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Wolf-Ekkehard Lönnig:


Ein paar offene Fragen der Evolutionstheorie sowie theologische Einwände von Evolutionstheoretikern zum Thema Intelligent Design

 

Meine Herren, als Physiker, der sein ganzes Leben der nüchternen Wissenschaft,
der Erforschung der Materie widmete, bin ich sicher von dem Verdacht frei,
für einen Schwarmgeist gehalten zu werden.
Und so sage ich Ihnen nach meinen Erforschungen des Atoms dieses:
Es gibt keine Materie an sich.1
Alle Materie entsteht und besteht nur durch eine Kraft, welche die Atomteilchen in Schwingung bringt
und sie zum winzigsten Sonnensystem des Alls zusammenhält. Da es im ganzen Weltall aber
weder eine intelligente noch eine ewige Kraft gibt
- es ist der Menschheit nicht gelungen, das heißersehnte Perpetuum mobile zu erfinden -
so müssen wir hinter dieser Kraft einen bewussten intelligenten Geist annehmen.
Dieser Geist ist der Urgrund aller Materie.
Nicht die sichtbare, aber vergängliche Materie ist das Reale, Wahre, Wirkliche
- denn die Materie bestünde ohne diesen Geist überhaupt nicht - , sondern
der unsichtbare unsterbliche Geist ist das Wahre!
Da es aber Geist an sich ebenfalls nicht geben kann, sondern jeder Geist einem Wesen zugehört,
so müssen wir zwingend Geistwesen annehmen. Da aber auch Geistwesen nicht aus sich selber sein können,
sondern geschaffen werden müssen, so scheue ich mich nicht, diesen geheimnisvollen Schöpfer ebenso zu benennen,
wie ihn alle Kulturvölker der Erde früherer Jahrtausende genannt haben: Gott!2

 

Max Planck

  

Im Gegensatz dazu [der Methodik des religiösen Menschen] ist für den Naturforscher
das einzig primär Gegebene der Inhalt seiner Sinneswahrnehmungen und der daraus abgeleiteten Messungen.
Von da aus sucht er sich auf dem Wege der induktiven Forschung
Gott und seiner Weltordnung als dem höchsten, ewig unerreichbaren Ziele nach Möglichkeit anzunähern.

Wenn also beide, Religion und Naturwissenschaft, zu ihrer Betätigung des Glaubens an Gott bedürfen,
so steht Gott für die eine am Anfang, für die andere am Ende alles Denkens.
Der einen bedeutet er das Fundament,
der anderen die Krone des Aufbaus jeglicher weltanschaulicher Betrachtung.3

  

Max Planck

  

Es gibt einen verlockenden Spruch, der oft zitiert und gern gehört wird. Er lautet:
Religion und Naturwissenschaft liegen auf zwei verschiedenen Ebenen
und haben nichts miteinander zu tun.

...Es wäre dann so, daß der Hauptinhalt der neueren europäischen Geistesgeschichte
nur durch ein Mißverständnis zustande gekommen wäre -
das Ganze wäre nicht nötig gewesen, wenn man schon eher bemerkt hätte,
daß Religion und Naturwissenschaft sich gar nicht berühren.
[Und 10 Seiten zuvor nach Kennzeichnung dieser geistesgeschichtlichen Lage unter dem Bilde einer Mauer: ]
Diese Mauer, aufgerichtet durch die materialistische Philosophie mit Hilfe der älteren Naturwissenschaft,
schloß den naturwissenschaftlich Denkenden vom geistigen Bereich religiösen Glaubens ab.
Die moderne Naturwissenschaft jedoch hat durch Entkräftung
der naturwissenschaftlichen Voraussetzungen materialistischer Philosophie diese Mauer beseitigt.

  

Pascual Jordan

["Jordan war maßgeblich am Aufbau der Quantenmechanik beteiligt.
Er formulierte 1925 mit M. Born und W. Heisenberg die wesentlichen Grundlagen der Matrizenmechanik...
und trug wesentlich zur Entwicklung der Quantenelektrodynamik und Quantenstatistik bei"
(Meyers Grosses Universallexikon; ähnlich Brockhaus).]

  

Auch aktive Antireligiosität* bezeugt nur,
daß es Religion* gibt und daß sie zum Menschen gehört.
Die beiden Seiten des Menschen [sein körperliches Sein und geistiges Wesen]
lassen sich voneinander aber nicht trennen.
Der Mensch ist ein Wesen, das in zwei Welten zu Hause ist.
Man kann nicht von Natur reden, ohne vom Menschen zu reden,
und man kann nicht vom Menschen reden, ohne von Gott zu reden.
Auch von dieser Seite her führt der Weg unausweichlich zur Frage nach Gott.
Natur kann gar nicht vollständig behandelt werden, ohne die Frage nach Gott miteinzubeziehen.

  

Walter Heitler

[Quantentheoretiker aus dem Kreis der Physiker um Max Born
Inhaber der Max-Planck-Medaille und des Marcel-Benoist-Preises,
von 1949-1974 Professor für theoretische Physik an der Universität Zürich]

  

Gott hat sich auf zweierlei Art offenbart:
In der heiligen Schrift durch die Zunge, in der Natur durch seinen Finger.

  

Johannes Kepler

  

Vorbemerkungen: Zur Frage des Ursprungs des Universums und des Lebens kennt die mehr als 2500 Jahre alte Abendländische Kulturgeschichte im Wesentlichen zwei prinzipiell unterschiedliche Auffassungen, die man vielleicht ganz kurz einmal mit den Worten - (a) Geist zuerst (ontologischer 'Idealismus') und (b) Materie zuerst (Materialismus) - kennzeichnen könnte (ähnlich Dembski). Max Planck und zahlreiche weitere Nobelpreisträger und Naturwissenschaftler der Neuzeit standen bzw. stehen in der Tradition des Verständnisses, dass der "Geist der Urgrund aller Materie" ist. In den letzten Jahrzehnten hat allerdings die materialistische Auffassung stark an Boden gewonnen, so dass heutzutage Naturforscher, die die Auffassung Max Plancks teilen ("Geist zuerst"), von extremen Vertretern der Materialismus rundweg als "Kreationisten" und ihre Grundauffassung und Argumente von vornherein als "antinaturwissenschaftlich" diskriminiert werden können.

Darüber hinaus werden in naturwissenschenschaftlichen Zeitschriften und Internetseiten weltweit und recht regelmäßig theologische Fragen angesprochen, die im Sinne der Materie-zuerst-Meinung 'idealistische' Auffassungen oft nicht nur widerlegen möchten, sondern - kurz gesagt - als absurd darstellen wollen. Eine weitere Diskussion dazu ist aber häufig nicht erwünscht.

Wenn es jedoch erlaubt ist, materialistische Philosophien in naturwissenschaftlichen Medien zu vertreten und aus dogmatisch-naturalistischer Sicht theologische Fragen zu erörtern, dann sollte es eigentlich nur als selbstverständlich, fair und konsequent angesehen werden, wenn auch der 'Idealismus' eine Beitrags-Chance in solchen Medien erhält (zumal die 'idealistische Morphololgie' seit spätestens Goethe ganz wesentliche Beiträge zur Biologie geleistet hat, nicht zuletzt im deutschen Sprachraum [auch wenn nicht alle Punkte richtig sein müssen]).

Der Materialismus wird jedoch immer mehr zu einer totalitären Weltanschauung, die - im Bewußtsein des [vermeintlichen] Besitzes der absoluten Wahrheit zum Ursprung der Weltalls und des Lebens - jede andere Auffassung in den Naturwissenschaften grundsätzlich verbieten und jede ernsthafte Diskussion zur Fragwürdigkeit ihres Weltbildes untersagen möchte (vgl. dazu auch Antwort an meine Kritiker). Ich denke, dass auf diesem Hintergrund - und mit einem Blick auf die katastrophalen Folgen weltanschaulicher Intoleranz insbesondere in der neueren deutschen (aber auch der Welt-) Geschichte (überhaupt) - die hier wiedergegebenen Diskussionen noch an Aktualität gewinnen. Konkret nun zu diesen Diskussionen:

  

Einleitung: Die folgenden Diskussionen gebe ich hier wieder, weil die darin aufgeführten Argumente und Fakten für ein vertieftes Verständnis der Evolutionsproblematik aufschlussreich sein dürften.

Ein großer Teil der evolutionstheoretischen Einwände gegen Intelligent Design lässt sich spätestens seit der Zeit Darwins unter der Rubrik "theologische Probleme" klassifizieren, und es wurden von Evolutionstheoretikern in den folgenden Ausführungen verhältnismäßig wenige rein biologische Fragen angeschnitten, so dass ich mich - gemäß der Vorgabe der evolutionstheoretisch-theologischen Einwände - hier vor allem mit diesen Fragen beschäftigt habe (man ist direkt versucht, von "evolutionstheologischen" Argumenten zu sprechen [siehe unten]). Dabei habe ich unter anderem auf meine private Korrespondenz (eines meiner Schreiben) zur Beantwortung einer Hauptfrage zurückgegriffen, die ich zu Hause am PC etwa ein Jahr zuvor schon diskutiert hatte.

Der Leser urteile bitte wieder selbst, ob meine Auffassung zutrifft, dass die hier behandelten Einwände u.a. recht deutlich zeigen, dass bei Evolutionsfragen - insbesondere der Klassifizierung und der Akzeptanz bestimmter wissenschaftlicher Antworten - für viele Autoren ihre Grundauffassungen (d.h. ihr Gesamtweltbild) eine ganz entscheidende (wenn nicht sogar die entscheidende) Rolle spielen.

Oder um die Problematik weiter zu präzisieren: Ist es zutreffend, dass auf der einen Seite grundlegende Fragestellungen in der Auseinandersetzung zwischen Idealismus und Materialismus die Möglichkeiten und Grenzen der Naturwissenschaften deutlich transgredieren (vgl. mehrere Punkte der folgende Diskussionen), jedoch andererseits die von einem Forscher als verbindlich betrachteten Antworten auf solche (über die Naturwissenschaften hinausgehenden existentiellen) Grundprobleme enorm auf die Gesamtsichtweise eines Naturforschers zum Ursprung des Kosmos und des Lebens zurückwirken können und damit für ihn ganz wesentliche Markierungspunkte zur Frage liefern, was er im Rahmen der Naturwissenschaften selbst für real, möglich und wahrscheinlich hält?

 

1) Eine moderate Diskussion mit Herrn PROF. U. (Biologe) [Initiale verändert]

 

"Wir sind beide nicht in der Lage, das Leben und seine Entstehung auf klassische naturwissenschaftliche Weise zu erklären (keine reproduzierbaren Experimente etc.)."

PROF. U.

 

 

Mein Schreiben vom 7. August 2001

Lieber Herr U.

Für Ihre Nachricht vom 7. Mai 2001 möchte ich mich sehr herzlich bedanken. Die Auswertung von etwa 54.000 Löwen- und Katzenmäulchen (Misopates) ist einer der Gründe, warum ich mit soviel Verspätung antworte (ich bitte um Nachsicht).

In den folgenden Ausführungen möchte ich mich nun Satz für Satz mit dem ersten Teil Ihrer Überlegungen und Argumente zum Ursprungsthema befassen und Ihnen schreiben, wie ich diese Fragen zur Zeit beurteile.

Einleitend möchte ich noch hervorheben, dass es mir in meinen Kommentaren ausschließlich um ein möglichst realistisches Verständnis des Ursprungs und der Entwicklung der Arten geht. Wenn wir auch in mehreren grundlegenden Punkten übereinstimmen, so ist doch auch festzuhalten, dass wir zu einigen anderen derzeit ein (noch?) sehr unterschiedliches Verständnis haben. Wenn ich also zu einigen Fragen meinen Widerspruch anmelde, so bitte ich dies im Sinne einer sachlichen Information zu den gegensätzlichen Standpunkten und in keiner Weise als ad-hominem-Kritik zu betrachten.

Nun zu Ihren Ausführungen. Sie schreiben [Nachtrag: Antwort auf Manuskripte zum Gesetz der rekurrenten Variation und Evolution durch Gen-Duplikationen?]:

 

PROF. U.: Lieber Herr Lönnig,

ich glaube, ich kann den Punkt Ihrer Manuskripte verstehen. Schon Darwin hat ja darauf hingewiesen, dass etwas vorhanden sein muß, wenn man es durch Selektion verbessern will. Das hat er sowohl für die Entstehung des Lebens als auch für die Entstehung des Auges gesagt, daran hat uns ja letzten Mittwoch Herr Gehring in seinem Vortrag erinnert (ich weiß nicht, ob Sie da gewesen sind).

W.-E.L.: Zum letzten Punkt: leider nein, aber Herr Gehring hat schon einmal hier am MPI zum Thema gesprochen (Günter Theißen hatte ihn eingeladen), und ich habe mit Herrn Gehring sowohl in der Diskussion als auch nach Schluss der Veranstaltung mehrere Fragen angeschnitten, so dass ich von daher - und überdies auch von mehreren seiner Veröffentlichungen her - mit seinen Ideen vertraut bin (vor einiger Zeit hat er mir auch einmal einen Sonderdruck geschickt, aus der seine grundsätzlich bejahende Haltung zum Darwinismus deutlich hervorgeht). Bei aller Bewunderung für seine hervorragenden wissenschaftlichen Leistungen zum Homöobox-Thema samt außergewöhnlich eindrucksvollen Experimenten, möchte dennoch hinzufügen, dass ich etwas enttäuscht war über seine wirklich mangelhafte Kenntnis der gegensätzlichen Auffassungen zum Thema des Ursprungs der Organismenwelt. Selbst die Kritik von Wolff und Kahle zum Thema Auge und Darwinismus hatte er - so war mein Eindruck - überhaupt nicht verstanden.

PROF. U.: Ob alle Nachfolger von Darwin sich das immer klar machen [dass etwas vorhanden sein muß, wenn man es durch Selektion verbessern will], ist eine andere Frage.

W.-E.L.: Dieser Zweifel ist sicher angbracht.

PROF. U.: Ob das für eine zielgerichtete Evolution spricht, weiß ich nicht.

W.-E.L.: Das allein spricht sicher noch nicht für eine zielgerichtete Evolution.

Sie sprachen oben davon, dass Darwin die Voraussetzung, dass etwas vorhandem sein muss etc. sowohl für die Entstehung des Lebens als auch für die Entstehung des Auges betont hat.

Was die materielle Basis der Entstehung des Lebens und der Entstehung der Arten anlangt, so könnte diese ja ebenfalls das Produkt einer ziellosen (jetzt physikalischen) Evolution sein - wie das vom philosophischen Materialismus grundsätzlich angenommen und totalitär behauptet wird. Gegen Letzteres spricht jedoch das "Fine-Tuning" der physikalischen Parameter des Universums. Sir John Polkinghorne (Professor of Mathematical Physics at the University of Cambridge 1968-1979 und 1989-1996 President of Queens' College, Cambridge) meint zum letzteren Punkt (1996, p. 92): "...I believe that in the delicate fine-tuning of physical law, which has made the evolution of conscious beings possible, we receive a valuable, if indirect, hint from science that there is a divine meaning and purpose behind the cosmic history. In my opinion, science is possible, and cosmic history has been fruitful, because the universe we inhabit is a creation." Und p. 112: "Behind the scientific order of the universe is the Mind of the Creator. Behind the human experience of beauty is the Creator's joy in creation. Behind our intuitions of morality is the discernment of the good and perfect will of the Creator" (Beyond Science. Cambride University Press).

Richard Swinburne (University of Oxford) bemerkt zusammenfassend zum Thema The Universe and its Natural Laws (1996, p. 52): "The simple hypothesis of theism leads us to expect all the phenomena which I have been describing with some reasonable degree of probability" (Is there a God? Oxford University Press).

(Ich sollte vielleicht noch anmerken, dass die beiden soeben zitierten Autoren die neodarwinistische Evolutionstheorie akzeptieren.)

Über die Feinabstimmung der vier 'Fundamentalkräfte' (Gravitation, Elektromagnetismus, die starke Kernkraft und die schwache Kernkraft) hinaus, führt H. Ross (1998) 25 (fünfundzwanzig!) grundlegende weitere physikalische Konstanten, Parameter und Relationen (der Konstanten und Parameter zueinander) des Universums auf - (und speziell als notwenige Voraussetzungen für die Existenz der Erde und das Leben darauf noch einmal 45 Parameter/Relationen) - , die in ihrer genauesten Abstimmung sowohl das Universum als auch die Erde und das Leben darauf erst ermöglichen (Kopien aus Arbeiten zu den Details kann ich Ihnen gerne, wenn gewünscht, anfertigen und senden).

Ein Beispiel (aber vielleicht kennen Sie es längst?):

http://www.nature.com/cgi-taf/DynaPage.taf?file=nature/journal/v401/n6750/abs/401252a0_fs.html

Ist es nicht denkbar unwahrscheinlich, dass alle bisher bekannten 74 für das Leben auf der Erde notwendigen Konstanten, Parameter und spezifischen Relationen, sich nur zufällig so zusammengefunden und dabei in genauester Abstimmung das Leben auf der Erde ermöglicht haben sollten?

PROF. U.: Ich denke, wir müssen vorsichtig sein, wenn wir generalisierende Behauptungen aufstellen.

W.-E.L.: In diesem Punkt kann ich nur zustimmen. Wenn wir jedoch auf klare Ergebnisse stoßen, die generalisierende Behauptungen zulassen, sollten wir auch den Mut aufbringen, dafür einzutreten - selbst wenn solche Ergebnisse ganz und gar nicht mit den Erwartungen des materialistischen Zeitgeistes übereinstimmen.

PROF. U.: Das gilt sicher für die Evolutionisten, die meinen, dass sie jetzt schon alles erklären können.

W.-E.L.: Sie denken da sicherlich an jene Kategorie von Behauptungen, wie die folgenden nach Huxley, Lorenz, Dawkins und Mayr, die ich schon an andere Stelle zitiert habe:

"Der Darwinismus verbannte die ganze Idee, dass Gott der Schöpfer der Organismen sei, aus dem Bereich der vernünftigen Diskussion. Darwin zeigte auf, dass kein übernatürlicher Planer nötig war. Da die natürliche Auslese jede bekannte Lebensform zu erklären vermochte, gab es keinen Platz für eine übernatürliche Macht in deren Entwicklung…" (At Random: A Television Preview: in: Issues in Evolution, Vol.III von Evolution after Darwin; Hrsg.: Sol Tax; Chicago 1960.)

Konrad Lorenz beschreibt seine Auffassung mit folgenden Worten (1975, p. 31):

"In der Geschichte menschlichen Wissensfortschrittes hat sich noch nie die von einem einzigen Manne aufgestellte Lehre unter dem Kreuzfeuer von Tausenden unabhängiger und von den verschiedenen Richtungen her angestellten Proben so restlos als wahr erwiesen wie die Abstammungslehre Ch. Darwins. Mehr als je gilt von ihr heute, was Otto zur Strassen vor mehr als vierzig Jahren in seiner Einführung zum "Neuen Brehm" über sie schrieb: "Alles uns jetzt Bekannte fügt sich ihr zwanglos ein, nichts spricht gegen sie."" (Über die Wahrheit der Abstammungslehre, pp. 13-31 in: Evolution. H. v. Ditfurth (Hrsg.) Hamburg.)

Nicht weniger euphorisch meint Richard Dawkins (1995, p.XI):

"Never were so many facts explained by so few assumptions. Not only does the Darwinian theory command superabundant power to explain. Its economy in doing so has a sinewy elegance, a poetic beauty that outclasses even the most haunting of the world's origin myths." (River out of Eden; Basic Books, New York.)

Und Ernst Mayr betont wiederum die metaphysisch-materialistische Hauptmotivation des Darwinismus (2000, pp. 69, 70):

"First, Darwinism rejects all supernatural phenomena and causations. The theory of evolution by natural selection explains the adaptedness and diversity of the world solely materialistically. It no longer requires God as creator or designer…Every aspect of the "wonderful design" so admired by the natural theologians could be explained by natural selection." "…Darwin's theory of natural selection made any invocation of teleology unnecessary." (Darwin's Influence on Modern Thought; Scientific American July 2000, pp. 66-71.)

Fragt man jedoch angesichts solch allumfassender Ansprüche und Behauptungen nach einer (naturwissenschaftlichen Kriterien entsprechenden) Erklärung der Entstehung konkreter biologischer Beispiele, so kommen häufig Eingeständnisse wie: "The analysis of the origin of new structures is still in its beginnings" - (Mayr 1963, p. 604)

(Zur Frage nach weiteren Details vgl. Sie bitte: mendel/Utricularia.html)

PROF. U.: Aber ich meine, es gilt auch für die Kritiker, wenn sie meinen, sie wüßten jetzt schon, was sich nicht durch Mutation und Selektion erklären läßt.

W.-E.L.: Die Frage, inwieweit sich der Ursprung der Lebensformen durch Mutation und Selektion erklären lässt, kann man ja an konkreten Beispielen testen, und ich genau das habe ich seit mehr als 35 Jahren u. a. getan: Der Fangmechanismus von Utricularia zum Beispiel läßt sich nicht durch Mutation und Selektion erklären (vgl. weiter mendel/Wasserschlauch.html und Folgekapitel, sowie mendel/Scabiosa.html

"Bislang hat sich in allen meinen Diskussionen mit Hunderten von Evolutionstheoretikern aller Richtungen immer wieder die Auffassung bestätigt, dass es bei genauer und kritischer Betrachtung überhaupt keine plausible Evolutionsgeschichte gibt, die das Beispiel mit neodarwinistischen oder sonstigen Evolutionsfaktoren erklären könnte. Wo, so darf ich fragen, sind die testbaren Hypothesen zum Ursprung der Kastenfalle von Utricularia?" (W.-E.L. aus Briefwechsel mit einem Botaniker).

Aber vielleicht haben Sie eine Erklärung, die ich noch nicht kenne?

Man kann natürlich grundsätzlich gegen meine soeben erhobene Behauptung, dass Utricularia (als Paradigma für viele ähnlich komplexe Beispiele der Synorganisation) nicht durch Mutation und Selektion erklärt werden kann, einwänden, dass wir ja noch nicht alles zum Thema wissen, zumal uns der direkte Zugang zur Vergangenheit nicht möglich ist. So gesehen wäre jedoch überhaupt keine Theorie widerlegbar: Da wir nie (oder vielleicht ganz, ganz selten) alles über die absolut genaue Reichweite bestimmter Faktoren und Vorgänge in der Vergangenheit wissen, kann man jegliche Widerlegung einer (noch so unrichtigen!) Theorie mit dem Hinweis außer Kraft setzen, dass wir eben noch nicht alles wissen. Der Botaniker und Kritiker Darwins Albert Wigand sprach schon von 125 Jahren von dieser "besonderen Form jenes Universalmittels Darwin's gegen alle Schwierigkeiten seiner Theorie: unsere allzugrosse Unwissenheit gegenüber den Tatsachen, um deren Erklärung es sich ja handelt" (Wigand 1874, p. 290) (Wigand [1821-1886] war Professor für Botanik an der Universität Marburg). Oder, um es einmal etwas überspitzt zu formulieren: Außer beim Darwinismus ist es eigentlich selbstverständlich, dass Nichtwissen keine positive Evidenz für die Richtigkeit einer Theorie sein kann, zumal wenn klare und jederzeit nachprüfbare Phänomene, wie das oben erwähnte Synorganisationsproblem, der Theorie deutlich widersprechen. - Prinzipiell nicht widerlegbare Thesen und Theorien gehören nicht in den Bereich der Naturwissenschaft (Popper).

Wir können also bei der Frage nach den Reichweite von Faktoren und Theorien immer nur vom gegenwärtigen Kenntnisstand der Dinge ausgehen: Und danach können solche Beispiele wie die Entstehung des Fangmechanismus' von Utricularia eindeutig nicht durch Mutation und Selektion erklärt werden (wohl aber dessen Variabilität).

PROF. U.: Auch mich hat es immer gestört, dass Erklärungen über Punktmutationen in Genen nicht weit führen können.

W.-E.L.: Und doch wurden vom Neodarwinismus jahrzehntelang die Punktmutationen (samt Chromosomen- und Genommutationen) als vollständig ausreichende Erklärung für die Entstehung sämtlicher Lebensformen angesehen (unter anderen auch von Rensch). Unzureichende Erklärungen wurden und werden als vollständige und nicht mehr zu bezweifelnde Antworten der Naturwissenschaft betrachtet - Wissenschaft oder Ideologie?

PROF. U.: Aber schon das gene shuffling hat die Möglichkeiten erweitert.

W.-E.L.: Was die Reichweite dieses Faktors anlangt, bin eher skeptisch. Vor kurzem haben wir (Kunze, Saedler, Lönnig [1997]) den Punkt in Verbindung mit dem Transposonthema auf folgenden Nenner gebracht [Nachtrag: siehe jedoch unten]:

Exon shuffling by TEs To get around some of the problems of the origin of new genes and commencing DNA systems for new synthesis processes by duplications and reorganisation of complete genes, exon shuffling (Gilbert 1978, 1985; Long et al. 1995) by TEs might be another possibility. As Muszynski et al. (1993), Bureau et al. (1994); Jin and Bennetzen (1994); Pelissier et al. (1995) and Fischer et al. (1995) have suggested, parts of genes - as in the latter case the Agamous-like MADS-box - may, perhaps, be multiplied and distributed by TEs in the genome of a species, which could be viewed as a substantial point for exon shuffling (for a possible mechanism of gene transduction by retroelements see III.H., examples for class II elements are given in IV. D.1.1., E.1.1, and F.1. of our review).

However, many of the problems quoted above for gene duplications may also be relevant for such cases. No new functions can hitherto be assigned to the known examples. The Agamous -like MADS-box distributed in the maize genome needs not only one but several functionally suitable exon partners to be recruited also more or less accidentally by TEs from other genes and an appropriate promoter sequence for adequate expression in some of the plant's tissues. And in the instance of a new reaction chain of several genes for the synthesis of a new chemical compound this would be just the first step of perhaps eight to twelve genes or more to come. What should, in fact, be shown by future research and experiments to scientifically prove the hypothesis is the TE induced organization of new functional genes, each consisting of several exons and introns furnishing coadapted functions beneficial for an organism and a species, i.e. having selective advantages in a given environment or in a new one. It should also be mentioned that authors like Gilbert think that a considerable part of the exon shuffling is 'old' (Gilbert 1978, 1985; Long et al. 1995). This and further problems of the hypothesis have been discussed in detail by Lönnig (1993, pp. 558-568).

Wir können selbstverständlich viele Phänomene der Genzusammensetzung als Exon Shuffling deuten. Ob diese Genfunktionen historisch tatsächlich auf zufälliges Shuffling zurückzuführen sind, erscheint mir jedoch aus den oben in der Arbeit genannten und weiteren Gründen eher fraglich. Wenn das ein tatsächlich für die Ursprungsfrage essentiell weiterführender Faktor wäre - warum stoßen wir dann im Experiment, in der Mutationsgenetik, auf das Gesetz der Rekurrenten Variation statt auf eine weiterführende Evolution? (Details vgl. Gesetz_Rekurrente_Variation.html

sowie im Nachtrag zu Genduplikationen.html)

Soweit und soviel erst einmal für Heute.

Ich bitte um Verständnis, wenn ich hier meine Ausführungen erst einmal unterbreche und "Fortsetzung folgt" schreibe (ich muss jetzt ins Gewächshaus und in den nächsten Tagen den Vortrag zum Institutsmeeting ausarbeiten).

 

Mit freundlichen Grüßen,

Ihr

W.-E.L.

 

 

Mein Schreiben vom 30. Oktober 2001

 

The principle of science, the definition almost, is the following:
The test of all knowledge is experiment. Experiment is
the single judge of "truth
"*.

Richard Feynman

 

Lieber Herr U.:

 

Die Kopien zu den Themen WHAT INTELLIGENT DESIGN IS NOT (Dembski) und SIGNS OF INTELLIGENCE (Dembski) und DARWIN'S BREAKDOWN (Behe) werden Sie inzwischen erhalten haben. Ich hoffe, dass es Ihnen inzwischen zeitlich schon einmal möglich war, in diese Beiträge hineinzuschauen. In der weiteren Diskussion Ihrer Ausführungen nehme ich auf diese Artikel Bezug.

Ich möchte jetzt mit meinen Kommentaren zu Ihren Ausführungen vom 7. Mai 2001 fortfahren und zunächst einmal anmerken, dass mir zum Schluss meiner Bemerkungen vom 7. August 2001 zum Thema "Gene Shuffling" wohl ein Fehler unterlaufen ist, wenn ich anschließend von "Exon Shuffling" gesprochen habe, wie unsere weitere Diskussion zeigt:

 

Sie schreiben (Ihre e-Mail vom 7. Mai 2001):

PROF. U.: Und die "sandwich evolution" von Walter Gehring eröffnet sicher ganz neue Möglichkeiten.

W.-E.L.: Nach meinem bisherigen Verständnis erklärt die Sandwich-Evolution weder, wie die beiden 'Scheiben' des "Sandwich'" entstanden sind, noch wie die 2000 Gene bei Drosophila entweder rekrutiert oder (wohl zu einem relativ geringen Teil auch) neugebildet worden sind. Diese Hypothese postuliert nur, dass das Sandwich im Laufe der Jahrmillionen "belegt" worden ist.

Im Sinne des Zitats nach Feynman oben, würde ich mir eine experimentelle Bestätigung der Sandwich-Evolution wünschen. Bisher kenne ich jedoch kein einziges positives Beispiel bei Eukaryonten (bei Prokaryonten könnte ich mir das vielleicht noch eher vorstellen, kenne aber auch hier noch kein eindeutiges Beispiel) - aber vielleicht können Sie mir in dieser Frage weiterhelfen?

Angesichts der Komplexität der zur Debatte stehenden Phänomene halte ich die Sandwich-Hypothese zur Zeit mehr für ein weiteres unbefriedigendes Postulat als für eine bahnbrechend neue Theorie. Sie setzt im wesentlichen die anderen unbefriedigenden Faktoren schon als zureichend voraus.

PROF. U.: Wenn man mit einem Hauptschalter und einem neuartigen Funktionsprotein (z.B. einem licht-sensitiven Pigment) beginnt, kann man alle Gene unter die Kontrolle dieses Hauptschalters bringen und damit ausprobieren, ob die Augen-Funktion besser wird, im Augenblick ist man bei Drosophila bei 2000 Genen angelangt, die unter der Kontrolle von Pax6 ausgeprägt werden.

W.-E.L.: Wenn das so einfach wäre, dann müßte man dieses Postulat zumindest an Einzellern durch Mutagenese direkt bestätigen können: Wir kennen bei Einzellern wie Euglena sowohl ein neuartiges Funktionsprotein für ein lichtsensitives Pigment (dessen Entstehung allerdings unbefriedigenderweise selbst wieder durch richtungslose Mutationen ohne Beweise postuliert und "geglaubt" wird) und ein Hauptschalter sollte sich auch finden lassen. Wir haben auch bei solchen Lebensformen drei Zeitraffer in der Hand (vgl. speziell zu den Zeitraffern: Gesetz_Rekurrente_Variation.html#pflanzen).

Die kurze Generationsdauer käme hier im Vergleich zu anderen Eukaryonten als besonders positive Eigenschaft für einen experimentellen Ansatz noch hinzu.

Wir möchten also im Sinne der Hypothese der Sandwich-Evolution "das Sandwich belegen" und ein komplexes Linsenauge - oder zumindest verschiedene Vorstufen dazu - bilden. Reicht es, dass man alle Gene unter die Kontrolle eines Hauptschalters wie Pax6 bringt und damit ausprobiert, ob die Augen-Funktion besser wird? Bedeutet eine solche Kontrollübertragung nicht zugleich den Funktionsausfall dieser Gene für zahlreiche andere lebensnotwendige Funktionen? (Womit die weitere Entwicklung zum Stillstand kommen würde!)

Wie groß würden Sie die Aussicht auf Erfolg eines solchen Experiments einschätzen?

Warum kennen wir nicht längst zahlreiche solcher positiven Mutationen im Zuge der umfangreichen Mutagenese-Experimente der letzten 74 Jahre? (Von Muller 1927 an gerechnet.)

(In Klammern sei vermerkt, dass es einzellige Eukaryonten sogar mit recht komplexen "eyespots" gibt [bei den Algae: Dinophyta]: "The family of Warnowiaceae (e.g. Nematodinium) have a complex eyespot*. This remarkable structure contains a retinoid and a layer of eyespot globules" (C. Van den Hoek et al. 1998, p. 263; Algae, Cambridge University Press). Diese Dinoflagellaten besitzen einen 'Augenfleck' mit Linsenkörper, Retinoid und Pigmentbecher! (Siehe auch einige einfachere Beispiele bei mehrzelligen Pflanzen: die Leuchtmoose (Schistostegaceae) und Fittonia (eine Acanthaceae).

PROF. U.: Ich finde, dazu passt es gut, dass sich jetzt herausstellt, dass alle Eukaryonten mehr oder weniger die gleichen Gene haben. Gene werden also von den Hauptakteuren der Evolution zu Bausteinen, aus denen man Funktionen zusammensetzen kann.

W.-E.L.: Um so einfacher sollten die bestätigenden Experimente sein! Wo sind - darf ich wieder fragen - die positiven experimentellen Ergebnisse zur Sandwich-Hypothese? (Vgl. das Zitat nach Richard Feynman oben.)

PROF. U.: Sicher wird man damit nicht alles erklären, aber doch vieles, was man sich noch vor gar nicht langer Zeit nicht vorstellen konnte.

W.-E.L.: "Erklären" im Sinne einer logisch-attraktiven Denkmöglichkeit reicht meiner Auffassung nach nicht. Als wissenschaftliche Hypothese sollte die Erklärung auch Falsifikationskriterien nennen. Und zur tatsächlichen Bestätigung kommen wir nicht ohne die experimentellen Beweise aus!

PROF. U.: Was sagt das nun für eine zielgerichtete Entwicklung? Wir alle wissen es noch nicht, aber das heißt natürlich nicht, dass wir nicht gern darüber nachdenken.

W.-E.L.: Ich denke, dass William A. Dembski (zur Zeit Professor an der Baylor Universität) mit seinem "Complexity-Specification Criterion" diese Frage sehr gut in Angriff genommen hat (vgl. Dembski 2001, pp. 176-190): "Actualizing one among several competing possibilities, ruling out the rest, and specifying the one that was actualized encapsulates how we recognize intelligent agency, or equivalently, how we detect design" (p. 189).

Michael J. Behe's Beispiele für "Irreducible Complexity" erscheinen mir in diesem Zusammenhang überzeugend, - die Fälle von "Deliberate Resistance" (vgl. p. 99 unten ff. auf den Ihnen übersandten Kopien zu den wenig qualifizierten Besprechungen seines Buches DARWIN'S BLACK BOX) zeigen philosophisch-naturalistisch bedingte, aber nicht naturwissenschaftlich-logische Ablehnungen seiner Ausführungen.

PROF. U.: Wenn eine zielgerichtete Entwicklung bedeuten soll, dass schon am Anfang feststeht, wohin die Reise geht, dann habe ich damit meine Schwierigkeiten.

W.-E.L.: Michael Denton hat neuerdings wieder diese These einer zielgerichteten Entwicklung zwar sehr geistreich in seinem Buch NATURE'S DESTINY: How the Laws of Biology Reveal Purpose in the Universe (1998, The Free Press) vertreten, aber dagegen lassen sich auch zahlreiche stichhaltige Argumente vortragen, die auch mir Schwierigkeiten bereiten.

PROF. U.: Aber ich könnte mir vorstellen, dass es einen sehr großen Raum von Möglichkeiten gibt, und dass die Evolution darin besteht, dass sich das Leben in diesen Möglichkeitsraum hinein ausbreitet. Wenn es einen solchen Raum gibt, dann ist er sicher eine Begrenzung dessen, was überhaupt möglich ist.

W.-E.L.: Wenn es diesen großen Raum der Möglichkeiten tatsächlich geben sollte, warum klappt dann experimentalgenetisch sowenig (zu den Details dieser Frage vgl. wiederum Gesetz_Rekurrente_Variation.html).

PROF. U.: Aber andererseits könnte er so groß sein, dass er nie ausgeschöpft werden kann.

W.-E.L.: Wir haben trotz der drei Zeitraffer bislang mutationsgenetisch nicht eine einzige neue (in der Natur beständige) Art erzeugen können!

PROF. U.: Um das mit einem trivialen Beispiel zu illustrieren: Wenn sich zwei Chromosomen paaren, dann gibt es eine riesige Anzahl von Möglichkeiten für ein crossing over. In dem Moment, wo die Rekombination stattfindet, verschwinden die meisten dieser Möglichkeiten, nur ein oder zwei Austausche haben wirklich stattgefunden. Und die rekombinierten Chromosomen gehen in die neue Generation ein und setzen in den nächsten Meiosen das Spiel fort.

W.-E.L.: Ja, das ist ein Teil des nahezu unendlichen Rekombinationsspiels der Mikroevolution. Makroevolution ist dabei allerdings noch nie zu beobachten gewesen!

D. Einhorn [war Professor in Wien] hat diese Frage einmal wie folgt diskutiert [Nachtrag: diese Passage habe ich auch im GESETZ DER REKURRENTEN VARIATION wiedergegeben und dort weiter kommentiert]:

Man behauptet sehr häufig von deszendenztheoretischer, speziell Darwin-Haeckelscher Seite, daß die Grenzen der Variabilität im Bereich der Erfahrung ungemein w e i t gezogen sind. Das ist aber prinzipiell falsch, denn die Variabilität erscheint uns in der Erfahrung gar nicht grenzenlos, u n g e m e i n w e i t, sondern lediglich u n g e m e i n r e i c h, doch bei allem tatsächlich vorhandenen ungeheuren Reichtum der Variationen hat noch niemand etwa eine Säugetierform oder eine Vogelspezies im Bereiche der Variationen eines Amphibiums gesehen und geglaubt - und viel weniger können wir uns vorstellen, daß trotz noch so mühe- und kunstvoller Einwirkung von außen nicht wieder ein anderer Moner, sondern ein Wirbeltier im Bereiche der Varianten eines Moneren zu finden wäre. Die prinzipielle Verwechselung des ungeheuren Reichtums der Variabilität mit der unermeßlichen Weite derselben ist die Achillesferse, das "Proton Pseudos" der Darwin-Haeckelschen Deszendenztheorie.* Nur wegen dieses fast unerschöpflichen Reichtums, nicht aber der Weite, ist es nicht möglich, auf diesem Wege der morphologischen und physiologischen Artabgrenzung zu einer konstanten, nicht mehr variablen organischen Größe vorzudringen, nur wegen der beinahe unbeschreiblichen Fülle der Varianten wissen wir nicht, wo wir im Bereiche unserer Erfahrung die letzten festen Grenzen der Variabilität für ein gegebenes Wesen abzustecken haben. Diese Schwierigkeit aber, die Grenzen zu bestimmem, dieses Nichtwissen um die letzten Grenzen eines Organismus verwandelt sich sofort der Deszendenztheorie in ein sicheres Wissen um die Grenzenlosigkeit der Variabilität.

Ein Beispiel aus dem Gebiete der Mathematik kann die Sache noch besser veranschaulichen und erklären: Zwischen 1 und 2 liegt eine unfaßbare Fülle und Mannigfaltigkeit von Werten und Formen, wie 1 1/2, 1 1/3, 1 1/4,...1 1/100,...1 2/100 000 usw. ins Unendliche, also eine Unendlichkeit im kleinen, die aber immer in den unverrückbaren Grenzen von 1 und 2 eingeschlossen verbleibt und nie zu 3, 4, zur Unendlichkeit im großen werden kann. Nun stellen wir uns vor, daß wir etwa vom Werte 1 1/2 ausgehen, die einzelnen verschiedensten kleinen und verschwindend kleinsten Werte und Formen genau sichten und mustern, sowohl in der einen Richtung als auch in der anderen uns bewegen und uns durchaus bemühen, zu den letzten Grenzen, zu 1 und 2 vorzudringen, so werden wir gewiß eine unbeschreibliche Fülle von Werten und Formen kennen lernen, ohne doch die letzten Grenzen selber feststellen zu können; ja, je mehr Unterschiede wir beachten werden und je genauer, ein um so größerer Reichtum wird sich unseren Augen offenbaren, um so weiter werden wir von den letzten Grenzen entfernt sein, um so mehr werden wir geneigt sein zu glauben, daß es überhaupt keine Grenze gebe - denn das ist die eigentliche Natur der Unendlichkeit im kleinen, daß, je mehr Zwischenstufen wir kennen, je präziser, um so mehr noch zu erkennen bleibt, um so weiter von uns die letzte Grenze zu rücken scheint -, und wir dürfen doch wohl nicht ernstlich glauben, daß wir darum bereits längst über alle Grenzen hinauskommen und uns im anderen Grenzenlosen, im Unendlichen im großen befinden. So ist es auch mit der Variabilität. Daraus, daß wir eine gewaltige Formenfülle eines bestimmten organischen Wesens erleben können, folgt noch keineswegs, daß die Variabilität dieses Wesens bereits gar keine Grenzen habe,* daß sie in progressiver Richtung grenzenlos, absolut unendlich sei, daß wir im Umkreis der unendlichen Varianten etwa eines Marsupialiers (der unendlichen Varianten zwischen 1 und 2) auch tatsächlich die unzähligen Varianten einer Fledermaus (der unzähligen Varianten zwischen "5 und 6", 5 1/2, 5 1/3...), eines Wales usw. finden könnten, daß es für diese Variabilität überhaupt gar keine Grenzen gebe, daß wir von der Unendlichkeit im kleinen (1 und 2) aus wirklich die ganze Unendlichkeit aller organischen Formen, die Unendlichkeit im großen (1 - unendlich) hervorbringen könnten. Diesen Schluß zieht nun aber die Deszendenztheorie.

PROF. U.: Ob solche oder andere Vorstellungen etwas mit dem Glauben an Gott zu tun haben, das sehe ich nicht.

W.-E.L.: Remane, Storch und Welsch stellten zum Thema Differenzierungsmutationen und Synorganisationen fest:

[W]ir kennen keine echte Differenzierungsmutation, weder in einzelnen Genen, noch in einer Kombination von Erbfaktoren...Synorganisationen sind Apparate, deren Teil harmonisch gebaut sind und kooperativ funktionieren müssen, wie z.B. Augen, Zirporgane, Saugnäpfe oder bei Pflanzen die Fangblasen des Wasserschlauches Utricularia. Diese Apparate entstehen sicher nicht durch die Mutation eines Gens, sondern durch die Wirkung zahlreicher Gene. Ändert sich zufällig in einem Apparat ein Teil, so wird seine Funktion gestört.

In Verbindung mit "Irreducible Complexity" und dem "Complexity-Specification Criterion" kommt nach meinem Verständnis mit Sicherheit an vielen solchen Stellen INTELLIGENT DESIGN ins Spiel. Die Frage, ob wir den intelligenten Designer mit Gott identifizieren, hängt von unserem Gesamt-Weltbild ab. Eine laufend zunehmende Zahl von Biologen (meine Wenigkeit mit eingeschlossen) und weiteren Naturwissenschaftlern beantwortet die Frage mit Ja.

PROF. U.: Wir stoßen immer an Grenzen unserer Erkenntnis. Allein die Frage, warum es überhaupt etwas gibt, können wir nicht beantworten.

W.-E.L.: Hier bedürfen wir der Hilfe des Designers. Gemäß der Bibel hat Gott die Welt aus Liebe erschaffen (griech.: Agape: die schöpferische und Werte schaffende Liebe; "Gott ist Liebe"; wenn Sie dazu Ihre Bibel in die Hand nehmen möchten, vgl. Sie bitte 1. Johannes 4:8, Offenbarung 4:11) - [Nachtrag 2002: Zum Thema 'Gott ist Liebe.' Was ist Liebe? aufschlussreich sind auch die Bemerkungen von Carl Friedrich von Weizsäcker - von 1946-1957 Direktor des Max-Planck-Instituts für Physik in Göttingen - in seinem 1948 publizierten Buch Die Geschichte der Natur. Verlag S. Hirzel, Stuttgart.]

PROF. U.: Wenn das, was ist, von Gott geschaffen ist, dann sind wir sicher nicht schlau genug, um festzusetzen, dass er dies so oder anders zu tun hatte.

W.-E.L.: Dem kann ich nur zustimmen.

PROF. U.: Warum sollte er nicht feste Regeln geschaffen haben, die wir nie durchbrochen sehen?

W.-E.L.: Es sieht alles danach aus (z.B. cosmological constants, fine structure constants und in der Biologie eine unfassbare Variantenvielfalt - und doch mit Hinweisen auf Grenzen; vgl. Lönnig: Artbegriff).

PROF. U.: Und warum sollte er seine Welt nicht materialistisch eingerichtet haben?

W.-E.L.: Dann sollten wir auch erwarten, dass sich zum Beispiel Synorganisationen materialistisch erklären lassen. Aber alle naturalistischen Erklärungsversuche sind hier seit rund 150 Jahren kläglich gescheitert. - Und: Warum sollte er seine Welt nicht durch Intelligent Design eingerichtet haben? (Zu grundsätzlichen Einwänden vgl. AesIV4.html#Intelligent).

PROF. U.: Wir wissen es nicht, können es, falls wir nicht an eine Offenbarung glauben, auch nicht vorhersagen und bleiben darauf angewiesen, die Welt so, wie sie sich uns darbietet, zu studieren.

W.-E.L.: Das Studium der Welt - des Universums samt Lebensformen - hat uns auf der einen Seite eine oft unfaßbare Komplexität von Strukturen und Relationen entdecken lassen und auf der anderen auch klare naturwissenschafltich relativ leicht nachvollziehbare Gegebenheiten gezeigt. "Raffiniert ist der Herr Gott, aber boshaft ist er nicht." "Das Unverständlichste am Universum ist im Grunde, daß wir es verstehen können" - Beide Zitate von A. Einstein.

Walter L. Bradley, Professor an der Texas A & M University, hat 2001 einen sehr aufschlussreichen Beitrag zum Thema "The "Just So" Universe - The Fine-Tuning of Constants and Conditions of the Universe" geschrieben, den ich für Sie kopiert habe und heute noch abschicken möchte. Das Universum ist kein kosmischer Zufall. Ist es materialistisch eingerichtet? Ich denke, wir können es herausfinden.

PROF. U.: Die einen werden sagen, um sie besser zu verstehen. Andere werden sagen, um Gottes Schöpfung und seinen Willen am Werk zu sehen.

W.-E.L.: Für mich sind diese Aussagen komplementär.

PROF. U.: Ich denke, für beide gibt es viele Überraschungen und eine ganz große Bewunderung.

W.-E.L.: Die Komplementaritätsauffassung miteinbezogen: völlige Zustimmung!

PROF. U.: Auf jeden Fall vielen Dank und für heute freundliche Grüße

Ihr

(U.V.W.)

 

Ebenso meine besten Grüße.

In Erwartung Ihrer Einwände.

Ihr

W.-E.L.

 

 

Hauptteil aus meinem Schreiben vom 27. Dezember 2001:

(Vorbemerkung: Nach Dank für meine e-Mails und Herrn U. übersandte Kopien sowie dem Hinweis, "dass es jetzt an der Zeit ist, unsere Diskussion vorerst zu beenden", fährt PROF. U. fort:)

PROF. U.: Ich sehe unseren Diskussionsstand so: Wir sind beide nicht in der Lage, das Leben und seine Entstehung auf klassische naturwissenschaftliche Weise zu erklären (keine reproduzierbaren Experimente etc.).

W.-E. L.: Völlig einverstanden - wobei ich wieder hinzufügen möchte, dass jedoch das Missverständnis, dass das Leben und seine Entstehung bereits seit Jahrzehnten auf naturwissenschaftliche Weise vollkommen erklärt sei, durch Rensch (und überhaupt die neodarwinistische Schule) als absolut gesichert dargestellt wurde (bzw. wird). Und diese weltanschaulich bedingte, aber völlig irrige Behauptung ist nicht nur in fast alle Lehrbücher der heutigen Biologie eingegangen, sondern wird auch dem großen Publikum weltweit als "nicht mehr zu bezweifelnde" Tatsache gelehrt (vgl. z. B. Der_Lederbergsche_I.html; Bakterienresistenzen.html oder http://www.reviewevolution.com/ )

Rensch schreibt zum Beispiel in seinem Beitrag EVOLUTION - DAS UNIVERSALE WELTBILD (2. Auflage 1991, p. 97 [von Rensch kursiv]):

"Auch zur Deutung der Entstehung ganz neuer Organe und neuer Baupläne der Organismen bedarf es nicht der Annahme zusätzlicher Faktoren zu den basalen Artbildungsfaktoren, wie sie mit Mutation, Genkombination, natürlicher Auslese und Isolation gegeben sind."

Ich möchte in diesem Zusammenhang an das folgende Wort A. Portmanns erinnern [kursiv von mir]:

"Dass es aber manchen Biologen richtig erscheint, zu behaupten, wir wüssten gerade über ein so ungeheures Phänomen wie die Entstehung der Organismen im wesentlichen Bescheid, das mahnt uns daran, dass diese Überzeugung sich aus Gründen und Kräften nährt, die nicht dem Bereich der Naturwissenschaften angehören."

Und das bedeutet u.a., dass hier ein dringender Informationsbedarf zur Richtigstellung unwissenschaftlicher Behauptungen, die mitten im Herzen der Naturwissenschaft zu einer Art Dogma geworden sind, sowohl für Biologen als auch für das nichtbiologische Publikum besteht.

PROF. U.: Ich bin bereit, mich mit diesem Unwissen zu begnügen und sehe mit Interesse auf Versuche, die Grenze des Nicht-Wissens hinauszuschieben. Ich denke bis dahin sind wir einig.

W.-E. L.: Sicher sind wir uns einig, dass wir mit Interesse auf naturwissenschaftliche Versuche sehen (und uns auch selbst darum bemühen), die Grenze des Nicht-Wissens in diesem Sinne hinauszuschieben, - ja sogar möglichst alles, was realistischerweise so verstanden werden kann, auch voll so zu erschließen.

Ich frage mich allerdings, ob der Bereich, den Sie hier als "Unwissen" kennzeichnen, nicht zu einem ganz erheblichen Teil auf die die Erkenntnismöglichkeiten stark einschränkende materialistisch-reduktionistische Methode selbst zurückzuführen ist und sich scheinbares Unwissen - von einem neuen erkenntnistheoretischen Ansatz her - tatsächlich in reales "Wissen" verwandeln könnte.

PROF. U.: Wenn ich Sie aber richtig verstehe, nehmen sie die Defizite der Selektionstheorie als ein Argument für die Richtigkeit einer anderen Hypothese, des "intelligent design".

W.-E. L.: Ich denke, wir müssen hier wenigstens drei Probleme deutlich auseinander halten: 1) Die Defizite der Selektionstheorie. 2) Die Frage nach einer Alternative zur Selektionstheorie überhaupt und 3) Die Begründung der Hypothese des Intelligent Design.

1) Solange man glaubte, mit der Selektionstheorie "jede bekannte Lebensform" erklären zu können (Huxley), dass sie sich "restlos als wahr erwiesen" habe (Lorenz), dass 'nichts gegen sie spricht' (zur Strassen) etc. etc. (vgl. weiter mendel/Utricularia.html), solange hat sich natürlich auch nicht die Frage nach einer Alternative gestellt.

2) Aber in dem Augenblick, in welchem uns klar wird, dass die Selektionstheorie tatsächlich entscheidende Defizite aufzuweisen hat, wird diese Frage dann auch unausweichlich. Das Problem ist von verschiedenen Forschern allerdings ganz unterschiedlich beantwortet worden: Nachtwey (und mehrere weitere Biologen bis in die Gegenwart [etwa Steele, Trewavas und andere] haben mehr oder minder dezidiert auf eine Art Lamarckismus zurückgegriffen, wobei die meisten dieser Theoertiker einräumen, dass damit sicher noch nicht alle, ja nicht einmal die wesentlichen Fragen beantwortet sind. Nilsson hat mit seiner Emikationsstheorie eine materialistische, aber nicht-evolutionäre Antwort versucht. Die Synergistische Hypothese bemüht sich, das sprunghafte Auftreten neuer Organe und Baupläne verständlich zu machen: Allerdings ist angesichts konkreter biologischer Beispiele und Fragen bisher nicht sehr viel mehr dabei herausgekommen als eine Serie starker Wortschöpfungen, die mehr eine Erklärung vortäuschen als eine naturwissenschaftlich überprüfbare Antwort zu geben (vgl. Diskussion [letzter Abschnitt] "Wasserschlauch.html).

Der Punktualismus erklärt die entscheidenden Schwierigkeiten der Entstehung "völlig neuer Organe und Baupläne" (um wieder Renschs Formulierung zu gebrauchen) genausowenig wie die anderen oben schon zitierten Hypothesen. Mit der Sandwich-Hypothese kommen wir auch nicht viel weiter (vgl. Sie bitte meinen letzten Brief). Barbara McClintocks Hypothese (sudden reorganisation of the genome due to environmental stress) konnte für die Bildung von neuen Arten und höheren systematischen Kategorien, sowie von neuen Organen und Bauplänen bisher ebenfalls nicht bestätigt werden.

3) Wie aber steht es nun mit der Hypothese des Intelligent Design? Diese Frage sollte ebenfalls mit wissenschaftlichen Methoden untersucht werden: Gibt es wissenschaftliche Kriterien, um Intelligent Design präzis von Zufalls- (bzw. gesetzmäßigen Natur-)Ereignissen zu unterscheiden? Ich meine, dass Dembski mit seinem "Explanatory Filter" hier einen entscheidenden Fortschritt erzielt hat.

PROF. U.: Hier kann ich Ihnen nicht folgen.

W.-E. L.: Kürzlich hatte ich eine Diskussion mit einem Botaniker, der sich zu dieser Frage ähnlich äußerte, so dass ich aus diesem Meinungsaustausch ein paar relevante Punkte zitieren möchte [Nachtrag: weitere Diskussion siehe unten]:

PROF. V.:"Grundsätzlich ist meine Kritik am "intelligent design"-Argument zweifach: einmal ist das Argument außerhalb des Bereichs der Naturwissenschaft."

W.-E.L.: Zur Frage der naturwissenschaftlichen Methodik schrieb mir Klaus Günther einmal: "Wissenschaftliches Fragen, in der objektivierenden, rational-empiriokritischen Naturwissenschaft, nimmt die Fragen zunächst aus dem Bereich der mit den Sinnesorganen wahrgenommenen Diskreta (Phaenomene) heraus und behandelt diese in einer bestimmten Verfahrensweise (Beschreibung, Benennung, Definition abgezogener Begriffe, Systematisierung - Deduktion, Induktion, Analyse - Synthese - Generalisationen: Hypothesen)". In meinem Beitrag Artbegriff, Evolution und Schöpfung (Lönnig 1993) habe ich im Rahmen einer Diskussion zu einigen erkenntnistheoretischen Fragen aus früheren Arbeiten dazu ergänzt:

Welche Aspekte dieser Methodik könnte den Schluss von der Konstruktion auf den Konstrukteur verbieten? Nicht ein einziger! Welche fordern hingegen diese Schlussfolgerung? Beim Vergleich mit auf denselben Gesetzmäßigkeiten aufgebauten Systemen der Technik (Bionik, Kybernetik) die Systematisierung, Induktion, (Deduktion),....Analyse und Synthese samt Generalisationen! Und das ist kein Sprung von der Realität in die Irrealität, sondern eine an den Tatsachen orientierte Erweiterung des Verständnisses geistiger Ursachen. Die hier zitierte naturwissenschaftliche Methodik ist die des natürlichen Erkenntnisgewinns schlechthin." etc..

Aber Sie haben natürlich Recht, wenn Sie den Begriff "Naturwissenschaft" im streng naturalistischen Sinne definieren: Wenn in den Naturwissenschaften sämtliche Erklärungen ausschließlich auf die uns bekannten physikochemischen Gesetzmäßigkeiten zurückgeführt werden dürfen und müssen, dann liegt das Intelligent-Design-Argument außerhalb der Naturwissenschaften.

Herr Dr. G. von unserem Institut meint zu einer grundlegenden Frage jedoch:

Wenn nach L.-C. Schulz teleologisch-finalistische Fragestellungen in der Biologie unzulässig sind, ist die Aussage, dass der Mensch ein Zufallsprodukt sei, natürlich auch unzulässig. Diese Behauptung beantwortet die Sinnfrage eben doch, dass es nämlich keinen Sinn gäbe.

Evolutionisten haben die Sinnfrage nach dem Leben eben schon vor ihrer Forschung beantwortet: Es gibt nur den Zufall. Keineswegs lässt also der Evolutionist diese Frage offen.

Das ist natürlich sehr vereinfachend gesagt (es gab und gibt natürlich mehr als nur den Zufall), aber dennoch hat Herr Dr. G., so meine ich, einen ganz wesentlichen Punkt zu unserer Diskussion erfasst. Wie, so möchte ich fragen, ist der Begriff "historical contingency" naturwissenschaftlich präzise zu fassen? Liegt dieser Begriff als Antwort auf entscheidende Probleme zum Ursprung der Organismenwelt (und zwar als nicht konkret auf physikochemische Gersetzmäßigkeiten reduzierbare Hypothese) nicht auch außerhalb der Naturwissenschaften? Die postulierte Evolutionshistorie vom Einzeller bis zum Menschen, von Grünalgen bis zu Angiospermen etc., ist prinzipiell nicht reproduzierbar; auch eine vergleichbare Makroevolution etwa zur Bildung komplexer neuer Organe mit den bekannten Evolutionsfaktoren Mutation und Selektion ist nach Auffassung aller mir bekannten Theoretiker wegen der postulierten Zeiträume heute nicht machbar (Dobzhansky, Kaplan und andere).

Mit klaren Falsifikationskriterien zu ihren Hypothesen haben nach meinen bisherigen Erfahrungen die meisten Evolutionstheoretiker ebenfalls große Probleme.

Quantifizierbar soll das geforderte Evolutionsgeschehen in aller Regel auch nicht sein. Zur Voraussagbarkeit der Evolution bemerkt Mayr: "Nichts in der Biologie ist vermutlich weniger vorhersehbar als der zukünftige Verlauf der Evolution" (vgl. weiter Gesetz_Rekurrente_Variation.html)

Kurzum, meine etwas vereinfachende Frage lautet: Inwieweit liegt eine in wesentlichen Punkten nicht verifizierbare, nicht falsifizierbare und nicht quantifizierbare Theorie, in der "der Zufall" (von der Mutation bis zur historischen Kontingenz) einen bedeutenden Platz einnimmt, und in der überdies die prinzipielle Nichtreproduzierbarkeit der postulierten Hauptereignisse und -resultate (Makroevolution) sowie die Nichtvorhersehbarkeit der zukünftigen Evolution integrale Bestandteile des Lehrgebäudes sind, nicht ebenfalls "außerhalb des Bereichs der Naturwissenschaft"?

Diese Frage ist jedenfalls von vielen Erkenntnistheoretikern bejaht worden (Murray z.B.: "Biology has no deductive-nomological model of evolutionary theory."..."How can we be confident in our explanations if, with our theory, we are unable to predict anything? If we cannot predict anything from our explanatory theory, how can we test it? An explanatory theory that makes no testable predictions (other than of the facts it was designed to explain) is little more than a fairy tale." - Ausführlich B. J. Murray 2001: Are ecological and evolutionary theories scientific? Murray selbst bemüht sich um eine naturwissenschaftliche Alternative zum "metaphysical research programme called natural selection", die - soweit ich das bisher beurteilen kann - vielleicht auf Teile der Mikroevolution zutrifft. - Biol. Rev. 76: 255-289 [2001], - Zitate pp. 263, 270, 262).

Mich würde allerdings selbst die Bejahung der obigen Frage prinzipiell so lange nicht stören, solange ich wüsste, dass die herrschende Theorie (trotz all ihrer erkenntnistheoretischen Beschränkungen) tatsächlich die grundlegenden biologischen Realitäten zum Ursprung der Organismenwelt zutreffend beschreiben würde (denn ich wünsche mir ein möglichst wahres, d.h. realistisches Verständnis zu dieser Frage, und ich bin bereit, die richtigen Antworten auch dann zu akzeptieren, wenn sie den Bereich der Naturwissenschaft im Sinne des Naturalismus 'transzendieren').

Und genau an diesem Punkte, so meine ich, lassen sich nun doch sehr zahlreiche und naturwissenschaftlich voll zutreffende Einwände gegen die Synthetische Evolutionstheorie zitieren (ausführlich http://www.we-loennig.de/).

Dieselbe grundsätzliche Aussage zur Akzeptanz der wahren Antwort trifft für mich natürlich auch auf den Intelligent-Design-Ansatz zu. Ich bin aus mehreren Gründen, die ich ausführlich in früheren Arbeiten diskutiert habe, der festen Überzeugung, dass man Naturwissenschaft nicht mit dem philosophischen Naturalismus gleichsetzen darf. "On the one hand, science means a practice of impartial empirical investigation and testing. On the other hand, science means a very partisan adherence to a philosophy variously called naturalism, materialism or physicalism. Refusing to recognize that there could be a difference between these two definitions is at the very heart of the philosophy of scientific naturalism. My hypothesis was that the Darwinian theory and its accompanying definition of knowledge will collapse once the difference is recognized, with profound consequences of the life of the mind." (Johnson 2000: The Wedge of Truth; pp. 145/146,). Zum Thema "Naturwissenschaft und philosophischer Naturalismus" wäre nun noch sehr viel mehr zu sagen (ich empfehle zum Studium dieser Frage die ganz ausgezeichneten und scharfsinnigen Kommentare in den Arbeiten von Phillip Johnson).

PROF. V.: "Wenn die Ordnung des Lebendigen nicht anders zu erklären ist [als durch Intelligent Design], dann können wir alles vergessen, was wir bisher erreicht haben."

W.-E.L.: Ich denke, es gibt eine riesige Fülle von Erkenntnissen in der Biologie und allen weiteren Naturwissenschaften, die auch völlig unabhängig von der neodarwinistischen Evolutionstheorie vollkommen richtig ist: vom sprunghaften Auftreten praktisch sämtlicher Pflanzen- und Tierfamilien in der fossilen Überlieferung über die ungeheure anatomisch-physiologische Komplexität der Organismen bis hin zu Anwendungen in der Kybernetik und Bionik usw. (und die Genetik und Molekulargenetik von Mendel bis zur Gegenwart sowie die Systematik seien dabei nur einmal in Klammern erwähnt - letztere von Linné bis zur "transformed cladistics"). - Gern bin ich bereit, auch diesen Punkt ausführlicher zu diskutieren. Wir brauchen jedenfalls keineswegs "alles vergessen, was wir bisher erreicht haben" (wenn ich Ihr Wort einmal so buchstäblich nehmen darf).

Im Gegenteil: zahlreiche Phänomene, die von der Synthetischen Evolutionstheorie nur unzureichend oder überhaupt nicht erklärt werden können, werden mit der Intelligent-Design-Theorie jetzt erst intellektuell zureichend und sogar völlig befriedigend erklärt.

PROF. V.: "Glücklicherweise ist es das nicht nötig..."

W.-E.L.: Ich würde mit der oben nur kurz angedeuteten Begründung viel eher sagen: Im Falle der Richtigkeit des Intelligent-Design-Arguments ist es glücklicherweise nicht nötig, dass wir alles vergessen [können], was wir bis jetzt erreicht haben, - ja nicht einmal auf dem Gebiet der Evolutionsbiologie, die ja nicht mit dem Neodarwinismus gleichzusetzen ist (ich denke da z. B. an die Ergebnisse zur realgenetischen Verwandtschaft von der Spezies aufwärts bis etwa zur Tribus und/oder Familie sowie zur weiteren Verwandtschaftsfrage - Verwandtschaftsbegriff jetzt im Linné-Trollschen Sinne [oder im Sinne der "pattern cladists"], an die wenn auch ebenfalls noch unvollständigen molekularen, genetischen, anatomisch-morphologischen und biochemisch-physiologischen für die Systematik relevanten Ergebnisse samt Homologien im Pflanzen- bzw. Tierreich und molekular ansatzweise sogar aller Reiche zusammenen [Margulis unterteilt die Lebensformen in 5 Reiche, wenn ich mich Recht erinnere]).

Es ist also nicht nötig, dass wir mit dem Intelligent-Design-Ansatz alles vergessen können, was wir bisher erreicht haben. Im Gegenteil, alle faktischen Ergebnisse der Biologie blieben unberührt. Allerdings würden sich in diesem Falle völlig neue Fragestellungen ergeben: Wo liegen zum Beispiel molekular, genetisch, anatomisch etc. die genauen Grenzen zwischen realgenetischer und ideeller Verwandtschaft? Inwieweit können wir von den Ergebnissen des einen Falles auf den nächsten extrapolieren? Der Intelligent-Design-Ansatz wirkt sich jedenfalls auf alle Gebiete der Biologie aus, integriert alle bisherigen faktischen Ergebnisse in einer Theorie und wird selbst von diesen Ergebnissen bis heute und in Zukunft weiter modifiziert. Intelligent Design bringt für jede einzelne biologische Disziplin neue Fragestellungen.

Soweit also dieser Auszug aus der Diskussion zum Thema Intelligent Design. Herr [Prof. V.] hat zu diesen Ausführungen jedoch bislang nicht Stellung genommen.

Sie werden sicherlich verstehen, dass ich gerne eine wirklich stichhaltige Begründung dafür hätte, warum** so viele Biologen beim Thema Intelligent Design nicht folgen können. Aber ich respektiere selbstverständlich auch die Entscheidung, wenn jemand diese Fragen grundsätzlich nicht diskutieren möchte.

PROF. U.: Es wäre schön, wenn wir jetzt einfach sagen könnten: Warten wir es ab, in einigen Jahren werden wir mehr wissen.

W.-E. L.: Ich denke, unter Einbeziehung von Intelligent Design können wir heute schon mehr wissen.

PROF. U.: Aber ich glaube, in unserer Lebenszeit wird das Problem nicht mehr gelöst werden und wir werden uns mit den begrenzten Zuwächsen an Wissen zufrieden geben müssen, die ja auch noch eindrucksvoll genug sind.

W.-E. L.: Generell ist der Wissenszuwachs oft mehr als wir verarbeiten können. Für einen wirklichen Fortschritt in der Ursprungsfrage ist, wie oben ausgeführt, ein völlig neuer Ansatz jedoch unerlässlich.

___________

*Hervorhebungen im Schriftbild von mir.

** Nachträglich hervorgehoben

 

2) Eine Diskussion mit Herrn Prof. V. [Initiale wiederum verändert]

 

"Was die Erklärung von Utricularia angeht: natürlich könnte ich mir dazu eine schöne plausible Evolutionsgeschichte ausdenken, die Sie dann nach Belieben glauben oder auslachen können. Ich hoffe nämlich, dass die Evolutionsforscher inzwischen gelernt haben, dass plausible Geschichten bestenfalls Hypothesen sind, die testbar sein sollten." [Fortsetzung siehe unten.]

Prof. V.

 

Mein Schreiben vom 4. Juli 2001:

Lieber Herr V.

Ganz herzlichen Dank für Ihre Nachricht vom 30. April 2001. Zuerst bitte ich um Nachsicht, dass ich mit soviel Verspätung antworte. Im Folgenden möchte ich mich Satz für Satz mit Ihren Auffassungen befassen und Ihnen dabei mitteilen, wie ich die Dinge verstehe.

Vorweg möchte ich noch erwähnen, dass es mir in den folgenden Ausführungen ausschließlich darum geht, ein möglichst realistisches Verständnis vom Ursprung und von der Entwicklung der Arten zu erlangen (in den Punkten, in denen wir unterschiedlicher Auffassung sind, geht es mir also nicht darum, um einer Diskussion willen zu diskutieren). Nun sind die von uns angeschnittenen Fragen viel grundlegenderer Natur als in den üblichen Gesprächen (und Arbeiten) zum Thema, - geht es doch immerhin um das Problem, ob wir überhaupt alle essentiellen Faktoren miteinbezogen (bzw. alle irrelevanten Faktoren ausgeklammert) haben auf unserem Weg zu einem möglichst realistisch-naturwissenschaftlichen Verständnis des Ursprungs der Organismenwelt. Und die Einbeziehung prinzipieller Fragen und Probleme, die unser Gesamtverständnis der Welt und unsere Identifikation in ihr berühren ist - für beide Parteien - manchmal viel schmerzhafter als die Diskussion innerhalb einer Auffassung, etwa der Frage nach dem WIE der angenommenen Selbstorganisation in der Evolution.

Was ich hiermit einleitend andeuten und mit einer Bitte um Verständnis ergänzen möchte, ist Folgendes: Keine meiner Ausführungen sind als ad-hominem-Kritik gedacht, sondern ausschließlich als Kommentare oder Diskussionsbeiträge zur Sache selbst.

Nun zu Ihren Ausführungen:

PROF. V.: "Ich habe bisher nur einmal kurz über die angegebenen Seiten geschaut und sehe schon, dass eine intensive Diskussion sehr viel Zeit in Anspruch nehmen würde."

W.-E.L.: Hier sind wir völlig einer Meinung. Ich selbst beschäftige mich ununterbrochen mit der Problematik seit Beginn meines Biologiestudiums 1965.

PROF. V.: "In Teilpunkten stimme ich Ihnen ja durchaus zu."

W.-E.L.: Damit hätten wir immerhin ein paar gemeinsame Ansätze.

PROF. V.: "Nur, wo es um die Gesamttendenz geht, kann ich Ihnen überhaupt nicht folgen."

W.-E.L.: Nun gut, die Frage sollte jedenfalls anhand von konkreten Beispielen diskutiert werden.

PROF. V.: "Grundsätzlich ist meine Kritik am "intelligent design"-Argument zweifach: einmal ist das Argument außerhalb des Bereichs der Naturwissenschaft."

W.-E.L.: Zur Frage der naturwissenschaftlichen Methodik schrieb mir Klaus Günther einmal: "Wissenschaftliches Fragen, in der objektivierenden, rational-empiriokritischen Naturwissenschaft, nimmt die Fragen zunächst aus dem Bereich der mit den Sinnesorganen wahrgenommenen Diskreta (Phaenomene) heraus und behandelt diese in einer bestimmten Verfahrensweise (Beschreibung, Benennung, Definition abgezogener Begriffe, Systematisierung - Deduktion, Induktion, Analyse - Synthese - Generalisationen: Hypothesen)". Im meinem Beitrag Artbegriff, Evolution und Schöpfung (Lönnig 1993) habe ich im Rahmen einer Diskussion zu einigen erkenntnistheoretischen Fragen aus früheren Arbeiten dazu ergänzt:

Welche Aspekte dieser Methodik könnte den Schluss von der Konstruktion auf den Konstrukteur verbieten? Nicht ein einziger! Welche fordern hingegen diese Schlussfolgerung? Beim Vergleich mit auf denselben Gesetzmäßigkeiten aufgebauten Systemen der Technik (Bionik, Kybernetik) die Systematisierung, Induktion, (Deduktion),....Analyse und Synthese samt Generalisationen! Und das ist kein Sprung von der Realität in die Irrealität, sondern eine an den Tatsachen orientierte Erweiterung des Verständnisses geistiger Ursachen. Die hier zitierte naturwissenschaftliche Methodik ist die des natürlichen Erkenntnisgewinns schlechthin." etc..

Aber Sie haben natürlich Recht, wenn Sie den Begriff "Naturwissenschaft" im streng naturalistischen Sinne definieren: Wenn in den Naturwissenschaften sämtliche Erklärungen ausschließlich auf die uns bekannten physikochemischen Gesetzmäßigkeiten zurückgeführt werden dürfen und müssen, dann liegt das Intelligent-Design-Argument außerhalb der Naturwissenschaften.

Herr Dr. G. von unserem Institut meint zu einer grundlegenden Frage jedoch:

Wenn nach L.-C. Schulz teleologisch-finalistische Fragestellungen in der Biologie unzulässig sind, ist die Aussage, dass der Mensch ein Zufallsprodukt sei, natürlich auch unzulässig. Diese Behauptung beantwortet die Sinnfrage eben doch, dass es nämlich keinen Sinn gäbe.

Evolutionisten haben die Sinnfrage nach dem Leben eben schon vor ihrer Forschung beantwortet: Es gibt nur den Zufall. Keineswegs lässt also der Evolutionist diese Frage offen.

Das ist natürlich sehr vereinfachend gesagt (es gab und gibt natürlich mehr als nur den Zufall), aber dennoch hat Herr Dr. G., so meine ich, einen ganz wesentlichen Punkt zu unserer Diskussion erfasst. Wie, so möchte ich fragen, ist der Begriff "historical contingency" naturwissenschaftlich präzise zu fassen? Liegt dieser Begriff als Antwort auf entscheidende Probleme zum Ursprung der Organismenwelt (und zwar als nicht konkret auf physikochemische Gersetzmäßigkeiten reduzierbare Hypothese) nicht auch außerhalb der Naturwissenschaften? Die postulierte Evolutionshistorie vom Einzeller bis zum Menschen, von Grünalgen bis zu Angiospermen etc., ist prinzipiell nicht reproduzierbar; auch eine vergleichbare Makroevolution etwa zur Bildung komplexer neuer Organe mit den bekannten Evolutionsfaktoren Mutation und Selektion ist nach Auffassung aller mir bekannten Theoretiker wegen der postulierten Zeiträume heute nicht machbar (Dobzhansky, Kaplan und andere).

Mit klaren Falsifikationskriterien zu ihren Hypothesen haben nach meinen bisherigen Erfahrungen die meisten Evolutionstheoretiker ebenfalls große Probleme.

Quantifizierbar soll das geforderte Evolutionsgeschehen in aller Regel auch nicht sein. Zur Voraussagbarkeit der Evolution bemerkt Mayr: "Nichts in der Biologie ist vermutlich weniger vorhersehbar als der zukünftige Verlauf der Evolution" (vgl. weiter Gesetz_Rekurrente_Variation.html)

Kurzum, meine etwas vereinfachende Frage lautet: Inwieweit liegt eine in wesentlichen Punkten nicht verifizierbare, nicht falsifizierbare und nicht quantifizierbare Theorie, in der "der Zufall" (von der Mutation bis zur historischen Kontingenz) einen bedeutenden Platz einnimmt, und in der überdies die prinzipielle Nichtreproduzierbarkeit der postulierten Hauptereignisse und -resultate (Makroevolution) sowie die Nichtvorhersehbarkeit der zukünftigen Evolution integrale Bestandteile des Lehrgebäudes sind, nicht ebenfalls "außerhalb des Bereichs der Naturwissenschaft"?

Diese Frage ist jedenfalls von vielen Erkenntnistheoretikern bejaht worden (Murray z.B.: "Biology has no deductive-nomological model of evolutionary theory."..."How can we be confident in our explanations if, with our theory, we are unable to predict anything? If we cannot predict anything from our explanatory theory, how can we test it? An explanatory theory that makes no testable predictions (other than of the facts it was designed to explain) is little more than a fairy tale." - Ausführlich B. J. Murray 2001: Are ecological and evolutionary theories scientific? Murray selbst bemüht sich um eine naturwissenschaftliche Alternative zum "metaphysical research programme called natural selection", die - soweit ich das bisher beurteilen kann - vielleicht auf Teile der Mikroevolution zutrifft. - Biol. Rev. 76: 255-289 [2001], - Zitate pp. 263, 270, 262).

Mich würde allerdings selbst die Bejahung der obigen Frage prinzipiell so lange nicht stören, solange ich wüsste, dass die herrschende Theorie (trotz all ihrer erkenntnistheoretischen Beschränkungen) tatsächlich die grundlegenden biologischen Realitäten zum Ursprung der Organismenwelt zutreffend beschreiben würde (denn ich wünsche mir ein möglichst wahres, d.h. realistisches Verständnis zu dieser Frage, und ich bin bereit, die richtigen Antworten auch dann zu akzeptieren, wenn sie den Bereich der Naturwissenschaft im Sinne des Naturalismus 'transzendieren').

Und genau an diesem Punkte, so meine ich, lassen sich nun doch sehr zahlreiche und naturwissenschaftlich voll zutreffende Einwände gegen die Synthetische Evolutionstheorie zitieren (ausführlich http://www.we-loennig.de/).

Dieselbe grundsätzliche Aussage zur Akzeptanz der wahren Antwort trifft für mich natürlich auch auf den Intelligent-Design-Ansatz zu. Ich bin aus mehreren Gründen, die ich ausführlich in früheren Arbeiten diskutiert habe, der festen Überzeugung, dass man Naturwissenschaft nicht mit dem philosophischen Naturalismus gleichsetzen darf. "On the one hand, science means a practice of impartial empirical investigation and testing. On the other hand, science means a very partisan adherence to a philosophy variously called naturalism, materialism or physicalism. Refusing to recognize that there could be a difference between these two definitions is at the very heart of the philosophy of scientific naturalism. My hypothesis was that the Darwinian theory and its accompanying definition of knowledge will collapse one the difference is recognized, with profound consequences of the life of the mind." (Johnson 2000: The Wedge of Truth; pp. 145/146,). Zum Thema "Naturwissenschaft und philosophischer Naturalismus" wäre nun noch sehr viel mehr zu sagen (ich empfehle zum Studium dieser Frage die ganz ausgezeichneten und scharfsinnigen Kommentare in den Arbeiten von Phillip Johnson).

PROF. V.: "Wenn die Ordnung des Lebendigen nicht anders zu erklären ist [als durch Intelligent Design], dann können wir alles vergessen, was wir bisher erreicht haben."

W.-E.L.: Ich denke, es gibt eine riesige Fülle von Erkenntnissen in der Biologie und allen weiteren Naturwissenschaften, die auch völlig unabhängig von der neodarwinistischen Evolutionstheorie vollkommen richtig ist: vom sprunghaften Auftreten praktisch sämtlicher Pflanzen- und Tierfamilien in der fossilen Überlieferung über die ungeheure anatomisch-physiologische Komplexität der Organismen bis hin zu Anwendungen in der Kybernetik und Bionik usw. (und die Genetik und Molekulargenetik von Mendel bis zur Gegenwart sowie die Systematik seien dabei nur einmal in Klammern erwähnt - letztere von Linné bis zur "transformed cladistics"). - Gern bin ich bereit, auch diesen Punkt ausführlicher zu diskutieren. Wir brauchen jedenfalls keineswegs "alles vergessen, was wir bisher erreicht haben" (wenn ich Ihr Wort einmal so buchstäblich nehmen darf).

Im Gegenteil: zahlreiche Phänomene, die von der Synthetischen Evolutionstheorie nur unzureichend oder überhaupt nicht erklärt werden können, werden mit der Intelligent-Design-Theorie jetzt erst intellektuell zureichend und sogar völlig befriedigend erklärt.

PROF. V.: "Glücklicherweise ist es das nicht nötig..."

W.-E.L.: Ich würde mit der oben nur kurz angedeuteten Begründung viel eher sagen: Im Falle der Richtigkeit des Intelligent-Design-Arguments ist es glücklicherweise nicht nötig, dass wir alles vergessen [können], was wir bis jetzt erreicht haben, - ja nicht einmal auf dem Gebiet der Evolutionsbiologie, die ja nicht mit dem Neodarwinismus gleichzusetzen ist (ich denke da z. B. an die Ergebnisse zur realgenetischen Verwandtschaft von der Spezies aufwärts bis etwa zur Tribus und/oder Familie sowie zur weiteren Verwandtschaftsfrage - Verwandtschaftsbegriff jetzt im Linné-Trollschen Sinne [oder im Sinne der "pattern cladists"], an die wenn auch ebenfalls noch unvollständigen molekularen, genetischen, anatomisch-morphologischen und biochemisch-physiologischen für die Systematik relevanten Ergebnisse samt Homologien im Pflanzen- bzw. Tierreich und molekular ansatzweise sogar aller Reiche zusammenen [Margulis unterteilt die Lebensformen in 5 Reiche, wenn ich mich Recht erinnere]).

Es ist also nicht nötig, dass wir mit dem Intelligent-Design-Ansatz alles vergessen können, was wir bisher erreicht haben. Im Gegenteil, alle faktischen Ergebnisse der Biologie blieben unberührt. Allerdings würden sich in diesem Falle völlig neue Fragestellungen ergeben: Wo liegen zum Beispiel molekular, genetisch, anatomisch etc. die genauen Grenzen zwischen realgenetischer und ideeller Verwandtschaft? Inwieweit können wir von den Ergebnissen des einen Falles auf den nächsten extrapolieren? Der Intelligent-Design-Ansatz wirkt sich jedenfalls auf alle Gebiete der Biologie aus, integriert alle bisherigen faktischen Ergebnisse in einer Theorie und wird selbst von diesen Ergebnissen bis heute und in Zukunft weiter modifiziert. Intelligent Design bringt für jede einzelne biologische Disziplin neue Fragestellungen.

PROF. V.: "...aber davon kann ich Sie sicher nicht allein durch diese Feststellung überzeugen."

W.-E.L.: Ich bemühe mich redlich um prinzipielle Falsifizierbarkeit meiner wissenschaftlichen Auffassungen, aber Sie werden sicher Verständnis für mich haben, wenn ich Ihnen zur Ihrer obigen Aussage zustimme.

PROF. V.: "Mein anderes Argument ist viel einfacher: Wenn die Struktur des Lebendigen so wie wir sie sehen, das Resultat von Selbstorganisation in der Evolution ist, dann ist es das Großartigste, was es gibt, und diesen Mechanismus zu durchschauen ist die entscheidende intellektuelle Leistung der Menschheit."

W.-E.L.: Ja, w e n n das so wäre, würde ich dem grundsätzlich zustimmen. Wenn Computer samt Software durch Selbstorganisation in einer Evolution entstehen könnten und wir nur irrtümlicherweise Intelligent Design für unbedingt notwendig gehalten hätten, dann wäre die Entdeckung der Selbstorganisation solcher Systeme sicher eine der großartigsten überhaupt (und würde uns wohl zukünftig auch eine ganze Menge Umstände und Kosten ersparen).

Wenn jedoch zu dieser Behauptung eine Gruppe von Theoretikern - so wie der Neodarwinismus zur Ursprungsfrage - (wie oben schon erwähnt) ein nicht verifizierbares, nicht falsifizierbares und nicht quantifizierbares Erklärungssystem aufbaut, in dem sowohl "der Zufall" als auch die prinzipielle Nichtreproduzierbarkeit der behaupteten Ereignisse ganz entscheidende Rollen spielen, - dann sollte auch einmal die Frage erlaubt sein, inwieweit dieses "WENN" auch tatsächlich zutrifft, d.h. die Frage, inwieweit dieses WENN die Realitäten auf unserem Planeten tatsächlich zutreffend beschreibt!

Denn sollte sich herausstellen, dass die Struktur des Lebendigen in wesentlichen Fragen tatsächlich nicht das Resultat einer Selbstorganisation in der Evolution ist, dann handelt es sich hier um die vielleicht größte intellektuelle (und wohl auch geistige und emotionale) Fehlentwicklung in der Menschheitsgeschichte. Und die Suche nach dem nicht-existenten Entwicklungsmechanismus der Baupläne des Lebens würde der Suche nach dem Perpetuum mobile gleichen sowie der Verwechselung der Realität mit einer Art Fata morgana.

Und in diesem Fall wäre allein schon die Widerlegung (oder Rückführung auf die realistischen Möglichkeiten und Grenzen) der fragwürdigen Theorie von immenser wissenschaftlicher und kulturhistorischer Bedeutung. Und die erkenntnistheoretische und naturwissenschaftliche Begründung der realistischen Alternative natürlich auch.

PROF. V.: "Das muss man nun einmal Darwin lassen."

W.-E.L.: Wenn die behauptete Selbstorganisation bewiesen werden könnte, würde ich dem wiederum grundsätzlich zustimmen.

PROF. V.: "Ist es aber das Resultat von "intelligent design", dann ist das Leben auf der Erde jämmerliches Pfuschwerk..."

W.-E.L.: Ich möchte offen bekennen, dass ich jetzt doch etwas hilflos vor dieser Aussage stehe. Sie schrieben: Wenn die Struktur des Lebendigen so wie wir sie sehen, das Resultat von Selbstorganisation in der Evolution ist, dann ist es das Großartigste, was es gibt, und diesen Mechanismus zu durchschauen ist die entscheidende intellektuelle Leistung der Menschheit.

Warum sollte man denn nicht genausogut sagen können: "Wenn die Struktur des Lebendigen, so wie wir sie sehen, das Resultat von Intelligent Design in der Schöpfung ist, dann ist es das Großartigste, was es gibt, und diesen Modus der Entstehung zu durchschauen ist die entscheidende intellektuelle Leistung der Menschheit!"

PROF. V.: "...oder eine verantwortungslose grausame Spielerei."

W.-E.L.: Ich verstehe wirklich nicht, warum die Struktur des Lebendigen unter dem Vorzeichen der Selbstorganisation das Großartigste ist, was es gibt, aber unter dem Vorzeichen von Intelligent Design ein "jämmerliches Pfuschwerk oder eine verantwortungslose grausame Spielerei." Die bisher noch nicht voll verstandene Komplexität der Photosynthese zum Beispiel oder die Funktionen des menschlichen Auges, über welche Paley zum Beispiel sagte [und die folgenden Aussagen treffen prinzipiell auf alle menschlichen Organe zu, um zuerst einmal bei diesen zu bleiben]:

"...diese Vorrichtungen bilden zusammen einen Apparat, ein System von Teilen, eine Bereitstellung der Mittel, so offenkundig in ihrer Konstruktion, so ausgezeichnet in ihrer Planmäßigkeit, so erfolgreich in ihrer Aufage, so kostbar und unendlich nützlich in ihrem Gebrauch, um - meiner Meinung nach - alle Zweifel zu beseitigen, welche zu diesem Thema erhoben werden können..." - Paley 1802.

- sowie die genial-komplexen Baupläne des Pflanzen- und Tierreichs oder die Synorganisation des Compositenköpfchens werden doch vom Großartigsten, was es gibt, nicht durch Intelligent Design plötzlich zu einem jämmerlichen Pfuschwerk oder zu einer verantwortungslosen grausamen Spielerei!

(Zu Konstruktionseinwänden beim Auge vgl. z. B. Lönnig 1989, pp. 81-85.)

Nach der Selektionstheorie allerdings wäre der Modus der Entstehung aller sensiblen Lebensformen tatsächlich eine grausame Spielerei ("der Fortschritt der Evolution geht über Milliarden von Leichen" - Plate, ähnlich Sperlich und andere) - nicht jedoch im Falle von Intelligent Design!

Auf die Pflanzenwelt angewandt jedoch wären die Aussagen vom jämmerlichen Pfuschwerk und der grausamen Spielerei sogar mit der Selektionstheorie kaum nachzuvollziehen: Pflanzen haben kein Schmerzbewusstsein und, soweit wir überhaupt etwas verstehen können, empfinden gar nichts.

PROF. V.: Es gibt für mich keine deprimierendere Vorstellung als die, dass das alles von jemand so gewollt sein sollte."

W.-E.L.: Mich begeistert der Gedanke, dass die unfassbare Komplexität lebender Strukturen auf Intelligent Design zurückzuführen ist sowohl intellektuell als auch emotional: Denn das erscheint mir - im Gegensatz zum Faktorensystem des Neodarwinismus - eine tatsächlich angemessene Ursache.

Falls Sie hiermit jedoch die Theodizee-Frage ansprechen, so stimme ich Ihnen völlig zu, dass wir - ganz im Gegensatz zu Leibniz' Vorstellungen - zur Zeit keineswegs in der besten aller möglichen Welten leben. Und da Sie, wenn ich Sie recht verstehe, mit Ihrer soeben zitierten Feststellung ein bedeutendes theologisches Problem ansprechen, möchte auch ich dieser Frage nicht ausweichen und Ihnen hier kurz die biblische Sichtweise und Antwort zu diesem Thema darlegen.

Vorweg möchte ich noch feststellen, dass ich dabei innerlich etwas zögere, denn ich vermute, dass Ihnen unter der Voraussetzung der absoluten Richtigkeit der Auffassung von der Selbstorganisation des Lebens in Laufe der Evolution diese Sichtweise sehr fremdartig und inakzeptabel (wenn nicht gar absurd) erscheinen wird. Aber allein schon als Information - wie immer Sie sie letztendlich beurteilen - zu einer Alternative zur herkömmlichen Prädestinationstheologie erscheint mir das doch so wichtig, dass ich Ihnen im Rahmen dieses Briefes in einer ganz groben Skizze darüber berichten möchte (nebenbeibemerkt waren den meisten Pionieren der Biologie, wie Linné, Cuvier, Mendel, von Baer und anderen diese Gedanken ganz selbstveständlich, ja auch dem Theologen Charles Darwin sollte dieser Ansatz geläufig gewesen sein):

Ich möchte dazu auf einen privaten Schriftwechsel mit Herrn B. (Initiale verändert) zurückgreifen, der mir vor einem Jahr unter anderem schrieb:

"Schauen Sie auf die Welt und alles Leben, auf die Vergänglichkeit, auf Krankheit, Behinderungen, Sklaverei, Kannibalismus, Korruption, auf Kriege, Seuchen, Alter, Tod. Ist dies - frage ich - das Werk eines absolut guten Wesens?"

[Nachtrag 2002: Aufgrund mancher Missverständnisse sei noch einmal betont, dass - obwohl es eigentlich kaum einer weiteren Erwähnung bedarf - sowohl die hier angesprochene Fragestellung als auch die Antwort über die naturwissenschaftlichen Möglichkeiten und Grenzen hinausgehen.] Ich habe darauf wie folgt geantwortet:

"Sie werden vielleicht überrascht sein, wenn Sie erfahren, dass die Antwort der Bibel "Nein!" lautet. Die Welt, die Sie beschreiben, ist nicht das Werk eines absolut guten Wesens.

Wenn Sie die Genesis genau lesen, stellen Sie fest, dass Gott eine Welt erschuf, die das Prädikat "sehr gut" erhielt. Die Aufgabe des ebenfalls sehr gut erschaffenen Menschen war gemäß dem Bibelbericht, dieses sehr gute Schöpfungswerk zu pflegen und zu erhalten (1. Mose, Kapitel 1, Vers 28): "Auch segnete Gott sie," (die ersten beiden Menschen) "und Gott sprach zu ihnen: "Seid fruchtbar, und werdet viele, und füllt die Erde, und unterwerft sie (euch), und haltet (euch) die Fische des Meeres und die fliegenden Geschöpfe der Himmel untertan und jedes lebende Geschöpf, das sich auf der Erde regt."" Ebenso sollte der Garten Eden 'bebaut und gepflegt werden' (1. Mose, Kapitel 2, Vers 15).

Das Gebot, die Erde zu 'unterwerfen', ist bedauerlicherweise häufig missverstanden worden. Es ist ein ganz grober Fehler, den hebräischen Text, der mit 'unterwerfen' übersetzt worden ist, als Aufforderung zur Zerstörung des von Gott als "sehr gut" bezeichneten Schöpfungswerkes (wozu auch die Ökosysteme gehören) misszuverstehen. Das Wort bedeutet vielmehr, - wie oben schon erwähnt - etwas systematisch und liebevoll zu pflegen und in Weisheit zu erhalten. [Nachtrag 2002: Vgl. dazu auch A. Hüttermann (1993): Die ökologische Botschaft der Thora. Die mosaischen Gesetze aus der Sicht eines Biologen. Naturwissenschaften 80: 147-156. (Naturwissenschaften: Organ der Max-Planck-Gesellschaft-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, der Gesellschaaft Deutscher Naturforscher und Ärzte etc.) .]

Soweit der sehr gute Anfang. Darauf folgt das, was Sie als "Sündenfall" schon wiederholt angesprochen haben. Dieser Sündenfall ist aber nach der Bibel nun keineswegs der Beginn der sexuellen Beziehungen der ersten Menschen (wie oft behauptet wird). Im Gegenteil, diese Beziehungen hatte Gott den Menschen mit der Aufforderung: "Seid fruchtbar und werdet viele..." ausdrücklich geboten (vgl. auch 1. Mose 2, Vers 24: "... und sie sollen ein Fleisch werden."). Demnach lehrt die Bibel eindeutig: Mit der Akzeptierung der Einsetzung der ersten Ehe samt "Hochzeitsnacht" erfüllten die ersten beiden Menschen eines der grundlegenden Gebote Gottes (anstatt ein Gebot zu verletzen).

Der Sündenfall bedeutet nach der Bibel vielmehr die bewusste Entscheidung gegen Gott ("wir brauchen dich nicht; wir können alles ohne dich viel besser [wir wollen selbst deinen Platz einnehmen, wir wollen selbst Gott sein]") - mit all den Konsequenzen, die Sie in Ihrer e-Mail aufgeführt haben: "Schauen Sie auf die Welt und alles Leben, auf die Vergänglichkeit, auf Krankheit, Behinderungen, Sklaverei, Kannibalismus, Korruption, auf Kriege, Seuchen, Alter, Tod."

Der Mensch hat sich also von Gott abgewandt und gesagt (sinngemäß): "Ohne dich geht alles besser!" Und Gott gab darauf dem Menschen Jahrtausende Zeit, um ihm ausreichend Gelegenheit zu geben, das, was er behauptet hatte, zu beweisen - oder zu widerlegen. Was hat der Mensch mit der Welt, die Sie beschreiben, nun bewiesen? - Ganz klar, er braucht Gottes Hilfe. - Die Welt, die Sie beschreiben, ist das Resultat des "Sündenfalls" (der Abkehr des Menschen von Gott), nicht die ursprüngliche Schöpfung, die Gott als "sehr gut" bezeichnet hatte.

Und um diese gefallene Welt zu erlösen, und zu ihrem ursprünglich vollkommenen Zustand zurückzuführen, hat sich Jesus geopfert [und ist wieder auferstanden]. Das ist die zentrale Botschaft der Bibel: Gottes Königreich." [Nachtrag 31. Oktober 2007: Oder genauer: "The entire Bible has but one theme: The Kingdom under Jesus Christ is the means by which the vindication of God's sovereignty and the sanctification of His name will be accomplished. - Daniel 2:44; Revelation 11:15."]

Im übrigen erscheint mir die ausschließliche Betonung der negativen Seiten dieser Welt die doch auch noch vorhandene ganz andere Seite völlig zu vergessen: Es gibt doch auch noch das absolut Schöne, Wahre und Gute (ja, viel zu wenig und fast immer viel zu kurz, hier stimme voll zu!). Die ursprüngliche Vollkommenheit schimmert jedenfalls hin und wieder einmal durch das viele Unheil der gefallenen Welt hindurch.

Zur Veranschaulichung: Wir stehen gleichsam einmal auf einem Autofriedhof in der Nähe einer Reparaturwerkstatt samt Autoneuverkauf: Sie zeigen auf den 'ganzen Schrott' samt Umweltverschmutzung und sagen: "Ist das aber das Resultat von "intelligent design", dann ist die Autotechnik auf der Erde jämmerliches Pfuschwerk oder eine verantwortungslose grausame Spielerei. Es gibt für mich keine deprimierendere Vorstellung als die, dass das alles von jemand so gewollt sein sollte." Ich aber zeige auf die Reparaturwerkstatt und die zahlreichen Neuwagen und sage: Nicht einmal solche (im Vergleich zur genial-komplexen Organismenwelt nur noch) als primitiv zu bezeichnenden technischen Syteme des Menschen entstehen durch Selbstorgansisation - also wieviel weniger dann diese Organismenwelt selbst! Und ein Teil der Autowracks geht auf Unfälle zurück, ein anderer auf noch mangelndes Recycling und ein dritter Teil auf grobe Verstöße gegen Umweltgesetze. Die menschlichen Konstrukteure hatten das nicht so gewollt. Die Schlussfolgerung, dass die Konstrukteure nicht existieren, weil die Benutzer der Wagen ihre Freiheit missbrauchen und die Verkehrs- und Umweltgesetze missachten, erscheint mir nicht überzeugend.

PROF. V.: "Glücklicherweise ist diese Annahme [Intelligent Design] nicht nötig, denn der Dawinsche Ansatz funktioniert ja weiterhin ganz vorzüglich."

W.-E.L.: Wie Sie wissen, bin ich hier ganz anderer Auffassung: Nach meinem Verständnis versagt der Darwinsche Ansatz in ganz wesentlichen Fragen zum Ursprung der Organismenwelt (mit Ausnahme vielleicht der Evolution in vielen Fällen bis zur Tribus und/oder Familie, und selbst da gilt der Faktor Selektion nur eingeschränkt und polyvalente Stammformen weisen auf teleologische Ursachen hin, - die faktischen Ergebnisse der Forschung bleiben davon unberührt; siehe oben). Ausführliche Begründung und Diskussionen vgl. index.html.

PROF. V.: "Dass es dabei innerhalb der wissenschaftlichen Evolutionsforschung viel Hickhack um Details gibt und auch da die Entwicklung nicht immer gleichschnell auf ein Ziel hinsteuert, hat diese Wissenschaft mit allen anderen gemeinsam. Dazu schicke ich Ihnen einen neueren Artikel von mir."

W.-E.L.: Besten Dank für Ihre ausgezeichneten Artikel (ein großer Teil der von Ihnen diskutierten Arbeiten und Auffasungen waren mir bekannt). Ihre Beiträge zeigen mir, dass Sie innerhalb der Evolutionstheorie nicht strikt auf den herkömmlichen darwinistischen Ansatz im Sinne der New Synthesis festgelegt sind (ich habe Meinungen kennengelernt, die zeigen, dass das nicht selbsverständlich ist). Ich stimme Ihnen völlig zu, wenn Sie z. B. schreiben (V. 2001, p. [xyz]): "We could argue that today nothing of the "hardened" version of the Synthetic Theory is left intact. Even the conceptual framework of the theory is becoming inadequate for the proper interpretation of new results, since it underestimates historical contingency", - aber ich würde natürlich hinzufügen: "...and, even more importantly, since it not only underestimates but totally disregards the essence of the problem of the origin of species and especially of the higher systematic categories: Intelligent Design."

Nach den oben diskutierten Fragen würde ich weiteren fundamentalen Aussagen p. [xyz] widersprechen müssen und einige Sätze auf der Basis der vielen Beispiele von "irreducible complexity" (Michel Behe) etwa wie folgt umformulieren: "At the same time it [the history of population genetics and biology in general] can be seen as a long goodbye from a world-view that underestimated the very essence of the origin of species and Baupläne. This is the all-pervading role of Intelligent Design in a system that - on the basis of an enormous amount of evidences of biological research (from paleontology to biochemical complexity) - cannot be the result of just one singular process according the generally accepted, but scientifically totally unproven idea of self-organisation" usw. Und wenn wir noch so respektvoll miteinander umgehen möchten und die folgende Schlussfolgerung viel lieber vermeiden würden, so bleibt uns doch - zur Zeit zumindest - wohl nichts weiter übrig als festzustellen: Hier unterscheiden sich unsere Auffassungen grundlegend.

Nun besteht in unserem materialistischen Zeitalter allerdings für Ihre Auffassung keinerlei Gefahr, irgendwie ins Hintertreffen zu geraten. Und so ein "lebendes Fossil" wie ich hat im Moment keine Chance, sich in der Biologie und verwandten Zweigen der Naturwissenschaft, in großem Maßstab durchzusetzen. Aber über die Richtigkeit der Auffassungen ist damit natürlich noch überhaupt nichts gesagt. Ich darf in diesem Zusammenhang an ein Wort von Albert Fleischmann erinnern: "Es wäre jedoch vollkommen verkehrt, wollte man die Richtigkeit einer wissenschaftlichen Theorie schlechthin nach der Zahl ihrer Anhänger beurteilen; denn die Kulturgeschichte lehrt uns viele Beispiele kennen, dass ganze Generationen von gelehrten Männern Behauptungen für wahr gehalten und mit dem Aufgebote höchsten Scharfsinnes verteidigt haben, welche heute ein Laie als unrichtig verlacht."

Und - indem ich mich weiter an Ihren Formulierungen orientiere - würde ich außerdem sagen: "For the moment, a whole array of new results of the last fifty years are clearly contradicting the basic neo-Darwinian theory with which we grew up. The new evidence constitutes much more than just qualifications and complicating additions to the old theory. During the last thirty years, it has frequently been suggested that a new conceptual framework might accomodate the new results with less friction than a continuously patched-up Synthetic Theory. And that is totally correct. The basis of the new conceptual framework is Intelligent Design integrating microevolution in the more or less neo-Darwinian sense as well as "episodes of saltatory evolution" that "are likely to be linked with reticulate evolution" (V.) - most often representing either degeneration or horizontal evolution - with[in] the originally intelligently designed polyvalent species" (vgl. Lönnig 2001 Gesetz_Rekurrente_Variation.html; Unterthema: Cichlidae).

Jedenfalls stimmen wir in einer grundlegenden Aussage völlig überein: "The future promises to be exciting."

Ich hätte auch zu Ihrer mir übersandten Arbeit [XXX] (V. 2000) noch sehr viel zu sagen. Aber jetzt habe ich Ihnen - oft mit der großen Sorge, Ihre Toleranz gegenüber meinen (aus evolutionstheoretischer Perspektive) wahrscheinlich extrem alternativen Auffassungen vielleicht doch allzu sehr zu strapazieren - bereits so oft meinen Widerspruch angemeldet, dass ich damit jetzt erst einmal pausieren sollte.

Bisher haben wir allerdings noch kein einziges konkretes biologisches Beispiel diskutiert!

PROF. V.: "Was die Erklärung von Utricularia angeht: natürlich könnte ich mir dazu eine schöne plausible Evolutionsgeschichte ausdenken, die Sie dann nach Belieben glauben oder auslachen können. Ich hoffe nämlich, dass die Evolutionsforscher inzwischen gelernt haben, dass plausible Geschichten bestenfalls Hypothesen sind, die testbar sein sollten."

W.-E. L: Bislang hat sich in allen meinen Diskussionen mit Hunderten von Evolutionstheoretikern aller Richtungen immer wieder die Auffassung bestätigt, dass es bei genauer und kritischer Betrachtung überhaupt keine plausible Evolutionsgeschichte gibt, die das Beispiel mit neodarwinistischen oder sonstigen Evolutionsfaktoren erklären könnte. Wo, so darf ich fragen, sind die testbaren Hypothesen zum Ursprung der Kastenfalle von Utricularia?

PROF. V.: "Ich würde also erst einmal vorschlagen, die Genetik der Utricularia-Falle im Detail zu analysieren. Dann weiß man wenigstens erst einmal, was genau erklärt werden muss."

W.-E.L.: Wir wissen auf morphologisch-anatomischer und physiologischer Ebene schon sehr genau, was erklärt werden muss. Und hier versagen bisher in sämtlichen Testdiskussionen alle mir bekannten Evolutionstheorien völlig:

"Le problème est si complexe, les solutions trouvees tellement divergentes si l'on regarde dans les détails, qu'on ne peut qu'avouer notre ignorance." Pierre Jolivet 1987, S. 110, zur Evolutionsfrage bei myrmecophilen und carnivoren Pflanzen (LES PLANTES CARNIVORES. Monaco/Paris). B.E.Juniper, R.J. Robins und D.M. Joel schreiben in ihrem Buch CARNIVOROUS PLANTS (1989, S. 43) zu Utricularia: "...no adequate evolutionary sequence can yet be constructed even to present a speculative path for the origin of what appears to be a relatively homogeneous group." Und zu Lloyds Erklärung des Fangmechanismus (S.117): "...at least a purpose is served to indicate that the Utricularia is a complex bit of mechanism and offers, as yet, an intractable problem in evolution."

Der Vorschlag, zusätzlich zu den bekannten biologischen Daten die Genetik der Utricularia-Falle zu studieren, ist mir dennoch ausgesprochen willkommen. Die Ergebnisse dieser zukünftigen Studien werden höchst wahrscheinlich die Widerlegung der verschiedenen Evolutionstheorien auch auf dieser Ebene deutlich nachweisen und damit die schon bekannten evolutionären Schwierigkeiten noch weiter ergänzen.

Wenn es auch wichtig ist, die Unzulänglichkeiten der heutigen Evolutionsauffassungen auch auf der genetischen Ebene weiter zu fundieren, so reichen nach allen meinen bisherigen Erfahrungen die bekannten biologischen Daten zu Utricularia (als Musterbeispiel für zahlreiche ähnlich gelagerte Fälle der Synorganisation) schon vollständig aus, um jede Evolutionstheorie in äußerste Verlegenheit zu bringen. Aber nehmen wir an, wir hätten zusätzlich noch alle genetischen Daten - sagen wir unter anderem auch einige völlig neue Regulator- und Targetsequenzen als Beispiele für "irreducible complexity" auf der molekulargenetischen Ebene (so wie wir das für den Elektrorotationsmotor von E. coli und von vielen weiteren Beispielen her kennen - ich möchte an dieser Stelle das zwar zeitaufwändige, aber doch sehr lohnende gründlich-kritische Studium von M. Behes Darwin's Black Box empfehlen), - würde dann die Mehrheit der zeitgenössischen Evolutionstheoretiker tatsächlich Intelligent Design als Ursache für den Ursprung der Organismen in ihr Weltbild integrieren?

PROF. V.: "Allerdings ist das nicht meine Aufgabe. Ich bin eher für die Synorganisation des Compositenköpfchens zuständig."

W.-E.L.: OK. Aber das Prinzip der Unzulänglichkeit der bekannten Evolutionsfaktoren ist im Falle Utricularias und im Prinzip ähnlich komplexer Beipiele auch dann verständlich, wenn man zur Zeit an anderen Fragen arbeitet. (Ich arbeite zur Zeit an der Genetik und [und eine Mitarbeiterin an der] Molekulargenetik der foliosen Sepalen von Misopates).

PROF. V.: "Soviel in Eile..."

W.-E.L.: Besten Dank noch einmal für Ihre freundlichen Zeilen und die beiden Sonderdrucke!

 

 

3) Michael Lynchs Bemerkung zum menschlichen Genom und Intelligent Design

 

Michael Lynch bemerkt in seinem Beitrag The molecular natural history of the human genome (Trends in Ecology & Evolution 16, pp. 420-422, 2001) zum Unterthema "Our debris-laden genome" unter anderem auf der Seite 420:

"Approximately half of the human genome consists of sequences that are obviously associated with transposable-element activity, and a large fraction of the remaining noncoding DNA might be a product of such activity but too divergent to be recognized as such. So much for intelligent design."

Nehmen wir mit Lynch an, die Beschreibung des menschlichen Genoms als "debris-laden" sei vollständig zutreffend, so vergisst der Autor jedoch, dass das menschliche Genom - auch bei Richtigkeit des Intelligent-Design-Arguments - eine Geschichte hat, und zwar eine Historie, die aus zwei Phasen besteht: 1. Phase: Intelligent Design (samt Realisation) und 2. Phase: Sämtliche im Zeitraum darauf sich ereignenden DNA-Veränderungen durch Transposons, durch Bildung von Pseudogenen, durch Viren und die 'üblichen' Mutationen. (Vgl. dazu oben auch die Veranschaulichung des Prinzips durch das Beispiel "Autofriedhof".) Selbst heute noch können wir feststellen, wie in verschiedenen Drosophila-Linien und -Arten, die noch vor wenigen Jahrzehnten völlig frei von bestimmten Transposons waren, sich diese TEs (transposable elements) jetzt verbreitet und somit neues Terrain erobert haben (vgl. zum Beispiel Evgen'ev M., Zelentsova H., Mnjoian L., Poluectova H., Kidwell M.G. (2000): Invasion of Drosophila virilis by the Penelope transposable element. Chromosoma 109, pp. 350-357 und die Artbegriffsarbeit zum Thema HYBRID DYSGENESIS). - Was nun das menschliche Genom anlangt, so konnte in der zweiten Phase noch sehr viel geschehen. Wir halten also heutzutage keineswegs das menschliche 'Urgenom' in den Händen. (Vgl. zu sekundären Veränderungen bei den Lebensformen weiter das Kapitel Degeneration im Organismenreich in der Artbegriffsarbeit.)

 

Literaturhinweise zur Kritik der Evolutionstheologie

Zur kritischen Betrachtung evolutionstheologischer Argumente - wie sie von führenden Evolutionstheoretikern und weiteren Biologen weltweit vertreten werden - seien abschließend zwei Arbeiten genannt, die zu diesem Thema einige sehr gute Kapitel enthalten (obwohl ich hinzufügen möchte, dass in beiden Arbeiten das Degenerationsthema nur kurz angesprochen wird und ich insbesondere bei Hunter (2001) nicht alle Punkte unterschreiben kann [bei ReMine sind jedoch die meisten zutreffend]):

Cornelius G. Hunter (2001): Darwin's God. Evolution and the Problem of Evil. Brazos Press. Grand Rapids, Michigan, USA.

Walter J. ReMine (1993): The Biotic Message. St. Paul Science. Saint Paul, Minnesota, USA.

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1Hervorhebungen im Schriftbild der Max-Planck-Zitate von mir.
2Ich folge hier dem Wortlaut gemäß: Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, Abt. Va, Rep. 11 Planck, Nr. 1797.
3Max Planck (1949): Vorträge und Erinnerungen, S. 331/332; siehe diese und weitere Worte Plancks in der Zusammenstellung und Diskussion zum Thema Gott und Naturwissenschaft.

*Zum Einwand Intoleranz: Auch unabhängig von den religiösen Voraussetzungen zeichnet sich die Menschheitsgeschichte bedauerlicherweise durch Intoleranz und Gewalttat aus: Vgl. Hans Dollinger (2000): Schwarzbuch der Weltgeschichte. Komet-Verlag (512 Seiten); Stephane Courtois et al. (Hrsg.) (2000): Das Schwarzbuch des Kommunismus. Unterdrückung, Verbrechen, Terror. 4. Auflage. Piper-Verlag (987 Seiten).


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