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DIE ENTSTEHUNG DES AUGES

 

Die Problematik der Frage liegt in der Tatsache begründet, dass kein Mensch als Beobachter dabei war, als die komplizierten Strukturen des Auges entstanden - es gibt also keine unmittelbare Naturbeobachtung, die uns genau Aufschluss über den Verlauf der Entstehung der Organismen samt einzelner Strukturen geben könnte. Wir sind daher auf möglichst gute Vergleiche angewiesen - am besten sind prinzipiell vergleichbare Systeme (oder Teilsysteme), bei denen die Frage nach den Voraussetzungen, den Ursachen und der Art ihrer Entstehung (ebenso die Frage wie solche Systeme nicht entstehen) geklärt ist. Das ist die einzig logische und gesicherte, bereits auf tausend andere Gebiete und Probleme erfolgreich angewandte Verfahrensweise, um zu einem vernünftigen Ergebnis zu gelangen. Dabei ist zwischen den prinzipiellen Ursachen und den oft variablen "Fertigungsmethoden" zu unterscheiden.

Gibt es dem Auge, zumindest in wesentlichen Punkten, vergleichbare Strukturen mit vergleichbaren Funktionen, wobei sich beide schließlich sogar auf einen gemeinsamen Nenner zurückführen lassen, so dass wir für unsere Fragen vom Bekannten auf das Unbekannte schließen können?

Der Biotechniker W. Nachtigall, ein Vertreter der neodarwinistisch orientierten Biologie, schreibt zur Gegenüberstellung von photographischer Kamera und Auge (1974, p. 375):

Tatsächlich bestehen hier klare Entsprechungen in fast allen Strukturen, was die Beliebtheit des Beispiels erklärt. Als bilderzeugendes System besitzen Kamera und Auge eine Linse. Dem Kameragehäuse entspricht der Augenbulbus, dem lichtempfindlichen Film die lichtempfindliche Netzhaut (wobei die Netzhaut auch noch anderes leistet als nur Lichtquanten aufzunehmen - nämlich Lichtreize weitgehend zu verrechnen). Die Entfernungseinstellung geschieht bei der Kamera im allgemeinen durch eine Schneckengang-Verschiebung der Optik, beim Auge des Menschen über eine spezielle Linsenaufhängung und Muskulatur. Bekanntlich besitzt die Kamera eine Blende, eine Irisblende aus halbmondförmigen Lamellen, mit der eine zentrale Öffnung kleiner und größer gestellt werden kann. Das analoge Element des Auges ist die Iris, die über ihre Muskulatur die "Öffnung" des Auges, die Pupille, kleiner und größer stellen kann. Irisblende der Kamera und Iris des Auges dienen dazu, die Lichtmenge (Helligkeit) zu regulieren, die auf die lichtempfindliche Schicht fällt. Daß mit kleinerer Iris die Schärfentiefe und in Grenzen auch die Bildschärfe steigt, sind Nebeneffekte.

Und Seite 381:

Wer die beiden Teile der (darüberstehenden°) Abbildung vergleichend betrachtet, wird wohl mit einigem Erstaunen feststellen, daß es sich hier prinzipiell um gleiche Systeme handelt. Zwar sind die Baumaterialien der Glieder des Regelkreises ganz unterschiedlich: Der Fühler ist in einem Fall eine Fotodiode, im anderen Fall eine Lichtsinneszelle, das Stellglied ist in einem Fall ein Stellmotor mit Getriebe und Blende, im anderen Fall ein Muskelsystem; der Regler der Kamera ist eine mit Transistoren, Widerständen und ähnlichem Zubehör beschickte Steckkarte, der Regler für den Pupillenreflex beim Menschen ist ein System aus einer größeren Anzahl komplex verschalteter Nervenzellen im Gehirn. Auf der anderen Seite aber - und das ist das Entscheidende - sind alle diese Glieder im technischen wie im biologischen Beispiel auf gleiche Weise verschaltet und schließen sich durch die Rückführung dessen, was der Regler aufgenommen hat (die Einspeisung eines vom Fühler aufgenommenen Istwerts in den Regler), zum Regelkreis. Das Regelkreisschema der (darüberstehenden) Abbildung gilt deshalb für beide Fälle in gleicher Weise; das abstrakte kybernetische Schema ist sozusagen der kleinste gemeinsame Nenner, auf den die beiden scheinbar so verschiedenartigen Systeme in Natur und Technik gebracht werden können.

Der Regler R vergleicht nicht nur Ist- und Sollwert der Regelgröße, sondern überträgt zudem auch das Ergebnis auf einen Leistungsverstärker, der seinerseits die Stellgröße y bestimmt, die der Regelstrecke eingespeist wird. Damit ist der Regler dreigliedrig. Er besteht aus einem Vergleichs- oder Komperatorglied Σ, das xist von xsoll abzieht und damit xw generiert. Dieses wird - mit Hilfe des Übertragungsglieds Ü - auf den Leistungsverstärker L übertragen.

Die Regelstrecke S wiederum enthält zusätzlich einen Umformer U, der in Serie hinter dem Meßfühler F geschaltet ist. Damit hat es folgendes auf sich: Das technische wie das neurale Regelsystem arbeitet mit elektrischen Spannungen. Die zu regelnden Größen und die auszuregelnden Störgrößen sind aber keine elektrischen Spannungen, sondern Licht, Schall, Wärme, Druck oder was auch immer. Elektrische Größen hier, nicht-elektrische Größen dort, müssen nun regeltechnisch verknüpft werden, und dazu sind Umformer nötig. In unserem Beispiel ist die Störgröße "Licht" (Beispiel p. 382: starker Scheinwerfer), und der Fühler F registriert dieses Licht. Der nachgeschaltete Umformer U wiederum setzt das Licht in eine der Lichtmenge proportionale elektrische Spannung um, auf die allein der Regler in der Folge anzusprechen vermag. Dieser Dualismus zunächst "unmischbar" scheinender Größen ist in (der) Abbildung noch dadurch symbolisiert, daß xsoll und xist nicht nur als zu regelnde Ursprungsgröße (Licht), sondern auch als dieser proportionale Spannung angegeben ist; das Symbol x bezieht sich auf das Licht, das Symbol x* auf die dazu proportionale Spannung.31)

°von mir statt Bezeichnung "Abb. 19-2"

Obwohl der Autor noch darauf hinweist, dass hier manches "überschematisiert" ist, lässt er doch - trotz sauberer Herausarbeitung der mechanisch-kybernetischen Seite des Systems - beim Auge des Menschen einen wesentlichen Aspekt unerwähnt, nämlich den psychosomatischen. Dass seelische Erregung die Pupille erweitern, Konfliktsituationen (bei unwahren Aussagen z.B.) sie verengern können, ist ja heute schon fast Allgemeinwissen. Es gibt kein Organ des menschlichen Körpers, welches die Gefühlswelt stärker zum Ausdruck bringt als das menschliche Auge: Hass und Liebe, Verzweiflung und Frieden, aber auch Tiefe, Schönheit und Weisheit. Hier ist das Ende des mechanischen Vergleichs.

Bleiben wir bei der rational voll erfassbaren Seite des Geschehens, den hier festgestellten kybernetischen Beziehungen.

Wurmbach bemerkt zum Stichwort "Kybernetik" (1970 p. 4) u.a.:

Die Lehre von den Regelungen im Organismus ist als "Kybernetik" in den letzten Jahren immer mehr zu einem besonderen Forschungsgebiet geworden, besonders nachdem sich herausgestellt hatte, daß dasselbe Prinzip auch in den vom Menschen zur Erweiterung seiner "Wirkwelt" erschaffenen Maschinen angewandt wird. Der Mensch hat also ein in ihm selbst wirksames Prinzip auf die anorganische Natur übertragen können.

Ähnlich p. 555:

Er (N. Wiener) konnte, wie viele nach ihm, zeigen, daß die Regelungsvorgänge der Organismen nach denselben Prinzipien arbeiten, wie die der Maschinen.32)

N. Wiener 1971, p. 11:

Das Wichtigste war die Kenntnis der tatsächlichen Einheit von Problemen der Nachrichtenübertragung, der Regelung und auch der statistischen Mechanik sowohl bei der Maschine wie auch im lebenden Gewebe.33)°

B. Hassenstein 1973, p. 126:

...ein biologischer Regelkreis unterscheidet sich nach allen bisherigen Kenntnissen in seinem Wesen nicht von den in der Technik bekannten.34)

Dass Maschinen aus anderen Materialien bestehen, ändert an den Grundprinzipien (den Gesetzen der Konstruktion, der nicht rotatorischen Kinematik, der Informationsübertragung) nichts, auch nicht die Art der Informationsspeicherung [- nur über den "Umweg" der Ontogenese und als "steady state" (Bertalanffy) tausendmal komplizierter!]

Prof. Dr. Wilder-Smith schreibt dazu (1973, pp. 80/81):

Bei der Information handelt es sich jedoch immer um die gleiche Ware, ungeachtet der Art ihrer Speicherung. Information bleibt Information, ob sie nun intern in Codeform in den Genen oder extern in den Teilen einer Kamera gespeichert ist.35)°

°Detaillierte Begründung bei den zitierten Autoren

Der bekannte Heidelberger Physiologe Prof. Hans Schäfer bemerkt zur Frage nach der Entstehung kybernetischer Systeme (1956, p. 41/42 und 1968):

Regelanlagen sind zwar mit Hilfe von Mechanismen als Mittel zu bestimmten Zwecken gebaut, aber damit nicht erklärt. Es ist die Existenz des Regelvorganges selbst, die Existenz eines geschlossenen organischen Regelsystems selbst, was der mechanistischen Naturerklärung nicht zugänglich ist. Diese Existenz ist freilich in einem mechanistischen Weltbild einer Erklärung auch gar nicht bedürftig, da sie durch Zufall entstanden gedacht ist.

Wir sind damit wieder bei dem schon ausführlich behandelten Begriff "Zufall" (vgl. pp. 15-19). Dieser Glaube an den Zufall, diese Zufallsreligion, wird der Frage nach der Entstehung der zitierten kybernetischen Systeme in keiner Weise, weder theoretisch noch in der Praxis, gerecht. Schäfer bemerkt treffend, dass wir mit der Kybernetik eine technische Erklärung haben, "die den Konstrukteur in unsere Modellvorstellung der belebten Materie einführt." (p. 45)37)

Kehren wir damit zu unserer Ausgangsfrage zurück: Von dem vergleichbaren Objekt, der Kamera, wissen wir sowohl wie es entsteht als auch wie es nicht entsteht. Die Wahrscheinlichkeit, dass es durch eine große Anzahl kleiner zufälliger Abänderungen entsteht, ist derart gering, dass mit dieser "Möglichkeit" praktisch niemand auf unserer Erde rechnet.

Voraussetzung und Ursache für die Entstehung vergleichbarer Strukturen ist immer zielgerichtetes Handeln, welches ausnahmslos Bewusstsein, besondere Intelligenz und Geist voraussetzt. Das trifft somit im Prinzip auch auf die Entstehung der oft wesentlich komplexeren kybernetischen Systeme der Organismenwelt zu.

Dass darüber hinaus diese kybernetisch fassbare Ordnung von der "Innerlichkeit" (Portmann) in ihren Dienst genommen werden kann, ist ein Argument mehr für unsere Auffassung.

Der Gehirnphysiologe W.R. Hess 1974 (vgl. Thema Gravitation und Planetenbahnen) schrieb:

Teleologie ist im Reich des Lebendigen ebenso real wie die Schwerkraft in der anorganischen Welt.38)

Unübertroffen zog William Paley sein Fazit in diesem Sinne:

Gäbe es auf der Welt kein weiteres Beispiel für Planung als das des Auges, so würde dies allein zur Begründung unserer Schlußfolgerung, der Notwendigkeit eines intelligenten Schöpfers, genügen. Dies wird man niemals vermeiden können (It could never be got rid of), weil das Auge nicht durch irgendeine andere Annahme erklärt werden könnte, die nicht allen bekannten Prinzipien des Wissens widerspräche - die Prinzipien, nach denen Behauptungen, sobald sie experimentell untersucht werden können, sich als richtig oder falsch erweisen. Seine Hüllen (coats) und Flüssigkeiten, konstruiert wie die Linsen eines Teleskops für die Brechung der Lichtstrahlen auf einen Punkt, was die angemessene Funktion des Organs ist; die Vorrichtung seiner Muskelbänder, um die Pupille auf das Objekt zu richten, ähnlich den Stellvorrichtungen eines Teleskops, von welcher Fähigkeit der Richtungseinstellung des Auges seine Aufgabe als optisches Instrument abhängt; die Schutzvorrichtungen für seine dauernde Gleitfähigkeit (lubricity) und Feuchtigkeit, die wir in seinen Höhlen (sockets) und Lidern sehen, seine Drüsen zur Absonderung von Tränenflüssigkeit, seinen Auslaß oder seine Verbindung mit der Nase, um die Flüssigkeit abzuleiten nachdem damit das Auge gereinigt worden ist; diese

Vorrichtungen bilden zusammen einen Apparat, ein System von Teilen, eine Bereitstellung der Mittel, so offenkundig in ihrer Konstruktion, so ausgezeichnet in ihrer Planmäßigkeit, so erfolgreich in ihrer Aufgabe, so kostbar und unendlich nützlich in ihrem Gebrauch, um - meiner Meinung nach - alle Zweifel zu beseitigen, welche zu diesem Thema erhoben werden können. Und was ich unter dem Titel des vorliegenden Kapitels ("The Argument Cumulative") hervorheben möchte, ist folgendes: wenn andere Gebiete der Natur unseren Fragen unzugänglich wären oder selbst wenn andere Gebiete der Natur unserer Untersuchung nichts als Unordnung und Durcheinander präsentierten, so würde doch die Stichhaltigkeit dieses Beispiels unberührt bleiben. Wenn es auf der Welt nur eine Uhr gäbe, so wäre es nicht weniger sicher, daß sie einen Uhrmacher hätte. Wenn wir in unserem Leben nur eine einzige hydraulische Maschine kennengelernt hätten, jedoch von dieser Art Mechanismus und Gebrauch verstehen würden, so wären wir genauso sicher, daß sie aus der Hand, den Gedanken und Fertigkeiten eines Handwerkers (workman) hervorgegangen ist, wie wenn wir ein Museum besuchten und dort zwanzig verschiedene Maschinenarten zum Wasserschöpfen ausgestellt fänden oder tausend verschiedene Arten für andere Zwecke. In diesem Punkt ist jede einzelne Maschine ein Beweis, der unabhängig von allen anderen besteht. Genauso ist es mit den Beweisen der göttlichen Kraft (divine agency). Der Beweis ist nicht eine Schlußfolgerung, die am Ende einer Argumentationskette liegt, bei der jedes Beispiel der Planmäßigkeit nur ein Glied ist und wenn ein Glied versagt, alles versagt. Statt dessen wird das Argument gesondert durch jedes einzelne Beispiel (von neuem) belegt. Ein Irrtum beim Aufstellen eines Beispiels betrifft nur dieses Beispiel. Das Argument summiert sich im wahrsten Sinne des Wortes. Das Auge beweist es ohne das Ohr, das Ohr ohne das Auge. Der Beweis eines jeden Beispiels ist in sich vollständig; denn wenn der Plan des Teiles und die Zweckmäßigkeit seiner Struktur gezeigt wird, kann das Problem als gelöst gelten (the mind may set itself at rest); keine zukünftige Überlegung wird jemals den Wert des Beispiels vermindern können (no future consideration can detract anything from the force of the example).41)


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