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HOIMAR VON DITFURTH : DER GEIST FIEL NICHT VOM HIMMEL ( 1976) UND RICHARD DAWKINS: THE BLIND WATCHMAKER (1986)

 

Es handelt sich in beiden Fällen um populärwissenschaftliche Bücher, die monatelang in den Bestsellerlisten zu finden waren. Beide Autoren gehen in ihren Arbeiten auch ausführlich auf die Frage nach der Entstehung des Auges durch Mutation und Selektion ein. Beide Beiträge wurden auch schon zitiert (vgl. pp. 90 - 93). Die Verfasser machen nun serienweise die gleichen Fehler wie oben für die Arbeiten von Rensch, Darwin, Maynard Smith, Bakken, Salvini-Plawen und Mayr in allen Details schon dokumentiert und diskutiert: Wir finden serienweise anthropomorph-lineare Simplifikationen; die Fragen nach der mathematischen Wahrscheinlichkeit und Reproduzierbarkeit der Entstehung synorganisierter Augenstrukturen werden gar nicht erst gestellt; komplexere Strukturen und Synorganisationen von Auge und Gehirn bei Wirbeltieren werden von Dawkins ganz weggelassen und bei v. Ditfurth auf mögliche lineare Etappen beschränkt. Ich möchte im Folgenden nun nicht noch einmal auf jeden einzelnen Punkt eingehen, sondern mehr die spezifischen Abweichungen und Besonderheiten dieser Arbeiten hervorheben.

 

1.Teil

HOIMAR VON DITFURTH

leitet mit großem stilistischen Talent die Lichtrezeptoren des menschlichen Auges aufgrund verschiedener struktureller und biochemischer Ähnlichkeiten von Euglenas Augenfleck ab: "Verblüffender könnte sich der historische Zusammenhang zwischen diesen beiden extremen Enden der Entwicklung kaum dokumentieren" (p. 114). - Was auch nach evolutionistischen Voraussetzungen falsch ist: "All the evidence, however, indicates that the earliest invertebrates, or at least those that gave rise to the more advanced phyletic lines, had no photoreceptors" (Salvini-Plawen und Mayr, 1977, p. 253).

Es dürfte hier jedoch ein funktionell-ideeller Zusammenhang im Bauplan der Schöpfung vorliegen.

Die Linsenbildung erklärt von Ditfurth wie folgt (p. 123):

Als der häutige Verschlußdeckel erst einmal existierte, bekamen individuelle Varianten und Mutationen einerseits und die richtende Kraft der Selektion andererseits die Gelegenheit, ihn - nun wieder ausschließlich im Dienst einer Verbesserung der Funktion - zu einer Linse weiterzuentwickeln, die das Auge aus seiner paradoxen Situation befreite.

(Ähnlich Dawkins 1986, p. 86: "...there is a continuously graded series of improvements, thickening it and making it more transparent and less distorting, the trend culminating in what we would all recognize as a true lens.")

Abgesehen davon, dass in den oben detailliert diskutierten morphologischen Serien alle diese postulierten Übergangsbildungen fehlen, darf man das wohl eine evolutionistische Simplifikation nennen (vgl. pp. 93-95).

Wie oben schon angedeutet, lässt Ditfurth zunächst die komplexen Synorganisationen zwischen menschlichem Auge und Gehirn völlig weg und vermittelt dann mit der auf der nächsten Seite wiedergegebenen Abbildung den nicht mit den Details vertrauten Lesern den Eindruck, alles Wesentliche zur Entstehung des menschlichen Auges erklärt zu haben. Er nennt dies überdies "eines der überzeugendsten Beispiele für die Fruchtbarkeit der Darwinschen Entwicklungslehre". Sieht man sich jedoch prädarwinistische Literatur zu dieser Frage näher an (z.B. Cuvier), dann findet man, dass die hier dargestellten Augentypen bereits vor Darwin bekannt waren. Im Übrigen sei daran erinnert, dass die Individualentwicklung der Augen beim Menschen und der Wirbeltiere überhaupt anders abläuft als hier dargestellt (vgl. pp. 11/12 und 30/31).

Bei der Behandlung des Gehirns verfährt der Verfasser dann später nach demselben Muster, das man wohl am besten mit Heberers Begriff der "additiven Typogenese" charakterisiert: Linear wird immer ein Steinchen aufs andere gesetzt und dabei völlig übersehen, dass es sich in Wirklichkeit um ein komplexes Netzwerk interagierender Systeme handelt (und das auf allen Ebenen: auf genetischer, ontogenetischer, physiologischer, anatomisch-morphologischer und ökologischer Ebene). Ditfurth setzt dabei mit einer Selbstverständlichkeit sämtliche für seine Ableitungen notwendigen positiven Mutationen voraus, die allen Erfahrungen der Mutationsgenetik spottet. [Details siehe Lönnig 1988.]

Nimmt man einmal Haeckels "Biogenetisches Grundgesetz" (das noch heute als "Biogenetische Grundregel" in vielen Schulen und Lehrbüchern auftaucht) beim Wort, nämlich die Behauptung, dass die Ontogenese die Phylogenese rekapituliere, dann müssten sich auch in der Phylogenese viele Prozesse zur Bildung des Wirbeltierauges gleichzeitig und gleichsinnig abgespielt haben - Vorgänge, die man dann wohl besser mit dem Begriff "koordiniertes" Intelligent Design kennzeichnen sollte.

Schematische Darstellung der Augenentwicklung nach v. Ditfurth. Die hier dargestellten Augentypen waren schon vor Darwin bekannt!

Für diese synorganisiert ablaufenden Prozesse und Interaktionen zitiere ich ein paar Beispiele aus Williams and Warwick 1980, p. 176 (siehe auch Rauber/Kopsch 1987):

Under the influence of the lens the cells of the internal stratum proliferate and form a layer of considerable thickness from which are developed the nervous elements and the sustentacular fibres (cells) of the retina, together with a portion of the vitreous body. In the region of the cup which overlaps the lens the inner stratum is not differentiated into nervous elements, but persists as a layer of columnar cells which, together with the corresponding part of the pigmented layer, form the double epithelium of the ciliary and iridial parts of the retina.

The cells of the inner layer of the cup proliferate and form an outer nuclear zone and an inner marginal zone, devoid of nuclei. At 12 mm the cells of the nuclear zone invade the marginal zone, and at 17 mm the nervous stratum of the retina consists of inner and outer neuroblastic layers. The inner neuroblastic layer gives origin to the ganglion cells, the amacrine cells and the somata of the sustentacular fibres (of Müller); the outer neuroblastic layer is the source of the horizontal and rod- and conebipolar neurons and probably the rod and cone cells, which first appear in the central part of the retina. By the eighth month all the layers of the retina can be identified.

Weitere Punkte finden wir auf p. 178:

The vitreous body is developed between the lens and the optic cup. The lens rudiment and the optic vesicle are at first in contact with each other, but after the closure of the lens vesicle and the formation of the optic cup the former is withdrawn from the retinal layer of the cup; the two, however, remain connected by a network of delicate cytoplasmic processes. This network, derived partly from the cells of the lens and partly from those of the retinal layer of the cup, is the primitive vitreous body.

At first these cytoplasmic processes spring from the whole of the retinal layer of the cup, but later are limited to the ciliary region, where by a process of condensation they appear to form the ciliary zonule. The mesenchyme which enters the cup through the choroidal fissure and around the equator of the lens becomes intimately united with this reticular tissue, and also contributes to the formation of the vitreous body, which is therefore derived partly from the ectoderm and partly from the mesoderm. Considerable controversity regarding the precise derivation of the vitreous still persists. There are probably three sources: the local mesenchyme, the lens (ectoderm) and the retina (neurectoderm).

Vergleiche weiter die Autoren zu den Themen The lens, The aqueous chamber, The sclera and choroid.

Die folgende Abbildung verdeutlicht die Komplexität der Okulomotorik:

Aus NEUROLOGIE, 8. Aufl. 1986 von M. Mumenthaler. Die Abbildung zeigt nur einen winzigen Bruchteil des komplexen Netzwerks aus dem "Schaltplan des Geistes". Additionen durch richtungslose Mikromutationen?

"Die Okulomotorik stellt zweifellos ein sehr komplexes System mit vielerlei Rückkoppelungen dar, bei dem sowohl der Okzipitallappen als auch der Frontallappen als Integratoren fungieren. Es wäre eine zu starke und unerlaubte Simplifizierung, sich die Okulomotorik lediglich aus einigen hintereinander und nebeneinandergeschalteten Relais vorzustellen, die gewisse Stationen aufweisen und deren Endstationen in den Augenmuskelkernen der Medulla oblongata liegen" (Drischel und Kirmse, Hrsg., 1979, p. 44).

Merkwürdig ist bei von Ditfurth übrigens, dass er im Kapitel 13 seines Buches Uexkülls Umweltlehre behandelt und allem Anschein nach auch verstanden hat, sie dann aber wieder für die von ihm diskutierten Ursprungsfragen völlig ausklammert.

Die weite Verbreitung des Buches ist sicher auf die lebendige und anschauliche Darstellungsweise - unter Vermittlung interessanter biologischer und historischer Details - zurückzuführen. Leider hat die didaktisch ohne Frage voll gelungene Darstellung wenig mit den biologischen Realitäten zur Ursprungsfrage zu tun. Man kann zu dieser Frage nur feststellen, dass es wirklich beeindruckend ist, mit welcher Eigendynamik der Text des begabten Autors an allen wesentlichen biologischen Realitäten vorbeigeht.

Man könnte nun - wie für den Darwintext pp. 43 bis 63 und teilweise für die Ausführungen Salvini-Plawens und Mayrs pp. 86 bis 110 dokumentiert auch Ditfurths Hypothesen in allen Details kritisch sichten und den gesamten Text neu formulieren. Aber das wäre eine umfangreiche Aufgabe für sich, die aber kaum zu wesentlich neuen Einsichten in die Grundsatzfragen unserer Thematik führen würde.


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