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WEITERE MÖGLICHE TRANSPOSONWIRKUNGEN FÜR DIE MIKROEVOLUTION

 

Kommen wir zu Drosophila zurück: Auf den Seiten 138 - 143 haben wir die P-M und I-R dysgenischen Systeme und die damit verbundenen evolutionistischen Ansätze kennengelernt. Von Bingham et al. wurde 1982 ein Mechanismus zur Erzeugung verschiedener Grade von Hybridsterilität durch Transposons vorgeschlagen. Ginzburg et al. haben diesen Vorschlag zur Artbildung im Sinne des neodarwinistischen Artbegriffs mit den folgenden Sätzen auf den einfachsten Nenner gebracht (1984, p. 331):

1. The genomes of two geographically isolated populations are independently "contaminated" by different transposable elements. These "infections" spread in their respective populations in spite of the loss in fitness shown by the appropriate individuals carrying the transposon. (This loss of fitness in the well-characterized cases of the P-M and I-R dysgenic systems consists of substantially reduced fertility among some individuals carrying the transposons in question.)

2. Effective reproductive isolation of these two populations (speciation) follows even if they become subsequently sympatric as a result of a loss of fitness of hybrids due to the cumulative effects of a combination of unrelated transposable elements.

Nach Entwicklung eines mathematischen Modells zur Ausbreitung von Transposons in verschiedenen Populationen und Diskussion der Fitness-Frage, weisen sie u.a. darauf hin, dass nach Rapoport 1982 etwa die Hälfte der Subspezies-Grenzen bei den Säugetieren Nordamerikas ohne erkennbare Umweltbedingungen wahrscheinlich als stabile Hybridzonen bestehen und dass ein Teil davon auf Transposons zurückgehen könnte. Es wird sich zeigen, ob sich solche Vermutungen im Zuge der weiteren Forschung bestätigen lassen. Prinzipiell erscheint mir eine solche "Artbildung" im Sinne des neodarwinistischen Artbegriffs möglich. Ich möchte an dieser Stelle nur wieder betonen, dass damit für den Ursprung der primären Arten und die Entstehung synorganisierter Systeme wie Auge und Gehirn etc. noch nichts gewonnen ist und verweise den Leser auf das Kapitel 4 der Arbeit, in dem diese Punkte ausführlich begründet wurden. Zum Thema Fitness-Erniedrigung bemerken die Verfasser unter anderem (p. 339):

...we note that an additional potentially important feature of evolution induced by transposable elements is their ability to lower population fitness. An element that substantially lowers fitness can nonetheless invade a population if it is sufficiently infectious (see preceding data). Accumulation of such deleterious but infectious elements would certainly reduce the overall fitness of the population and might render a population more vulnerable to extinction.

In gleicher Weise schreibt Engels 1983, pp. 385/386: "...it is possible for P elements to increase without the benefit of a selective advantage at the organismal level. They can even increase despite sufficiently mild selection against them."

Die meisten Verfasser weisen bei der Diskussion des Transposon-Themas in Verbindung mit der Speziationsfrage darauf hin, dass die springenden Gene die Mutationsrate stark erhöhen. Syvanen hob 1984, p. 275, z.B. hervor, dass die Rate spontaner Deletionen bei Salmonella typhimurium im His Operon wahrscheinlich um das Tausendfache erhöht wird, wenn ein Tn 10 Element mit seinen beiden IS Kopien in dieser Region vorkommt. Da eine große Zahl von Tatsachen in Übereinstimmung mit den Erwartungen der Neutralen Theorie bewiesen haben, dass sich nachteilige Gene in Populationen anhäufen und durchsetzen können (vgl. das Degenerationskapitel), könnten Transposons durch die Erhöhung der Mutationsrate zur Degeneration der Populationen und damit der Entstehung sekundärer Arten beitragen.

Wie man mit dieser Methode allerdings völlig neue synorganisierte physiologische Systeme und anatomische Strukturen und damit die primären Arten aufbauen will, ist mit biologisch-logischen Methoden nicht nachvollziehbar.

Erwin und Valentine glauben z.B. mit Hilfe von Transposons das Kambrium-Problem lösen zu können und betonen dabei (1984, p. 5482): "The evolutionary efficacy of this model is not dependent on the introduction of new gene sequences." Dennoch meinen sie, weitere (nicht genannte) evolutionäre Prozesse für die Entstehung von "complete functional novel phenotypes" hinzuziehen zu müssen.

Welche genetischen Veränderungen sind durch Transposonaktivität bisher tatsächlich nachgewiesen? Ein paar Beispiele:

Bonas et al. haben (1984) gezeigt, dass das 17-kb Tam1 Element von Antirrhinum majus eine Duplikation von 3 Basen bei der Integration in das Chalcon-Synthase-Gen hervorruft. Nach Exzision des Transposons (erkennbar an der weitgehend normalen Anthozyan-Synthese, die die Revertanten aus der variegierten T 53 Linie aufzuweisen haben), zeigte eine Revertante im Vergleich zu einer 'Wildtyplinie' mit voller Anthozyansynthese zwei zusätzliche Nukleotide am ehemaligen Integrationsort.

Die Autoren bemerken u.a. p. 1017:

In the revertants two additional base pairs are present at the former integration site... These can be interpreted to be remnants of the duplication generated during the integration process. Pigment synthesis is obviously not affected by these additional two base pairs while in the case of the 17-kb insert in the niv-rec mutant, gene expression is inhibited.

Sommer et al. berichten 1985 von der Wirkung eines weiteren Transposons von Antirrhinum majus (Tam 3), dass dieses Element "an 8 bp duplication of target sequences upon integration" in der Promotorregion des Chalcon-Synthase-Gens hervorruft, und dass sich die Revertante niv-164 von der Wildtyplinie durch 16 zusätzliche Nucleotide unterscheidet (Details bei den Verfassern). Zur Evolutionsfrage stellen die Autoren p. 225 fest:

Such analysis have also revealed that transposition/excision events generate sequence diversity necessary in evolution (Schwarz-Sommer et al. 1985).

Transposon-verursachte Sequenzveränderungen mit schrittweiser Verminderung der Anthozyanbildung bei Antirrhinum beschreiben Carpenter et al. 1985, Martin et al. 1985. Chia et al. haben 1985 bei Drosophila melanogaster die ungenaue Exzision von Transposons festgestellt, obwohl nach den bisherigen Befunden aus dem Tierreich alles dafür sprach, dass hier die DNA-Sequenzen nach 'Ausschneiden' der Transposons weitgehend unberührt bleiben.

Typisch für die Anwesenheit aktiver Transposons in Genen ist die dadurch bedingte Instabilität in der Genexpression.

Nevers, Sheperd und Saedler haben 1985 ein ausführliches Review mit dem Titel PLANT TRANSPOSABLE ELEMENTS publiziert, in der sehr klar die verschiedenen Aspekte des Themas geschildert werden. Jedem an diesen Problemen interessierten Leser sei diese Arbeit ausdrücklich empfohlen. Zur Frage, warum das Thema in den letzten Jahren solche Beachtung gewonnen hat, schreiben die Autoren u.a. (p.106):

First of all there is a growing feeling that transposable elements may be important in evolution. The innumerable different levels of expression and control that a transposable element can evoke at a locus reflect an enormous potential of these elements for inducing variability. The rearrangements that occur in connection with transposable elements may be instrumental in restructuring the genome in the course of evolution.

Darüber hinaus wird über ihre möglichen Rollen in der Individualentwicklung hingewiesen. Ich möchte an dieser Stelle nur feststellen, dass trotz der induzierten Variabilität bisher in keinem Falle die Bildung neuer (primärer) Arten nachgewiesen werden konnte, dass aber bei der Artbildung im Sinne des morphologischen und neodarwinistischen Artbegriffs Transposons eine besondere Rolle spielen könnten. [Nachtrag 2002: vgl. zu diesen Fragen weiter Kunze, Saedler und Lönnig (mit demselben Titel für die aktualisierte "CLASSIC PAPERS"-Edition) (1997): PLANT TRANSPOSABLE ELEMENTS; pp. 331-470 in Advances in Botanical Research 27.]

Federoff hat die Situation treffend gekennzeichnet, wenn sie 1983, p. 57, schreibt:

What we do not know is how important transposable elements have been in shaping and reshaping genes and genomes historically.

Starlinger bemerkt 1984, pp. 25/26, zum Thema Transposition und Evolution u.a.:

Natürlich verlassen wir hier das Gebiet gesicherter naturwissenschaftlicher Ergebnisse. So reizvoll es für den Biologen ist, sich über die Evolution Gedanken zu machen, so sehr muß er sich davor hüten, den Ergebnissen dieser Überlegungen einen ähnlichen Stellenwert zuzuordnen, wie es der Experimentator bei seinen Daten tun darf.

Man könnte einwenden, dass man trotz der inzwischen festgestellten "unnumerable different levels of expression and control that a transposable element can evoke at a locus..." noch ziemlich am Anfang dieses Forschungszweiges steht und noch eine Fülle interessanter Entdeckungen zu erwarten sind. Das ist sicher richtig.

Wie für die Mutationsforschung schon hervorgehoben, handelt es sich auch bei den Transposons um einen fundamental wichtigen Zweig der genetischen Grundlagenforschung, der völlig unabhängig von der Evolutionsfrage die größtmögliche Förderung verdient, zumal die Mutationsfrage in engstem Zusammenhang mit den Transposonaktivitäten steht und von hier wiederum Verbindungen zu den Retroviren und verschiedenen Krebsproblemen bestehen.

Zu den evolutionistischen Hoffnungen wollen wir noch einige relevante Punkte ins Auge fassen, die uns vermehrten Aufschluss zur Frage nach der Berechtigung solcher Erwartungen geben.

Ich habe oben (pp. 349 - 366) ausführlich den stark unterschiedlichen Redundanzgrad verschiedener Bereiche des Genoms behandelt und dabei festgestellt, dass z.B. die Gene des Anthozyansystems ohne größere Gefahren für die Existenz der betroffenen Pflanze zumindest in menschlicher Obhut fast unbegrenzt mutieren können, dass aber auf der anderen Seite schon geringste Sequenzabweichungen, die zur Beeinträchtigung wichtiger Enzymfunktionen durch Veränderung der Aminosäurensequenz im aktiven Zentrum führen, häufig letal sind. Die zitierten Sequenzveränderungen im Promotor des Chalcon-Synthase-Gens von Antirrhinum lassen sich zum Beispiel nicht auf die Exons der Histon- oder der Hämoglobingene (vgl. pp. 360, 384, 430) übertragen, ohne im homozygoten Zustand die jeweils betroffenen Individuen zu gefährden. Dementsprechend bemerken Schwarz-Sommer et al. 1985, p. 596:

Obviously structural alterations generated by transposable elements rarely lead to improvement of the gene product in question and therefore are under selective pressure. Thus, duplication of the entire gene must precede mutation so that an intact copy of the gene can be conserved when the other is mutated. Interestingly transposable elements also seem to be capable of generating duplications (...lit...).

(Zum Thema Duplikationen vgl. pp. 420 - 437.) Sämtliche Punktmutationen, Duplikationen, Inversionen, Deletionen etc., die sich irgendwelchen Organismen in den verschiedenen Graden (von fast neutraler Wirkung bis zur Letalität) als nachteilig erwiesen haben, sind das selbstverständlich ohne Rücksicht auf ihre Ursachen (vgl. pp. 343 - 345), wozu auch Transposonaktivitäten gehören.

Aus den bisherigen Beobachtungen und Ergebnissen ist zu schließen, dass sich auch die verschiedenen durch Transposons hervorgerufenen Änderungen der Genfunktion und Genregulation im wesentlichen auf den redundanten Teil des Genoms beschränken. Winston et al. führen zu den Transposonwirkungen 1984, p. 179, folgende Punkte auf:

Insertion of a transposable element in or adjacent to a structural gene can result in dramatically altered expression of that gene. The phenotype of the insertion mutation depends upon the particular transposable element, the position (with respect to the gene) at which it has inserted and the genetic background of the strain. Insertion of an element within the coding region of a gene will usually destroy the function of that gene (SHAPIRO 1969; JORDAN, SAEDLER and STARLINGER 1968; MALAMY 1970). Insertion into the regulatory regions outside of a gene can affect the amplitude of gene expression like other cis-acting mutations in regulatory regions. These effect range from turning gene expression off to turning it on at a high constitutive level (for reviews see KLECKNER 1981; ROEDER and FINK 1983; VARMUS 1982).

The phenotype of an insertion mutation can be affected by trans-acting genes unlinked to the insertion.

- Worauf Beispiele für Suppression (und Destabilisierung) von Insertions-Mutationen durch nicht-gekoppelte Gene beim Mais, bei Drosophila, Escherichia coli, Salmonella und Saccharomyces cerevisiae zitiert werden (mit der Wirkung nicht-gekoppelter Gene auf Insertions-Mutationen bei der Bierhefe beschäftigt sich die Arbeit der Autoren).

Bei keinem der betroffenen Individuen und Linien der verschiedenen Organismen kann von Artbildung die Rede sein. Funktionsbeeinträchtigung ist in der Regel die Ursache für die konstatierte erhöhte Variabilität.

Erinnern wir uns in diesem Zusammenhang weiter an die Erfahrungen der Mutationsforschung und -züchtung im Pflanzen- und Tierreich (vgl. pp. 350 - 356). Oben hatten wir mit Stubbe und anderen Autoren die Erfahrung zitiert, dass mit jedem neuen Mutationsversuch im Laufe der Jahre die Zahl der erstmalig erkannten Mutanten immer geringer wurde und außerdem an mehreren Beispielen erläutert, dass sich bei stark selektierten Merkmalen trotz systematischer Mutations-Induzierung und schärfster Selektion die Möglichkeiten asymptotisch einem Limit nähern, weshalb bestimmte Programme inzwischen eingestellt worden sind.

Zu Stubbes Erfahrungen mit Antirrhinum majus ist hinzuzufügen, dass gerade bei dieser Art der beträchtliche Anteil von 8,7 Prozent instabiler Mutanten festgestellt worden ist (37 von 423; vgl. Stubbe 1966 und die Tabelle bei Nevers et al. 1985 pp. 117 - 122). Nach allen bisherigen Erfahrungen spielen in der Mutagenese dieser Pflanzenart Transposons eine wesentliche Rolle (vgl. neben den oben bereits zitierten Autoren auch Kailash et al. 1985 zum Thema Paramutation), und zahlreiche weitere Daten deuten darauf hin, dass das wahrscheinlich auf das ganze Pflanzenreich zutrifft. Der Gedanke, dass durch Transposonaktivitäten aus Antirrhinum majus ganz neue Pflanzenarten entwickelt werden könnten, wird von keinem der mit dem Löwenmäulchen befassten Autoren diskutiert. Dasselbe gilt für Zea mays und alle anderen Pflanzenarten mit nachgewiesenen Transposonaktivitäten.

Auch bei Drosophila haben sich zahlreiche zunächst auf Punktmutationen zurückgeführte Genveränderungen als Transposon-verursacht erwiesen. In einem konkreten Fall erwähnte Biesmann im Rahmen einer Gastvorlesung an der Universität Bonn 1984, dass sich in etwa 3/4 der von ihm molekulargenetisch untersuchten mutierten Gene Transposons befanden. Nach Rubin et al. besteht die Hälfte der mittelrepetitiven DNA von Drosophila melanogaster aus etwa 30 Transposon-Familien (5 bis 10 % des Gesamtgenoms). Mit Hinweis auf die Inaktivierung von Genen durch Transposon-Insertion heben Finnegan et al. 1982, p. 35 hervor, dass "viele Spontanmutationen, die früher als Punktmutationen betrachtet wurden, Insertionen sein könnten." Inou und Yamamota berechnen 1987, p. 97 den Anteil "of insertional mutations among spontaneously occurring mutations of D. melanogaster" auf etwa 77 Prozent.

Nach solchen Befunden dürfte ein erheblicher Teil aller bekannten Mutationserscheinungen auf Transposonaktivität zurückzuführen sein. In keinem Falle sind jedoch durch Mutationen neue (primäre) Arten erzeugt werden. Die auf den Seiten 347 - 402 geschilderten Ergebnisse sind vielmehr auf die Transposonaktivitäten zu übertragen, d.h. wir haben bereits einen riesigen Erfahrungsschatz zu den Transposonwirkungen aufgrund der von De Vries 1901 initiierten Mutationsforschung und vor allen seit Mullers 1927 publizierten mutagenen Wirkung von Röntgenstrahlen ("Radiomorphosen"* wurden jedoch schon vorher von Emmy Stein am Löwenmäulchen beschrieben). [*Fußnote in der Originalarbeit zu Radiomorphosen: als 'Dauermodifikation'; Stein schloss jedoch Gen- und Chromosomenmutationen bei ihren Beobachtungen korrekterweise aus.] Konkret heißt das, dass buchstäblich Millionen der in der Mutationsforschung festgestellten erblichen Veränderungen auf die Wirkung springender Gene zurückzuführen sind. Die Regel der Rekurrenten Variation findet demnach ebenfalls in den Transposonaktivitäten einen erheblichen Teil ihrer molekulargenetischen Ursachen.

Auf der anderen Seite bedeutet diese Feststellung zugleich, dass diese Millionen von Transposon-verursachten Ereignissen nicht über die bestehenden Artgrenzen hinweggeführt haben (vgl. die Aussagen zum Thema Mutation und Artbildung).

Dennoch bedeuten die Transposons eine wichtige Modifikation der bisherigen Vorstellungen zur Mutagenese in der Natur. Da der Level verschiedener Transposonaktivitäten mit den Umweltverhältnissen korreliert ist und die Mutationsfrequenz durch Transposons stark heraufgesetzt werden kann, dürfte die Geschwindigkeit morphologischer und neodarwinistischer 'Artbildung' eine viel höhere sein als bisher erwartet. Ginzburg et al. gehen 1984, p. 339, sogar soweit, dass sie unter Berufung auf Felsenstein (1981) schreiben: "We might be faced with the problem of why there are so few species rather that of why there are so many."

Für die Synthetische Evolutionstheorie hat das mehrere Konsequenzen:

1. Man darf von Mayrs peripatrischer Speziation als wichtigste und häufigste Artbildungsmethode wieder abrücken und zu der ursprünglichen Darwinschen Lehre der Veränderungen großer Populationen zurückkehren.

2. Diese Transposon-verursachten Veränderungen weitverbreiteter Populationen verlaufen jedoch nicht kontinuierlich in Millionen von Jahren, sondern in so kurzen Zeiträumen, dass der Begriff Jahrzehnte für viele Fälle angemessen ist. Ginzburg et al. unterstreichen unsere pp. 138-143 zitierten Ausführungen, wenn sie zu den P und I Elementen von Drosophila 1984, p. 336, zusammenfassend feststellen:

...the work of BERG (1982) on the mutability peaks in the natural populations of D. melanogaster support the retrospective studies of KIDWELL (1983). In particular, the two periods when mutation rates in natural fly populations were an order of magnitude higher than other times (first in the 1930s and second in the 1960s) coincide with the periods of apparent invasion of the P element and I element reported by KIDWELL. Strong increases in mutability associated with the hybridization of some strains differentiated with respect to a transposable element are well established (...) The reasons for believing that the P element transposon has recently invaded the wild D. melanogaster population have been recently reviewed by BINGHAM, KIDWELL and RUBIN (1982) and by KIDWELL (1983).

3. Die Elemente können allein schon postzygotische Isolationsbarrieren verursachen, - was Langley et al. 1983, p. 457, wie folgt formuliert haben:

...the role of the transposable element, P factor, in hybrid dysgenesis of Drosophila melanogaster (...Literartur...) allows the possibility of the rapid establishment of reproductive isolation among allopatric populations. Thus, new species of hosts may be formed with no significant change in their gene pools other than the distribution of TEs [Transposable Elements].

Da sich solche Elemente auch bei Fitnesserniedrigung durchsetzen können (vgl. p. 456), entzieht sich das Phänomen weitgehend dem neodarwinistischen Postulat alles beherrschender Selektion. Der Vorgang verläuft vielmehr eigengesetzlich, nachdem er möglicherweise durch bestimmte Umweltverhältnisse ausgelöst worden war.

 

Die Verwandtschaft bestimmter Transposonklassen mit Retroviren wird von Forschern verschiedener Arbeitsgruppen immer wieder betont (neben den schon p. 141 zitierten Arbeiten - von Doolittle 1982, Syvanen 1984, Garfinkel et al. 1985, Hehl et al. 1985, Paulson et al. 1985 u.v.a. - bei den meisten Verfassern weitere Literaturangaben).

Mehrere Autoren haben mit dem Gedanken horizontalen Gentransfers durch Transposons starke evolutionistische Erwartungen verbunden. Syvanen (1984) sieht in solchem Transfer einen Makromutationsmechanismus, der die Saltationstheorie direkt unterstützt. Mourant hat schon 1971 das Kambriumproblem mit Hilfe von Gentransfer durch Viren lösen wollen. Andere Biologen lehnen den ganzen Ansatz ab.

Beim Thema Genduplikationen hatte ich Goldschmidts Frage zitiert, wie ein Gen aus einer Verbindung mit aufeinanderfolgenden Schritten eines Synthesevorgangs herausgelöst werden kann, um schließlich eine vollständig neue Reaktionskette zu katalysieren (bzw. Glied einer neuen noch aufzubauenden Genwirkkette zu werden) etc. (vgl. p. 420). Es wurde gezeigt, dass Genduplikationen das Problem nicht lösen können, weil in vielen Fällen erst mit dem Endprodukt eines aus vielen Einzelschritten bestehenden Synthesevorgangs unter genauer zeitlicher und räumlicher Genexpression durch entsprechende Regulatorsysteme etwas gewonnen wäre (pp. 233/236).

Diese Einwände treffen im Prinzip auch auf die Hypothesen des Gentransfers durch Retroviren bzw. Transposons zu. Es würde beispielsweise einer Blattlaus wenig nützen, wenn sie durch Retrovireninfektion das Chalcon-Synthase-Gen von Antirrhinum erhielte. Die Retroviren müssten nicht nur diese DNA-Sequenz zur Gewährleistung ihrer prospektiven Funktion im wesentlichen unverändert übertragen (was schon unwahrscheinlich genug ist), sondern eine ganze Genwirkkette aus 10 (oder mehr) im Genom der 'Spender-Art' verteilten für die Anthozyanbildung notwendigen Gene. Da aber eine Expression von Anthozyan z.B. in den Facettenaugen einer Blattlaus ein nicht zu übersehender Störfaktor wäre (falls es überhaupt zur Anthozyanbildung kommt), bedarf es auch eines Regulatorsystems zum biologisch sinnvollen Einsatz des neuen Syntheseprodukts. Dieses Regulatorsystem kann die Laus aber nicht mehr vom bisherigen Genspender erhalten, da dessen Regulatorgene in Wechselwirkung mit dem arteigenen Plasma für die Anthozyanbildung vor allem in der Blüte zuständig sind und somit das Regulatorsystem prinzipiell nicht mehr sinnvoll übertragen werden kann. Für die Entwicklung eines eigenen Regulatorsystems gelten dafür die p. 359 f. zitierten (Un-)Wahrscheinlichkeiten, wobei eine meiotisch-plasmatische Regulation noch gar nicht miteinbezogen ist (vgl. pp. 210 - 270).

Für Probleme wie das sprunghafte Auftreten fast aller Tierstämme im Kambrium sind die Retroviren schon deswegen nicht zu gebrauchen, weil die für die Bildung der neuen Lebensformen notwendigen Tausende von Struktur- und Regulatorgenen ja vorher gar nicht existiert haben.

Eine mögliche Retrovirenwirkung auf vorhandene, funktionsfähige Gene verschiedener Lebensformen wäre in Korrelation mit der Stärke der Genominfektionen und der damit einhergehenden Erhöhung der Mutationsraten eine schnelle Abwandlung redundanter Sequenzen. Wieweit Introns auf Transposons zurückzuführen sind, wird die weitere Forschung zeigen. Weder die mutationsbedingten Veränderungen redundanter Sequenzen noch zusätzliche Introns können die Entstehung neuer Baupläne verständlich machen.

Bei tatsächlicher Übertragung von Genen oder Bruchstücken von Genen ist deren Degeneration mangels stabilisierender Selektion zu erwarten: Punktmutationen, Deletionen, Dissoziation durch Crossing over etc. werden mit der Zeit die Sequenzen so abwandeln, dass selbst in dem unwahrscheinlichen Fall, dass im Laufe größerer Zeiträume ganze Genwirkketten zusammenkommen könnten, die anfangs übertragenen Gene nicht mehr funktionsfähig wären.

Soweit horizontaler Gentransfer durch Retroviren bei der Herkunft der Lebensformen überhaupt eine Rolle spielt, dürfte es sich um eine untergeordnete Rolle jenseits des Ursprungs der primären Arten handeln.

 

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NACHTRAG ZU SEITE 459 (TRANSPOSONWIRKUNGEN)

 

Zur Fitnessfrage:

Montgomery, E., B. Charlesworth und C.H. Langley (1987): A TEST FOR THE ROLE OF NATURAL SELECTION IN THE STABILIZATION OF TRANSPOSABLE ELEMENT COPY NUMBER IN A POPULATION OF DROSOPHILA MELANOGASTER. Genet. Res. 49, 31 - 41.

P. 32: Insertions of transposable elements can cause mutations with gross phenotypic effects in a wide variety of organisms (Shapiro, 1983), and the vast majority of such mutations reduce the fitness of their carriers (Simmons & Crow, 1977). Thus selection against the presence of elements may play an important role in limiting copy numbers. In fact, restriction map surveys of Drosophila populations show that transposable elements are rarely found within transcriptional units, presumably because deleterious effects of such insertions prevent them from rising to the frequencies observed for insertions in non-coding regions (Langley et al. 1982; Leigh Brown, 1983; Aquadro et al., 1986).

Siehe auch Genet. Res. 48, 77 - 87 (T.F.C. Mackay: "...mean homozygous fitness, viability and fertility...decreased (für ein Chromosom) 55, 28, 40 %.) - B.J. Fitzpatrick, J.A. Sved: Genet. Res. 48, 89 - 94 (...The magnitude of decline...estimated in the range of 10 - 20%) (Details bei den Autoren!)

Zu Seite 458 unten (letzter Absatz mit Zitat):

Kazazian, H.H. Jr., C. Wong, H. Youssoufian, A.F. Scott, D.G. Phillips & S.E. Antonarakis (1988): HAEMOPHILIA A RESULTING FROM DE NOVO INSERTION OF L1 SEQUENCES REPRESENTS A NOVEL MECHANISM FOR MUTATION IN MAN. Nature 332, 164 - 166.

P. 164: "...structure suggests that L1 elements represent a class of non-viral retrotransposons...We now report insertions of L1 elements into exon 14 of the factor VIII gene in two of 240 unrelated patients with haemophilia A."

Die Insertionen sind 3,8 bzw. 2,3 kb lang.

Es versteht sich von selbst, dass Transposons ungeeignet sind, solche Gene im evolutionistischen Sinne abzuwandeln und 'weiterzuentwickeln'.

Die häufig auch anzutreffende 'optimistische' Auffassung zum Thema Transposons und Evolution verwechselt regelmäßig Variabilität mit Evolution sensu lato. Dass Variabilität einer Sequenz häufig deren Funktionsbeeinträchtigung bis zum vollen Funktionsverlust beinhaltet, wird in seiner Bedeutung für die Ursprungsfrage oft nicht erkannt. Wo immer nur sich etwas verändert, wird von Evolution gesprochen. "The great potential of transposable elements to generate sequence alterations, suggests a possible role for them in evolution as tools for shaping and optimizing control regions of genes" schreiben 3 zur Weltspitze der Transposonforschung gehörende Forscher vorsichtig. [Ähnlich Kiff et al. (1988, p. 633): ''Transposon excision appears to be a potentially rich and evolutionary significant source of genetic diversity for protein structure, and perhaps for allele heterogeneity in genetic disease." Realistischer könnte der Satz so lauten: "Transposon excision appears to be a potentially rich and significant source of genetic diversity for disturbing and destroying protein structure as for allele heterogeneity in genetic disease." Damit soll nicht in Frage gestellt werden, dass neben dieser Hauptfunktion auch mikroevolutionistisch relevante Variabilität erzegt werden kann (vgl. p. 452).]

Unter der Voraussetzung, dass der Ursprung aller Lebensformen letztlich auf ungezielte DNA-Variabilität zurückgeht (vgl. pp. 563/564 und 578), treffen die oben zitierten Aussagen der Autoren sicher zu. Je mehr Variabilität, desto mehr Evolution [oder präziser:...desto größer das Evolutionspotentiel]. Macht man diese Voraussetzung jedoch nicht und geht rein induktiv vor, dann würde man den zuerst zitierten Satz eher folgendermaßen formulieren: "The great potential of transposable elements to generate sequence alterations, suggests a possible role for them in degeneration as tools for disturbing and destroying control regions of genes." Wie im Degenerationskapitel ausgeführt (vgl. p. 403 f.), kann der Verlust von Funktionen auch mit Selektionsvorteil verbunden sein (p. 411), womit dann tatsächlich eine Optimierung von Sequenzen und Funktionen für bestimmte Umweltverhältnisse möglich erscheint. Für den Ursprung der genetischen Information von Gen-Wirkketten und deren Regulation sowie des Aufbaus synorganisierter physiologischer und anatomischer Systeme der primären Arten halte ich die Wirkungen von Transposons für sekundäre Erscheinungen. Das äußerst seltene Vorkommen von Footprints in Exons unterstützt diese Auffassung.

Nimmt man jedoch als Ausweg vor dem Fitnessverlust bei Homozygotie eine transposonverursachte Mehrschritt-Entwicklung unter dem Schutz der bisherigen voll funktionierenden Allele an (also bei Heterozygotie), so erheben sich hier im Prinzip wieder alle die nach Goldschmidt (pp. 386, 426), Schmidt (pp. 421, 426/427), Ohno (pp. 422, 545), Spofford (p. 429) (vgl. auch pp. 423, 466) u.a. zitierten Einwände.


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