung zahlreicher neuer Daten sowie in Übereinstimmung mit mehreren weiteren älteren und neueren Autoren) beantwortet: Die Einheit der Natur weist auf eine gemeinsame intelligente Ursache hin, auf den einen Schöpfer. Das gründliche Studium dieses Buches ist ein Muss für alle, die an der Ursprungsfrage ernsthaft wissenschaftlich interessiert sind.

Dr. B.: ...Schöpfer, die sich gegenseitig schöpfen?...

(Herr B. meint "erschaffen".) Diesen und zahlreiche weitere Einwände und Fragen habe ich in der Artbegriffsarbeit ausführlich diskutiert (vgl. pp. 288 ff.)

Dr. B.: ...oder auch antischöpferisch wirkende Kräfte?.

Das ist ein ganzes Thema für sich. Als Einstieg könnte man die Geschichte des 20. Jahrhunderts nehmen.

Dr. B.: 2. Die phylogenetische Systematik wurde nicht verstanden,...

Ich beschäftige mich mit der phylogenetischen Systematik seit 1965, aber man will ja dazulernen. Wie begründet Herr B. seine Behauptung?

Dr. B.: ...sonst würde das angebliche Gegenargument fehlender Übergangsformen nicht derartig überstrapaziert.

Herr B. hätte das "angebliche Gegenargument" mit der Aufführung der kontinuierlichen fossilen Übergangsserien von Sauriern zu Archaeopteryx und von Okapi-ähnlichen Vorfahren zur Giraffe widerlegen müssen. Aber es gibt die kontinuierlichen fossilen Übergangsserien nicht, auch nicht bei den am besten überlieferten Formen (vgl. Zitat Kuhn). Es handelt sich damit nicht um ein "angebliches", sondern um ein wissenschaftliches Gegenargument.

Nebenbei bemerkt würden selbst mehrere als "Brückenorganismen" apostrophierte Mosaikformen in beiden Fällen noch nicht die kontinuierliche Evolution im Sinne des Neodarwinismus beweisen, und zwar genauso wenig wie Mosaikformen zwischen den ersten Daimler-Benz-Modellen und heutigen Mercedes-Ausgaben deren Selbstorganisation und kontinuierliche Zufalls-Entwicklung über kontinuierliche Übergangsserien beweisen können. So kommen z. B. im Falle der Vögel die Liaoning-Funde 5 - 10 Millionen Jahre zu spät. Mit dem aus diesen Funden sich ergebenden Konvergenz-Postulat der Federentstehung und zahlreicher weiterer Strukturen haben sich überdies ganz neue hochbrisante Probleme für die Synthetische Evolutionstheorie gestellt.

Aber was hat das "angebliche Gegenargument" damit zu tun, dass die phylogenetische Systematik nicht verstanden wurde? Nächster Satz:

Dr. B.: Ob z. B. der "Archaeopteryx" auf der Ahnenlinie der rezenten Vögel liegt oder einen eigenen durch sogenannte Autapomorphien begründeten Seitenzweig darstellt, ist für die Evolutionstheorie völlig bedeutungslos.

(Vorbemerkung für Leser, denen der Begriff Autapomorphie neu ist: Bei den Autapomorphien handelt es sich um ‘abgeleitete Merkmale, die nur bei einem bestimmten Taxon vorkommen’ (Wagenitz). Siehe auch die Begriffsdefinitionen am Ende des Briefs.)

Unter der (zu beweisenden!) Voraussetzung, dass die postulierte Evolution eine Tatsache ist, kann man den Sachverhalt vielleicht so sehen. Der Beweis für diese Voraussetzung ist jedoch niemals geführt worden, von dem Problem der Falsifikationskriterien einmal ganz abgesehen. Bei der Frage also, ob es die neodarwinistisch-kontinuierliche Evolution überhaupt gegeben hat, stellt sich heraus, dass es nicht nur die postulierten Stammformen und fossilen Übergangsserien nicht gibt, sondern dass nach der phylogenetischen Systematik selbst die nicht gerade zahlreich vorhandenen ‘Bindeglieder’ auch nur als "Gedankenbrücken" (B.) und nicht als reale Bindeglieder gelten können. Das ist ein ganzes Stück weiter weg von dem ursprünglichen Postulat nach "echten Bindegliedern" und kontinuierlichen Übergangsserien als Beweisen für die Evolutionstheorie. D. h., die Beweise werden selbst innerhalb der Theorie schwächer, - und das sogar nach Auffassung zahlreicher Biologen, die die Evolutionstheorie gar nicht ablehnen.

Ich darf noch einmal an folgende Punkte aus meinem letzten Brief erinnern:

Tatsache ist: Der genetische Beweis fehlt bisher vollständig und es gibt keinen einzigen Fund von dem Evolutionstheoretiker zurecht sagen könnten, dass er der Vorfahr der heutigen Vögel sei oder dass er auf einer der angenommenen evolutionären Ahnenlinien der heutigen Vogelordnungen liege. Und die Grundaussage von den unbekannten Ahnen trifft auf praktisch alle Tier- und Pflanzengruppen zu, weshalb die als transformed cladists bekannte Gruppe von Systematikern ihre Kladogramme nicht mehr evolutionistisch deutet.

Historisch gesehen haben vor allem die mangelhaften Evolutionsbeweise zu der eben erwähnten Schule der transformed cladists (pattern cladists) geführt. D. h. also, dass die - nicht nur auf Archaeopteryx, sondern auf alle Tier- und Pflanzengruppen zutreffende - oben beschriebene Situation nun keineswegs für die Evolutionstheorie völlig bedeutungslos ist (für Herrn B. vielleicht schon, nicht aber für die Geschichte der Evolutionstheorie).

Wendell Bird hat diesen Punkt wie folgt sehr kompetent zusammengefasst. Ich zitiere diesen Fragenkomplex etwas ausführlicher und ermuntere zum gründlichen Studium auch dieser zunächst wohl etwas komplex und langwierig erscheinenden Passage, denn die Ausführungen sind für die Beurteilung des B.schen Einwandes von zentraler Bedeutung. Bird berichtet zum Thema Phylogeny Argument and Difficulties (1989, p. 187ff.- die kleinen Zahlen verweisen auf Literaturangaben und weitere Anmerkungen des Autors):

The phylogeny argument for macroevolution is based on "phylogenetic trees" of assumed evolutionary descent.417 (A phylogeny is a "sequence of ancestor-descendent forms."418) This phylogeny field of systematics "is the very cornerstone of evolutionary analysis"420 Yet it is a weak cornerstone, according to a number of evolutionists as well as nonevolutionist biologists.

One problem with the phylogeny argument is that reconstruction of phylogenies is impossible in the professional opinion of many evolutionists such as Hull, a philosopher of science at Northwestern University:

The chief question with respect to phylogenetic reconstruction has always been its feasibility. Throughout the history of "Systematic Zoology", a series of objections have been raised to it, starting with Blackwelder, Bigelow, Boyden, and Borgmeier, continuing with the pheneticists, and culminating with at least some cladists.

For example, the cladist objection to phylogenies begins with the point that "common ancestral species are necessarily hypothetical, and...will forever remain unknown and unknowable in a directly empirical sense," Nelson states.421 Consequently, rough ancestral groups must be used instead, and they are "flawed artifacts" with questionable assumptions, Patterson contends:

Because of all these problems, it is rare to find palaeontologists offering ancestral species, or doing so with any conviction. Instead, they usually propose "ancestral groups", as approximations to the truth, with the claim that the true ancestor, if found, would fall within the group...Yet these flawed artifacts play a central role in phylogenies - accounts of evolutionary descent of lineages. This raises yet another problem, for groups cannot evolve - species are the largest units capable of change. Thus cladistics calls into question much of conventional evolutionary history.422

The rejection of phylogenies - and of macroevolution itself - by many pheneticists and cladists is discussed in the next subsection.423

Another serious difficulty, related to the first, is that phylogenies are almost totally speculative. Bonner says that those in textbooks "are, as a rule, a festering mass of unsupported assertions."424 Ghiselin concludes that many "read like imaginative literature" and "fill gaps in the data with speculations."425 Boyden observes that "phylogenies grew up like weeds" for "even organisms with no fossils available",426 and Good notes that such "studies in plant evolution are generally no more than the raw materials of phylogenetic speculation."427 Charig calls some "meaningless waffle", 428 Turrill calls most "extremely doubtful approximations", 429 and Sokal calls many "utter rubbish."430 The gross subjectivity of postulated phylogenies is evident in the treatment of the fossil record as inadequate when the fossils do not fit the phylogenetic hypotheses but as adequate when the fossils can be interpreted to support the phylogenetic hypotheses:

But when a new fossil is found and is inconsistent with the phylogeny (like Ichthyostega), the stratopheneticist’s answer is that this test has shown that the fossil record was insufficiently dense and continuous for the method to work. And when a new fossil is consistent with the phylogeny, the record was sufficiently dense and continuous. Plainly, the method is hard to fault, for the fossil record, rather than the phylogeny, is under test (cf. Nelson, 1978)...431

Forey concurs in that objection, 432 and Kitts provides part of the reason in noting that "paleontological phylogeny construction has not been provided with a solid theoretical foundation."433 (Unterstreichungen vonmir.)

In den folgenden Ausführungen kommt Bird auf den im letzten Brief nach Kuhn zitierten Zirkelschluss zu sprechen und weiter auf den für unsere Argumentation zum obigen Einwand B.s wichtigen Punkt der nicht nachweisbaren Phylogenien (p.188/89):

A further problem, closely related to the preceeding ones, is that phylogenies are used to support macroevolution through circular reasoning, as Thompson notes:

(A)ny reasonable graded series of forms can be thought to have legitimacy. In fact, there is circularity in the approach that first assumes some sort of evolutionary relatedness and then assembles a pattern of relations from which to argue that relatedness must be true. This interplay of data and interpretation is the Achilles’ heel of the second meaning of evolution.434

Forey,435 Cartmill,436 and Kitts 437 reaffirm the presence of circular reasoning.

A crowning problem is that the quest for phylogenies has "failed" utterly, according to Saiff and Macbeth:

A. The Commitment in Theory. Darwinian theory asserts that physical descent with modification has been universal, which means that every modern species is the latest link in a phylogeny. There must therefore have been hundreds of thousands of phylogenies, and it was Darwin’s expectation that these would be found. His followers, sharing his expectation, felt a duty to seek and find phylogenies....

B. Another Miserable Failure. The expectations were in vain. The zeal came to naught. In the 125 years since the Origin was published, nothing has been accomplished. No phylogenies have been established and the pursuit has fallen into disrepute. The following authorities attest to this.438

Worauf Bird den führenden Neodarwinisten unseres Jahrhunderts, Ernst Mayr, mit folgendem Bekenntnis zitiert:

Mayr finds the "futile attempts" to be "depressing":

The futile attempts to establish the relationship of the major phyla of animals induced at least one competent zoologist at the turn of the century to deny common descent. Fleischmann (1901) called the theory a beautiful myth not substantiated by any factual foundation. Kerkut, fifty years later, does not draw such extreme conclusion but he is almost equally pessimistic about ever achieving an understanding of the relationship of the higher animal taxa. Honesty compels us to admit that our ignorance concerning these relationships is still great, not to say overwhelming. This is a depressing state of affairs considering that more than one hundred years have passed since the great post-Origin period of phylogeny construction. The morphological and embryological clues

Und das trifft auch auf neuere molekulare Befunde zu.

Fassen wir zusammen: Erwartet wurde ursprünglich der paläontologische Nachweis zahlreicher Phylogenien. Dieser erwartete Nachweis der Sequenzen von "ancestor-descendent forms" ist jedoch in den bald 150 Jahren intensivster Arbeit seit der Origin für den Ursprung keiner einzigen der major phyla und higher animal taxa gelungen. Und das gleiche trifft auf praktisch alle Gruppen (in der Regel bis mindestens zum Familien- oder noch weiter bis zum Gattungs- oder gar Artniveau) auch innerhalb der major phyla und higher animal taxa zu (ich denke nur an unser Giraffenbeispiel!) und beides zusammen gilt ebenso für die Pflanzenwelt.

Die gefundenen "Brückenorganismen" zeigen überdies regelmäßig Merkmale (Autapomorphien), die sie als Vorfahren einer heute lebenden Gruppe ausschließen. Um überhaupt die Stammbaumidee aufrecht erhalten zu können, hat man nun alle Bindeglieder (wie Archaeopteryx) auf letztlich nachkommenlose Seitenäste angeordnet. Sie konnten jetzt immerhin noch als "Gedankenbrücken" dienen. Gemessen an den ursprünglichen Erwartungen jedoch ist die Stammbaum-Hypothese nicht bestätigt worden, und sie ist unter Beibehaltung der nicht erwiesenen Gesamtevolution regelmäßig durch die Hilfshypothese des Seitenastes ersetzt worden (wenn schon nicht die erwartete Stammform, dann aber doch Seitenast). Die Seitenäste selbst sind jedoch auch nicht durch kontinuierliche Übergangsserien abgesichert. Für jemanden, der die Evolution nicht ohne Beweise akzeptiert, ist der Schritt von der Hypothese (den erwarteten zahlreichen Stammformen und Phylogenien) zur Hilfshypothese (praktisch alle Funde liegen auf ebenso unbewiesenen Seitenästen) ein Schritt hinter den Erwartungen der Theorie zurück.

Die transformed cladists (auch als pattern cladists bezeichnet) verstehen das genauso und haben daraus und aus weiteren Gründen den Schluss gezogen, dass man die Systematik und Kladistik auch ohne Evolutionstheorie praktizieren kann und muss:

Within the transformed cladistic school, "evolution is deliberately ignored, being considered unproven and possibly unprovable", according to Charig318 and others.319 Patterson, a leading cladist and senior palaeontologist at the British Museum, writes that ‘cladistics is theoretically neutral so far as evolution is concerned. It has nothing to say about evolution. You don’t need to know about evolution, or believe in it, to do cladistic analysis.’ 320

Benton, at the Museum of The University of Oxford, concurs that transformed cladists perform classification "without any prior assumptions that evolution has taken place" and claim that classification "does not depend on the theory of evolution."321 Ridley, a critic and professor of Zoology at Oxford, notes that transformed cladists assert "that they can do cladism without evolution, and what they can do they will."322 Many others have noted, sometimes in rage, the nonevolutionary nature of transformed cladistics...(Bird, p. 91)

Mit leichter Distanz zu evolutionistischen Voraussetzungen diskutieren weiter Rieppel (1983) ("Kladismus oder die Legende vom Stammbaum" ) und Grande und Rieppel (1994) die Schule der transformed cladists. - Zum Themenkreis der Systematik und Evolution wäre noch sehr viel zu sagen. Aber ich vermute, die Sache wird an dieser Stelle doch zu ausführlich. Zurück zu Archaeopteryx:

Dr. B.: In beiden Fällen weist er die selben Apomorphien auf, die er mit den rezenten Vögeln teilt...

In beiden Fällen wird für die phylogenetische Interpretation die kontinuierliche Evolution - ohne Beweise - als Tatsache vorausgesetzt. In beiden Fällen handelt es sich damit um den Einsatz materialistischer Metaphysik (Religion), nicht um Naturwissenschaft!

Dr. B.: ...als da wären u. a. Federn, Intertarsalgelenk, (nur) 3 Finger, 1. Zehe zeigt nach hinten, Pubis zeigt nach hinten, stabförmiges Schulterblatt, evtl. Hornschnabel. Er verfügt zudem über zahlreiche plesiomorphe Merkmale, die er mit vielen "Reptilien" (einer paraphyletischen Gruppe) teilt, hierzu zählen z. B. die Krallen an den Fingern und die Zähne. Zur Beschäftigung mit diesem Themenkreis empfehle ich die "Einführung in die Phylogenetik und Systematik" von Sudhaus & Rehfeld (1992), Gustav D. Stuttgart.

- Vgl. zu Archaeopteryx Junker und Scherer 1998, pp. 218-222.

Wie oben verdeutlicht, ist die kladistische Analyse auch ohne evolutionistische Interpretation möglich.

Sudhaus und Rehfeld beschreiben recht treffend die allgemeine paläontologische Situation wie folgt (p. 186):

Das Bild, das uns die Paläontologie vermittelt, ist zunächst sehr erstaunlich: Neue Baupläne treten oft übergangslos auf und sind gleich in einer Fülle verschiedenster Abwandlungen vorhanden.

So entstanden etwa die Insektenfresser, Huftiere, Raubtiere und Primaten in einem kurzen Zeitraum von nur etwa 12 Millionen Jahren. Auch so extrem verschieden angepasste Gruppen wie Fledermäuse und Seekühe müssen in einer so kurzen Zeit entstanden sein und sind fossil nur im "fertigen Zustand", also mit allen ihren synorganisierten Merkmalen bekannt. - Ähnliches gilt für die verschiedenen Gruppen der Vögel und Insekten.- Die vor allem durch Pollen gut dokumentierte Evolution der Bedecktsamer (Angiospermen) setzte ziemlich abrupt in der Kreidezeit ein.

Die Autoren führen diesen Befund auf die generelle Lückenhaftigkeit der Fossilüberlieferung zurück (p. 197) (vgl. dagegen die Ausführungen nach Kuhn: Zitat im Brief vom 14./15.11.98 und die Literaturhinweise).

Ein paar (weitere) Kritikpunkte: Bei Sudhaus und Rehfeld fehlt ebenso wie bei Mahner und Bunge die Diskussion des Transformierten Kladismus. Die Begründung der Theorie der additiven Typogenese (pp. 185-190) berücksichtigt nicht die auch schon damals bekannten neueren Ergebnisse aus der Paläontologie (z. B. zum Pferdestammbaum). Die seit etwa 1980 neu belebte Diskussion in der Genetik zum Thema ‘Makromutationen’ - ob zu Recht oder Unrecht sei dahingestellt - zum sprunghaften Auftreten neuer Formen ist den Autoren scheinbar genauso unbekannt (jedenfalls wird diese Diskussion nicht genannt). Die Lösungsvorschläge zum Synorganisationsproblem (pp. 193-197) sind unzureichend: vgl. zur "Evolution des Schädels der Säugetiere" (pp. 194-196) die Diskussion bei Junker und Scherer 1998, pp. 227-231. - Utricularia wird erwähnt (p. 192) und kurz beschrieben (p.194), aber eine Diskussion der Entstehung durch Mutation und Selektion fehlt. Zahlreiche Daten und Aussagen zur Rekapitulation (pp. 142-162) sind fragwürdig oder falsch (vgl. zu dieser Thematik ausführlich wieder Junker und Scherer 1998, pp. 176-196). Zum Homologiebegriff wird Richard Owen, der den Begriff 1843 mit schöpfungstheoretischen Intensionen prägte, nicht genannt. Ohne differenzierende Diskussion wird die idealistische Morphologie einfach mit deren Ersatz durch die ‘phylogenetische Verwandtschaft’ (pp. 68 und 127) abgelehnt usw. usf..

Da die Autoren die Grundaussagen der allgemeinen Evolutionstheorie als allumfassendes Faktum voraussetzen und sämtliche Fragen ausschließlich in diesem Rahmen diskutieren, kann natürlich auch in der Systematik nichts weiter herauskommen als Evolution. Unter solchen Voraussetzungen ist es für die Evolutionstheorie dann auch ‘völlig bedeutungslos, ob z. B. der "Archaeopteryx" auf der Ahnenlinie der rezenten Vögel liegt oder einen eigenen durch sogenannte Autapomorphien begründeten Seitenzweig darstellt.

Fast die gesamte phylogenetische Systematik aber steht und fällt mit der unbewiesenen Voraussetzung der Gesamtevolution!

Obwohl die Autoren selbst keinerlei Schwierigkeiten damit haben, als Antwort auf die Ursprungsfrage "ein nicht verifizierbares, nicht falsifizierbares und nicht quantifizierbares Erklärungssystem" zu akzeptieren, in dem "der Zufall" eine entscheidende Rolle spielt (vgl. die Diskussion oben), schließen Sudhaus und Rehfeld unsere Schlussfolgerung von den komplexen Konstruktionen auf den genialen Konstrukteur mit folgenden Worten aus (p. 2): "Nicht überprüfbar und damit außerhalb der Wissenschaft wäre die Annahme übernatürlicher Eingriffe in das Naturgeschehen..." (vgl. zur Überprüfbarkeit Lönnig 1991/1998 und 1995, mit Falsifikationskriterien; siehe auch pp. 19/20 dieses Briefes). - Als ersten Test wende man diese Aussage einmal auf unser Marsbeispiel von p. 5 an. Was die Komplexität anlangt, dürften zahlreiche biologische Systeme dieses Beispiel bei weitem übertreffen.

"In dem oben gegebenen Beispiel des Naturwissenschaftlers vor dem Computersystem darf und wird der Naturwissenschaftler den Schluss auf eine intelligente Ursache ziehen (vgl. weiter Artbegriff, p. 290). Der Vorwurf, eine intelligente Ursache sei ein Lückenbüßer für noch nicht verstandene physico-chemische Prozesse, wäre absurd. Ich habe die Geschichte von Gott als "Lückenbüßer" ebenfalls ausführlich in der Artbegriffsarbeit diskutiert und die Unhaltbarkeit dieser stereotyp erhobenen Behauptungen aufgezeigt (vgl. S. 287/288)." (Aus der Diskussion mit Herrn D..)

Entgegen den oben aufgeführten Tatsachen der Paläontologie, der ungeheuren Komplexität biologischer Strukturen und den auch in der Mutationsforschung empirisch immer wieder festgestellten Artgrenzen (Details vgl. Lönnig 1993, 1995), glauben Sudhaus und Rehfeld nun an das nicht reproduzierbare "Wunder" von Hunderttausenden von positiven die gesamte Organismenwelt kontinuierlich erschaffenden Mutationen (plus Selektion), sie sind jedoch mit Popper der Auffassung, dass wissenschaftliche Hypothesen falsifizierbar sein sollten (p. 3). - Wo aber ist die Anwendung dieser Forderung auf die Theorie der additiven Typogenese oder auf die Evolutionshypothese überhaupt? (Siehe auch die Bemerkung oben von Mahner und Bunge zur Nichtfalsifizierbarkeit der Synthetischen Theorie.)

Dr. B.: 3. Die Rolle der Evolutionsfaktoren Mutation (zufällig) und Selektion (richtend) wird von Schülern meist durch einfache Beispiele klar. Eine einfache Spielanleitung:

Anstatt auf die zahlreichen Daten einzugehen, die ich zu dem Thema in meinem Brief vom 14./15. 11. 1998, pp. 14-17, aufgeführt habe, bringt Herr B. nun ein Beispiel aus dem Schulunterricht. Aber prüfen wir, ob die folgende Spielanleitung die von uns genannten Argumente gegen die Synthetische Evolutionstheorie widerlegt:

Dr. B.: Der Spielleiter verstreut auf einem gemusterten Handtuch jeweils die gleich(e) Anzahl verschiedenfarbiger, gleich großer Plättchen. Die Spieler müssen in kurzer Zeit möglichst viele Plättchen erbeuten. Der Spielleiter stoppt die "Beutephase". Anschließend werden alle übriggebliebenen Plättchen um den gleichen Faktor vermehrt, so dass etwas mehr Plättchen als ursprünglich auf dem Handtuch verstreut werden können. Nach wenigen Spielrunden sehen die Schüler, dass sich das Verhältnis der unterschiedlich farbenen Plättchen verändert. Farblich besser zum Handtuch passende Plättchen vermehren sich in der Plättchenpopulation. Mit Filzstiften lassen sich auch Mutationen (erblich) gut spielen. So entstehen neue Qualitäten. Eine Veränderung der Umwelt erhält man durch die Wahl eines anderen Untergrundes. Solch einfache Spiele gibt es auch als Computerprogramme. Auch in Bereichen von Technik und Wirtschaft finden evolutionäre Programme Verwendung.

Nun hätten wir natürlich gerne gehört, wie Herr B. mit dieser Methode den Fangapparat von Utricularia und den Elektromotor von E. coli oder den Ursprung eines neuen synorganisierten Bauplans erklärt! Aber nichts dergleichen finden wir in seinem Brief. Denn er kann diese Fragen mit seiner Evolutions-Methode nicht überzeugend beantworten und die übrigen Neodarwinisten können das genauso wenig. Diese Aussage gilt zunächst einmal grundsätzlich für alle Beispiele komplexer biologischer Strukturen, bei denen "erst mit dem Endeffekt der Nutzen für den Daseinskampf erreicht wird, nicht aber mit irgendeiner Entwicklungsstufe" (Nachtwey). Darüber hinaus kann man mit Herrn B.s Methode nicht einmal die Mikroevolution hinreichend erklären (vgl. z. B. zum Schul- und Lehrbuchbeispiel des Melanismus beim Birkenspanner Biston betularia die Buchbesprechung in Nature 396, vom 5. November 1998, p. 35; Kopie anbei), geschweige denn die postulierte Makroevolution. - Zur Anwendung im Bereich der Technik vgl. Lönnig 1989, pp. 61/62.

In der Spielanleitung zur Erklärung der postulierten Gesamtevolution setzt Herr B. einfach die Entstehung von sämtlichen positiven Mutationen als gegeben voraus, die mit der Zeit von Mikroben bis zum Menschen geführt haben sollen. Um das Selektionsspiel (richtend) überhaupt spielen zu können, brauchen die Spieler Sinnesorgane wie das Auge. Wie aber ist das Auge nach der Synthetischen Evolutionstheorie entstanden? Antwort:

Prof. R. Nachtwey hat den Erklärungsmechanismus des Darwinismus einmal stereotyp so parodiert (das ist zwar nicht jedermanns Geschmack, aber inhaltlich völlig korrekt):

‘Die Theorie sagt nur, dass etwas im Daseinskampf übriggeblieben ist, aber auf unsere Frage, wie dieses Etwas denn eigentlich entstanden ist, hat sie stets nur die eine Antwort: "Durch eine zufällige erbliche Abänderung!" Man muss die Darwinsche Formel einmal auf verwickelt gebaute Organe, wie etwa das menschliche Auge und auf den Sehvorgang anwenden, um die ganze Leere und Hohlheit einer solchen Anschauung zu begreifen:

"Wie entstand die durchsichtige und gekrümmte Hornhaut des Auges?" -

"Wer zufällig so abänderte, der blieb im Daseinskampf übrig!"

"Wie entstand die Linse mit ihren Einrichtungen, ihrem Anpassungsvermögen an Nähe und Ferne?" - "Wer zufällig so abänderte, der blieb übrig!"

"Wie entstand die Netzhaut, die auf einem einzigen Quadratmillimeter 100000 bis 180000 lichtempfindliche Stäbchen oder Zapfen trägt?" - "Wer zufällig so abänderte, der blieb übrig!"

"Wie kommt es, dass die Stäbchen auf den Reiz des weißen Lichtes reagieren, die Zapfen aber auf das farbige Licht?" - "Wer zufällig so abänderte, der blieb übrig!"

"Wie entstand die Pigmenthaut, die ihren schwarzen Farbstoff in winzige Fortsätze übernimmt?" - "Wer zufällig so abänderte, der blieb übrig!"

"Wie entstand der Sehnerv mit seiner merkwürdigen Fähigkeit, einen schnellen Nervenstrom zu erzeugen, sobald die Stäbchen zwischen Stäbchen und Zapfen entsendet und damit Bildschärfe erzeugt?" - "Wer zufällig so abänderte, der blieb übrig!"

"Wie entstand die Aderhaut, die mit zahllosen feinen Blutgefäßen die Ernährung der Netzhaut oder Zapfen von elektromagnetischen Wellen getroffen werden, die wir ‘Licht’ nennen?" - "Wer zufällig so abänderte, der blieb übrig!"

"Wie entstand die merkwürdige Fähigkeit unserer Großhirnrinde, die Sehnervenströme in bewusste Lichtempfindungen umzuwandeln?" - "Wer zufällig so abänderte, der blieb übrig!"

"Wie ist es möglich, dass verschiedene Wellenlängen des Lichtes in unserem Bewusstsein total verschiedene Farbempfindungen auslösen?" - Wer zufällig so abänderte, der blieb übrig!"

"Wie entstand überhaupt das Bewusstsein?" - "Wer zufällig so abänderte, der blieb übrig!"

Ja wirklich, man sollte es nicht für möglich halten, aber der Darwinismus hat für alle Fragen nach der Organbildung und ebenso für alle tiefsten genetischen Probleme der Biologie und Psychologie nur eine einzige schematische, formelhafte Antwort, die jedes tiefere Nachdenken erspart.

Nehmen wir entgegen diesen Ausführungen nun einmal an, dass die neodarwinistische Erklärung zur Entstehung des Auges etc. mit Mutation, Rekombination und Selektion tatsächlich völlig zutreffend und hinreichend sei. Auch dann wäre die Selektion kein übergeordnetes Prinzip, sondern die Folge der kumulierten Zufallsmutationen. Voraussetzung und Grundlage sämtlicher Selektionsvorgänge einschließlich der Fähigkeiten zu zielstrebigen Handlungen, ja des menschlichen Bewusstseins selbst, ist immer der Zufall, wie das oben Robert Nachtwey (und wie im letzten Brief zitiert, Jacques Monod) richtig ausgeführt haben (Details in meinem Brief vom 14./15. 11. 1998, pp. 16 und 17).

Fazit: Das Schul(bei)spiel der Evolution scheitert an folgenden Punkten (mit Ergänzungen):

1. Die geforderten positiven Mutationen für die Entstehung komplexer Strukturen treten weder in unseren umfangreichen Mutationsexperimenten (mit Billionen von Mikroorganismen und Millionen und Abermillionen von Pflanzen - Gerste, Reis, Arabidopsis - und Tieren wie Drosophila), noch in der realen Natur auf.

2. Die Vermehrungszahlen der Plättchen sind in der Regel zu niedrig. Ich darf noch einmal daran erinnern.

"Out of 120,000 fertilized eggs of the green frog only two individuals survive. Are we to conclude that these two frogs out of 120,000 were selected by nature because they were the fittest ones; or rather...that natural selection is nothing but blind mortality which selects nothing at all?" Die gleichen Fragen stellen sich für die 700 Milliarden Sporen von Lycoperdon, die 114 Millionen Eier mal der Zahl der Laichzeiten der Amerikanischen Auster, für die 28 Millionen Eier des Lachses usw. Salomo schrieb...: "Wiederum sah ich unter der Sonne, dass nicht den Schnellen der Preis zufällt, und nicht den Helden der Sieg...sondern alle trifft Zeit und Zufall.

Durch diese riesigen Nachkommenzahlen wird bei der großen Mehrheit aller Tier- und Pflanzenarten die Selektion weitgehend durch ‘den Zufall’ ersetzt. Prof. L. (Zoologie) schrieb mir:

"Richtig finde ich den von Ihnen aufgegriffenen Gedanken, dass zwei Frösche, die die einzigen Überlebenden von 120.000 befruchteten Eiern sind, wohl kaum als die Besten angesehen werden können, dass vielmehr der Zufall in der Selektion eine große Rolle gespielt haben muss."

3. Bei vielen Beispielen komplexer biologischer Strukturen wird "erst mit dem Endeffekt der Nutzen für den Daseinskampf erreicht, nicht aber mit irgendeiner Entwicklungsstufe." Oder generell: der Neodarwinismus kann das Synorganisationsproblem nicht mit seiner Methodik lösen (vgl. Sie bitte dazu meine Zusammenstellung der Zehn Paradebeispiele gegen Zufalls-Evolution, 1991/1998.)

4. In dem Schul(bei)spiel wird die Ontogenese nicht berücksichtigt (vgl. Brief vom 14./15. 11. 98).

5. In dem Schul(bei)spiel werden Modifikationen nicht berücksichtigt. ("Die aufgrund wechselnder Umweltverhältnisse von Individuum zu Individuum auftretenden nicht-genetischen Phänotypunterschiede können die nahezu unsichtbaren Auswirkungen der Mikromutationen bei weitem übertreffen.")

6. Das Schul(bei)spiel arbeitet im klaren Gegensatz zum neodarwinistischen Postulat der kontinuierlichen Evolution durch Mutationen mit "slight or even invisible effects on the phenotype" mit Makrounterschieden.

7. Die paläontologischen Befunde entsprechen nicht der Theorie der additiven Typogenese.

Als eine Erklärung für die komplexen Vorgänge in der Natur ist das Schul(bei)spiel unrealistisch. Man sieht jedoch an diesem Schul(bei)spiel sehr schön, wie die Schüler durch neodarwinistische Propagandatricks, die sie noch nicht durchschauen können, zum Glauben an die Evolution geführt werden. Hier herrscht dringender Aufklärungsbedarf! (Ich denke an Ihren nächsten Film zum Thema.)

Dr. B.: Mit diesen drei Hinweisen möchte ich unsere inhaltliche Auseinandersetzung beenden,...

Wie einleitend schon erwähnt, hat Herr B. die fachliche Diskussion zu Ihrem Film eröffnet, um dann auf die meisten der von uns aufgeführten Fakten und Daten erst gar nicht einzugehen, und nachdem er die inhaltliche Diskussion durch Anschneiden zahlreicher völlig neuer Themen fortgeführt hat, beendet er die Auseinandersetzung. - Ich möchte noch einmal betonen, dass man auf diese Art keine kompetente und überzeugende wissenschaftlich-fachliche Auseinandersetzung zur Ursprungsfrage führen kann.

Dr. B.: ...denn es hat keinen Sinn die Diskussion der letzten 150 Jahre nochmals zu Papier zu bringen.

Wer glaubt, dass mit der Diskussion der letzten 150 Jahre die entscheidenden Fragen zugunsten des Neodarwinismus geklärt sind, sollte auch in der Lage sein, unseren Testvorschlag zu Utricularia und dem E.coli-Motor aufzugreifen und in diesem Sinne zu erklären. Das Glaubensbekenntnis der Synthetischen Evolutionstheorie scheitert an den biologischen Tatsachen.

Aufgrund von Herrn B.s nachweislichen Fehldarstellungen zur älteren und auch neuesten Biologiegeschichte, wie zum Beispiel, dass

"nach Makromutationen, die für die sogenannte Makroevolution oder transspezifische Evolution verantwortlich gemacht werden sollen, in der Forschung schon lange nicht mehr gesucht" wird; oder dass "der im Film DARWINs Vorstellungen zugesprochene "LYSSENKOismus" unter STALINs Regime auf der Vorstellung von der Vererbung erworbener Eigenschaften, also Ideen LAMARCKs fußt"

- sowie seinen erheblichen Kenntnislücken zur neueren Geschichte des Kladismus und der Schöpfungslehre erlaube ich mir überdies zu vermuten, dass Herr B. kaum dazu in der Lage sein wird, die Diskussion der letzten 150 Jahre zu Papier zu bringen. Denn weite Teile, ja sogar essentielle Teile davon, sind ihm bisher offensichtlich unbekannt!

Dr. B.: Nach wie vor wird an vielen Fragen der Biologie sinnvoll geforscht.

Wer wollte das bestreiten? Trotz zahlreicher Berührungspunkte müssen wir jedoch empirische (naturwissenschaftliche) und historische (geistes-wissenschaftliche) Forschung von den Erkenntnismöglichkeiten und der Methodik klar auseinanderhalten. In der Biologie finden wir nun tatsächlich beide Ebenen. Herr Scherer hat diesen Punkt in Ihrem Film sehr deutlich herausgearbeitet.

Dr. B.: Die Antwort "weil Gott es so will", wird keinen Wissenschaftler zufrieden stellen.

Fragt man zum Beispiel: "Wie funktioniert ein Hörorgan?" Oder: "Welche biochemischen Prozesse sind an der Photosynthese beteiligt?" Oder: "Welche Regulatorgene und Targetgene sind an der Bildung der Angiospermenblüte beteiligt?" Etc., dann wäre die Antwort, "weil Gott es so will", verfehlt und würde selbstverständlich keinen Wissenschaftler zufrieden stellen. Und mir ist auch nicht bekannt, dass jemals ein Wissenschaftler, der die Realität Gottes akzeptiert hat, in einem solchen Fragen-Zusammenhang diese Antwort gegeben hätte.

Zur Veranschaulichung Beispiele aus der Technik: Wenn ich nach den Funktionen und Prozessen in einem Computer, einer Nähmaschine, einem Auto oder in einem Flugzeug frage, dann wäre die Antwort, "weil die Hersteller es so wollen", ebenso verfehlt. Schwieriger wird es bei der Frage nach dem Warum. Zum Beispiel: Warum wurde das Steuerrad im Wagen vorne und nicht hinten integriert? Selbst da wird man nicht antworten , "weil die Hersteller es so wollten", sondern wird sehr schnell eine funktionale Notwendigkeit entdecken und das gilt für zahlreiche weitere Fragen und Probleme in der Technik und Biologie gleichermaßen. Fragen wir weiter, wie und warum diese technischen Systeme überhaupt ins Dasein gekommen sind, und erfahren, "weil der Mensch es so wollte und er sie deshalb geschaffen hat", dann kann man selbstverständlich weiter fragen "warum wollte der Mensch Computer, Autos und Flugzeuge bauen"? - Hier stellt sich die ganz berechtigte Frage nach dem Zweck. Geht man noch tiefer in diesen Fragenbereich hinein, wird man sehr schnell auch feststellen, dass es über die bloße Zweckmäßigkeit hinaus einen ästhetischen Bereich gibt (Autos zum Beispiel sollen auch schön sein). Und wir kommen vielleicht an einen Punkt, an dem der Einsatz technisch gleichwertiger, aber unterschiedlicher Funktionssysteme und eine optisch unterschiedliche Gestaltung am Ende tatsächlich nicht näher kausalanalytisch verständlich zu machen ist. Aber deswegen wird doch niemand behaupten, dass es die Hersteller gar nicht gibt.

Die Frage, ob es die Schöpfung durch die Weisheit und Macht Gottes gibt, ist unabhängig von der Frage, warum es die Schöpfung gibt. Und die Frage, wie die Schöpfung als solche funktioniert, wird auch häufig unabhängig von den beiden ersteren untersucht. Stelle ich aufgrund meiner biologischen und anderer Studien nun fest, dass die Frage nach dem Ob eindeutig zu bejahen ist, dann kann die Frage nach dem Warum zunächst noch offen sein. D. h. ich kann die schon beantwortete Frage nicht mit der offenen wieder verneinen. Im übrigen sei erwähnt, dass die Bibel auf beide Fragen eingeht und in zahlreichen Texten und auf zahlreiche Fragen nach dem Warum weit über die Antwort "weil Gott es so will" hinausgeht.

Soweit erst einmal die Diskussion von Herrn B.s Einwänden.

Es geht bei diesem Problem letztlich nicht darum, ob man eine Diskussion gewinnt oder verliert. Viel wichtiger ist die Frage, ob man auf dem richtigen Wege ist und ob man immer bereit bleibt, bei Nachweis der Richtigkeit gegenteiliger Positionen auch Kurskorrekturen vorzunehmen; denn dazulernen können wir bekanntlich alle. Eine solche Diskussion kann für beide Punkte in der Tat als Test dienen. Wenn Herr B. z. B. nachgewiesen hätte, dass wir mit unserem Kommentar zu Lyssenko und Darwin auf dem Holzweg gewesen wären, hätten wir das selbstverständlich akzeptiert (natürlich zunächst nicht gerade mit Begeisterung - wer lässt sich schon gerne Fehler nachweisen? - aber letztlich muss die richtige und genaue Kenntnis und Darstellung einer historischen Begebenheit von größerer Bedeutung sein als das Eingeständnis eines Fehlers). "The truth, the whole truth and nothing but the truth" muss meiner Meinung nach die Richtschnur und das Ziel für alle Wissenschaften bleiben. Immer wieder neue kleinere und größere Kurskorrekturen sind bei Nachweis richtiger Ansätze und Ergebnisse in der Forschung unvermeidlich.

Bei Nachweis der Richtigkeit ihrer Grundlagen würde ich die Synthetische Evolutionstheorie als Antwort auf die Frage nach dem Ursprung der Lebensformen als "wahrscheinlich zutreffend" anerkennen, d. h.

1. beim experimentellen Nachweis einer rein naturgesetzlichen Entstehung des Lebens;

2. bei Nachweis der postulierten kontinuierlichen Übergangsserien zur Entstehung der major phyla und higher animal taxa (Mayr) (Nachweis ihrer Stammformen und Phylogenien - paläontologisch und/oder neontologisch - auch für die Pflanzen);

3. beim experimentellen Nachweis der kontinuierlichen Entstehung von völlig neuen, synorganisierten Strukturen durch die uns bekannten richtungslosen Mutationen;

4. bei naturwissenschaftlich-experimentell abgesicherten Voraussagen (predictions) für die weitere Evolution des Lebens auf unserer Erde.

Wenigstens die ersten drei Kriterien sollten vor Annahme der neodarwinistischen Ideen als Antwort auf die Frage nach der Herkunft aller Lebensformen erfüllt sein. (Punkt 2 allein genügt nicht, da kontinuierliche Serien auch andere als neodarwinistische Ursachen haben können, und Punkt 1 braucht noch keine Weiterentwicklung zu implizieren.) Solange aber die Synthetische Evolutionstheorie nicht in der Lage ist, Falsifikationskriterien für ihre Behauptungen zu nennen, kann sie nicht einmal als wissenschaftliche Hypothese gelten. (Die oben aufgeführten Punkte können übrigens zu den Falsifikationskriterien der Schöpfungslehre gezählt werden.)

Von evolutionistischer Seite würde ich nun meinerseits erwarten, dass man die Schöpfungslehre bei Nachweis der Richtigkeit ihrer Grundlagen ebenso als "wahrscheinlich zutreffende Antwort" auf die Frage nach dem Ursprung der Lebensformen akzeptiert.

Zu diesen Grundlagen gehören:

1. die naturwissenschaftlich-experimentell und empirisch sehr gut abgesicherte Verneinung der obigen ersten drei für die Synthetische Theorie genannten Kriterien, d.h.

a) Alle Nachweisversuche einer rein naturgesetzlichen Entstehung des Lebens scheitern an den Naturgesetzen selbst (das ist seit den Versuchen Pasteurs samt allen weiteren Versuchen bis auf den heutigen Tag der Fall). Umfangreiche Literatur dazu, wenn gewünscht.

b) Stammformen und Phylogenien der major phyla und higher animal taxa sowie der Pflanzengruppen sind auch bei den inzwischen mehr als 200 Millionen katalogisierten Makrofossilien nicht nachweisbar.

c) Durch Mutationen entstehen keine völlig neuen, synorganisierten Strukturen. Mutationsexperimente zeigen vielmehr ein Limit (Gesetz der Rekurrenten Variation).

2. Die Lebensformen müssen sich paläontologisch und neontologisch durch weitgehende Konstanz auszeichnen (sie können sich jedoch in begrenztem Maße "horizontal" verändern und auch "abwärts" entwickeln: sprunghafte und/oder kontinuierliche Mikroevolution);

3. Die lebenden Systeme müssen sich durch eine Informationsfülle und einen Komplexitätsgrad in der Synorganisation auf allen Ebenen auszeichnen (genetisch, physiologisch, anatomisch und ethologisch), die ihre Zufallsentstehung mathematisch äußerst unwahrscheinlich machen. Durch korrelative Vernetzung der Subsysteme sollte ihre Konstanz gewährleistet sein.

4. Es sollte ein Tertium comparationis für die Entstehung der Lebensformen geben, das mit Notwendigkeit Intelligenz involviert (siehe meine Ausführungen zum Thema Bionik und Kybernetik in den schon zitierten Arbeiten).

Auch für Punkt 4) oben (Voraussagen) lassen sich zahlreiche Argumente aufführen.

Alle vier bzw. fünf Bedingungen sind also erfüllt. (Die genannten Punkte sollten auch als Falsifikationskriterien für die Evolutionslehre gelten.) So: Why not Creation?

Man kann beim Durcharbeiten der verschiedenen Kriterien übrigens sehr gut erkennen, dass sowohl bei der Synthetischen Evolutionstheorie als auch bei der Schöpfungstheorie klar unterscheidbare naturwissenschaftliche und historisch-geisteswissenschaftliche Methoden zur Anwendung kommen.

Ich sollte vielleicht noch anmerken, dass ich solche Diskussionen nun schon seit Jahrzehnten führe, und ich dabei immer wieder die gleiche Erfahrung mache: Diskussionspartner, die sich noch nicht auf die Synthetische Evolutionstheorie völlig festgelegt haben, akzeptieren im Zuge des Gedankenaustauschs wesentliche Punkte der von mir aufgeführten Fakten und Daten oder sogar das Gesamtkonzept. Die übrigen haben regelmäßig die Diskussion beendet, weil, wie ich zeigen konnte (vgl. die Diskussion mit [Prof.K.]), sie nichts Vernünftiges mehr auf die von mir aufgeführten Tatsachen und Argumente sagen konnten, aber dogmatisch bei ihrer Meinung bleiben wollten.

Nun haben wir glücklicherweise in Deutschland Religions- und Glaubensfreiheit und diese gestehe ich selbstverständlich auch meinen neodarwinistischen Mitmenschen zu. Ich meine jedoch, dass man die neodarwinistische Metaphysik nicht als Naturwissenschaft verkaufen und dass deshalb naturwissenschaftliche und rationale Kritik zur Synthetischen Evolutionstheorie auch der Öffentlichkeit regelmäßig zugänglich gemacht werden sollte. Hier besteht noch ein großer Aufklärungsbedarf.

Anlagen: Kopie des Artikels über die Giraffe von S. J. Gould.

Kopie der Buchbesprechung (Thema Melanismus beim Birkenspanner).

 

Ein paar Begriffsdefinitionen:

1) ignoratio elenchi:: "A logical fallacy which consists in apparently refuting an opponent while actually disproving something not asserted; gen. any argument which is irrelevant to its professed purpose." (Oxford Dictionary)

2) tertium comparationis : "The factor which links or is the common ground between two elements in comparison." (Oxford Dictionary)

3) Apomorphy or Apomorphic character: "A character hypothesized to be uniquely derived for (i.e., diagnostic of) a particular monophyletic taxon. In evolutionary terms, an apomorphy would be a peculiar feature shared by the members of a monophyletic taxon that was inherited by each of those members from a hypothetical common ancestor. Presumably, this feature originally evolved in the common ancestor. Some authors divide the term apomorphy into two subcategories: "autapomorphy" for terminal taxa (distalmost branches of a given cladogram), and "synapomorphy" for monophyletic groups of taxa (branch points of a given cladogram). Apomorphy is equivalent to phylogenetic homology or derived character. Examples: the presence of feathers for Aves (birds), the presence of jaws for Gnathostomata (vertebrates with jaws)." (Grande and Rieppel 1994, p. 258.)

4) Pattern cladistics/Transformed cladistics: "A philosophy that attempts to keep cladistic analysis as independent from evolutionary philosophy as possible. In the words of Patterson (1988, p. 72), "If the causal explanation of pattern is to be convincing and efficient, the pattern is better not perceived in terms of explanatory process". This is the argument behind pattern cladistics." (Grande and Rieppel 1994, p. 276.)

5) Plesiomorphy or Plesiomorphic character: "Often referred to as a "primitive" character, a plesiomorphic character is one that is used at a wrong level of inclusiveness. For example, the presence of feathers is a derived character (a synapomorphy) for the group Aves (all birds), but the presence of feathers is a primitive character (a plesiomorphy) for the Aves subgroup Columbidae (the pigeon family). Plesiomorphy is a relative term only. Plesiomorphic characters are never unique to a monophyletic group (they are always more inclusive)." (Grande and Rieppel 1994, p. 278.)

6) Phylogenetic cladistics: "A philosophy of cladistic analysis that differs from the so-called "pattern-cladistics" philosophy in that it accepts evolution as an axiom from which it deduces methods and concepts of systematic research....The differences between pattern cladistics and phylogenetic cladistics are largely philosophical rather than operational." (Grande and Rieppel 1994, p. 277.)

Man sieht bei den Definitionen 3) und 5) sehr schön, wie die unbewiesene Voraussetzung der Gesamtevolution im Sinne von Punkt 6) schon in die Begriffe einfließt, d. h. schon mit den Definitionen wird der Geist des Studierenden in evolutionistische Bahnen gelenkt. Die transformed cladists haben sich davon weitgehend befreit.

 

Literatur:

Bird, W. R. (1989): The Origin of Species Revisited. Vol I. Philosophical Library. New York.

Davis, P. and Kenyon, H. (1993): Of Pandas and People. The Central Question of Biological Origins. Second Edition. Haughton Publishing Company. Dallas, Texas.

Gish, D. (1993): Creation Scientists Answer Their Critics. ICR. El Cajon, Ca.

Gould, S.J. (1996): The Tallest Tale - Is the textbook version of giraffe evolution a bit of a stretch. Natural History 5/96, pp. 18-23 und 54-57 (Literaturangabe Gould hier Nachtrag.)

Grande. L. and O. Rieppel (Eds.) (1994): Interpreting the Hierarchy of Nature. Academic Press. San Diego.

Junker, R. und Scherer, S. (1998): Evolution. Ein kritisches Lehrbuch. 4. Auflage. Weyel Biologie. Gießen.

Lönnig, W.-E. (1989): Auge - widerlegt Zufalls-Evolution. 2. Auflage. Naturwissenschaftlicher Verlag Köln.

Lönnig, W.-E. (1993): Artbegriff, Evolution und Schöpfung. 3.Aufl., 622 pp., Naturwissenschaftlicher Verlag Köln.

Lönnig, W.-E. (1995): Mutationen: Das Gesetz der rekurrenten Variation. pp. 149-165. In: Streitfall Evolution. Universitas. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft. Stuttgart.

Lönnig, W.-E. (1991/1998): Kann der Neodarwinismus durch biologische Tatsachen widerlegt werden. Diskussion mit dem Mikrobiologen [Prof. K.] Naturwissenschaftlicher Verlag Köln.

Lönnig, W.-E. (1991/1998): Zehn Paradebeispiele gegen Zufalls-Evolution. Naturwissenschaftlicher Verlag Köln.

Nachtwey, R. (1959): Der Irrweg des Darwinismus. Morus-Verlag. Berlin.

ReMine, W. J. (1993): The Biotic Message. Evolution versus Message Theory. St Paul Science. Saint Paul, Minnesota, USA

Rieppel, O. (1983): Kladismus oder die Legende vom Stammbaum. Birkhäuser Verlag. Basel.

Uexküll, J. von: Siehe Lönnig (1998): Johann Gregor Mendel: Why his discoveries were ignored for 35 (72) years. Naturwissenschaftlicher Verlag Köln (und mendel.htm (In German with English Summary and Note on Mendel's Integrity). pp.1-80.


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