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Ernst Mayrs Kommentar zur Artbegriffsarbeit

 

Vorbemerkung von Wolf-Ekkehard Lönnig

Der folgende Kommentar zur ersten Auflage der Artbegriffsarbeit von Ernst Mayr (Museum of Comparative Zoology, The Agassiz Museum, Havard University) von 1987 bedeutet selbverständlich nicht, dass Mayr sich meine Grundauffassung zur Artbegriffsproblematik zu Eigen gemacht hat. Die nachstehend aufgeführten Bemerkungen zeigen jedoch für meine Begriffe eine gewisse charakterliche Größe des Autors, der auch bei grundsätzlichen Meinungsunterschieden in der Lage ist, den wissenschaftlichen Wert einer Arbeit angemessen zu beurteilen.

 

Sehr geehrter Herr Dr. Lönnig,

besten Dank für Ihr umfassendes Buch über den Artbegriff. Ich stimme mit den meisten Ihrer Ausführungen durchaus überein. Die Probleme sind aber viel zu komplex, um sie in einem Brief zu besprechen. Ich habe 2 weitere Arbeiten im Druck und werde Ihnen Sonderdrucke senden, sobald sie vorliegen.

Ein Problem ist, dass zu viele Leute über "die Art" geschrieben haben, die selbst nie* mit Arten in der Natur gearbeitet haben. Das Meiste, was solche Leute sagen, kann man nur mit dem guten deutschen Wort Quatsch bezeichnen.

Botaniker behaupten oft (nicht* Stebbins!), dass man gute biologische Arten bei Pflanzen nicht erkennen könnte. Das stimmt absolut nicht. In einer genauen Analyse einer lokalen Flora (über 800 Angiospermen-Arten) fanden ein Botaniker und ich, dass mindestens 84 % aller Nominal-Arten** gute, scharf abgegrenzte biologische Arten waren.*** Wenn man von Rubus, Crataegus, Vaccinium und einigen Gattungen von Apomikten absieht, sind fast alle Blumenpflanzen einer lokalen Flora klar abgegrenzt. Nur muss man Arten als Populationen behandeln! Gelegentliche Hybriden gibt es immer. Den paläontologischen Artbegriff habe ich in einer meiner neuen Arbeiten kritisiert.

Mit bestem Dank und freundlichen Grüßen,

Ihr Ernst Mayr

 

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*Unterstrichen von Mayr.

**Im Originalbrief steht "Nominal-Arten" (Mayr hat eine ziemlich klare Schrift). Diesen Begriff aber gibt es (bisher) in der deutschsprachigen Botanik nicht, hier gibt es jedoch den Begriff des aus der Zoologie stammenden "Nominat-Taxons": "Nominat-(Taxon):
Ein untergeordnetes Taxon (z.B. eine Subspecies), das den Typus des höheren Taxons (im Beispiel einer Species) einschließt, wird als Nominat-Subspecies bezeichnet. Ihr Name ist ein (->) Autonym mit demselben Epitheton, aber ohne Autorzitat, z.B. Centaurea nigra L. subsp. nigra.
G: Der Terminus stammt aus der zoologischen Nomenklatur. Obgleich er im Code der botanischen Nomenklatur nicht vorkommt, wird er von einigen Botanikern verwendet" (G. Wagenitz (1996): Wörterbuch der Botanik; Gustav Fischer Verlag, Jena).

"Nominát(-Taxon), ein untergeordnetes Taxon, das den Typus des höheren Taxons einschließt" (R. Schubert/ G. Wagner (2000): Botanisches Wörterbuch, 12. Auflage; Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart).

Falls Mayr sich nicht verschrieben hat, meint er wahrscheinlich "Nominal-Art" im Sinne des Nominalismus (nach welchem Namen nur abstrakte, vom Menschen gebrauchte Begriffe sind, die keine Übereinstimmung mit den Dingen in der Natur haben, oder nach Wahrig (2000): "Nominalismus: Lehre, dass die allgemeinen Begriffe (der Gattungen usw.) nur Namen seinen und nichts Wirkliches bedeuten."). Die Arbeit Mayrs aber zeigt gerade, dass das doch der Fall ist: Man kann gute biologische Arten auch bei den Pflanzen in der Natur erkennen.

***Nach meinen eigenen sich über Jahrzehnte erstreckenden Erfahrungen zur Bestimmung von Blüten- und anderen Gefäßpflanzen Mittel- und Südeuropas würde ich den Prozentsatz noch wesentlich höher ansetzen, - was ja auch von Mayr mit seiner Formulierung von "mindestens 84%" und "fast alle" Blütenpflanzen schon angedeutet wird. Von einigen Apomikten-Arten (vgl. Artbegriff ) und einigen ganz wenigen anderen Beispielen abgesehen, würde ich von den 2814 Arten der Gefäßpflanzen in der von Rothmaler begründeten Exkusionsflora Deutschlands (7. Auflage 1988) ebenfalls fast alle - wohl mehr als 98% - für bestimmbar halten (und die 813 Gattungen sowieso). Oder anders formuliert: Für praktisch alle Beschreibungen von Bestimmungsbüchern mit präzisen Definitionen und Abbildungen findet man in der Natur auch die entsprechenden (in der Regel "guten und scharf abgegrenzten") Populationen, aber auf Grund der oben erwähnten Beispiele (Apomikten und Hybriden sowie deren Nachkommen) gibt es darüber hinaus auch Populationen, die mit den üblichen Bestimmungsmethoden nicht oder kaum noch genau erfasst werden können. Zu diesen relativ wenigen Ausnahmen sei hier ein Beispiel aus der Praxis mit Hinweisen auf die Ursachen der Schwierigkeiten zitiert: G. H. Loos bemerkt zur Bestimmung der Arten in der Gattung Aster (2000, p. 492): "Die Abgrenzung der einzelnen Sippen in dieser Gruppe ist umstritten. Durch züchterische Bearbeitung sind 2711 [jeweils Nummer der Abbildung der Pflanzenspezies, Subspezies oder Hybridpopulation, hier: Aster novi-belgii aus dem östlichen und nördlichen Amerika] und 2712 [Aster x versicolor, eine Hybride aus A. laevis x A. novi-belgii] in der hier gewählten Umgrenzung zudem äußerst vielgestaltig; 2714 [Aster x salignus, eine Hybride aus A. lanceolatus x A. novi-belgii] und 2715 [Aster lanceolatus, ebenfalls aus Nordamerika] lassen sich zuweilen nicht eindeutig trennen, da ein breites Band an Übergangstypen existiert. Zahlreiche weitere Arten (auch anderer Sektionen) in Gartenkultur sind mitunter vorübergehend verwildert" (alle Hervorhebungen im Schriftbild sowie Anmerkungen in eckigem Klammern von mir; G. H. Loos in BILDATLAS DER FARN- UND BLÜTENPFLANZEN DEUTSCHLANDS von H. Haeupler und T. Muer mit Beiträgen von mehreren weiteren Autoren; Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart, 2000). Dennoch findet man allgemein auch die definierten Populationen 'in der Natur'. Für Hybriden und ihre Nachkommen reicht es in der Regel, wenn man im Sinne des genetischen Artbegriffs über die morphologische Definition hinausgeht und damit den Artbegriff weiterfasst.


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